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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal.

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Auf der Leiter des Glücks.

diese Bürgschaft nicht übernommen haben, denn während sie so redete, war Her-
mione in einem sehr ausgelassenen Zwiegespräch mit dem Prinzen Ottokar be¬
griffen, sie, über die verschlossene Pforte des großen buschigen Hintergrundes
der Villa Mockritz hinweg dem prinzlichen Pferde ans der Fläche ihrer zierlichen
Hand kleine Zuckerstückchen reichend, er, vom Sattel herab mit eingekniffenen
Augenglase, während er muntre Geschichten auftischte, sich an dem reizvollen
Bau ihrer maßvoll entwickelten Gestalt mit Kennermiene weidend. In einiger
Entfernung hielt der Flügeladjutant mit dem Blick nach der Richtung, wo etwa
Störungen zu befürchten waren, und erst als er durch ein Räuspern zur Vor¬
sicht mahnte, brach der Prinz das Plauderstündchen ab und sprengte mit jenem
davon.




Fünftes Rapitel.

So oft über die Ehe tiefe Spekulationen angestellt werden, pflegt man
bis auf Sokrates zurückzugreifen, wobei die doch ohne Zweifel nach vielen Rich¬
tungen musterhafte Gattin desselben in eine möglichst unvorteilhafte Beleuchtung
gerückt wird. Oder geschieht ihr damit kein Unrecht? Läßt sich nachweisen,
daß sie sich anders betrug, als die meisten aufbrausend gearteten Naturen sich
betragen würden -- gleichviel, ob männliche oder weibliche --, wenn nämlich
das Schicksal sie mit einem völlig entgegengesetzten Wesen zusammenschmiedete?
Frau Sokrates war, wie es scheint, haushälterisch und tren, möglicherweise auch
angenehm von Gestalt und Gesicht, denn alle Äußerungen des großen Welt¬
weisen wenden sich in Betreff seiner Xanthippe einzig gegen die Heftigkeit ihrer
Impulse und die Zügellosigkeit ihrer Zunge. Daß ich dein streitsüchtiges Tem¬
perament, sagte er zu einem Freunde, sogut ertrage, dankst du meiner Xanthippe.
Meine Henne gakelt viel, aber sie bringt mir Hühnchen, belehrte er einen andern.
Wer auf einem schwer regierbarcn Pferde das Reiten lernte, der hat den Vor¬
teil, auch mit einem fügsamern fertig zu werden, so äußerte er gegen einen
dritten. Immer ist es einzig ihr hitziges Temperament, von dem er zu er¬
zählen weiß. Wie verglich er den Lärm in seinem Hause mit dem Straßen¬
geräusch und den Vorteilen desselben? Wer in einer lärmenden Geschäftsstraße
wohnt, sagte er einmal, der hört nicht mehr das Wagenrasseln. Daß er so
über die Mutter seiner Kinder redete, läßt freilich vermuten, daß die Häus¬
lichkeit des Sokrates auch für die Nachbarn störend war. Er brauchte die
Kunde von den daheim bestandenen Scharmützeln nicht erst unter die Leute zu
bringen. Aber wenn er solcher Art für den großen Erfahrungssatz eintrat, daß
stürmische Naturen vor allem in der Ehe ans Nachsicht Anspruch haben, und
daß die Ehe überhaupt in den meisten Fällen die wichtige Nebenaufgabe lösen
soll, eine Schule der Geduld zu sein, so thut man umsomehr Unrecht, Frau
Xanthippe, wie es zumeist geschieht, sich als etwas Abschreckendes und einzig in


Auf der Leiter des Glücks.

diese Bürgschaft nicht übernommen haben, denn während sie so redete, war Her-
mione in einem sehr ausgelassenen Zwiegespräch mit dem Prinzen Ottokar be¬
griffen, sie, über die verschlossene Pforte des großen buschigen Hintergrundes
der Villa Mockritz hinweg dem prinzlichen Pferde ans der Fläche ihrer zierlichen
Hand kleine Zuckerstückchen reichend, er, vom Sattel herab mit eingekniffenen
Augenglase, während er muntre Geschichten auftischte, sich an dem reizvollen
Bau ihrer maßvoll entwickelten Gestalt mit Kennermiene weidend. In einiger
Entfernung hielt der Flügeladjutant mit dem Blick nach der Richtung, wo etwa
Störungen zu befürchten waren, und erst als er durch ein Räuspern zur Vor¬
sicht mahnte, brach der Prinz das Plauderstündchen ab und sprengte mit jenem
davon.




Fünftes Rapitel.

So oft über die Ehe tiefe Spekulationen angestellt werden, pflegt man
bis auf Sokrates zurückzugreifen, wobei die doch ohne Zweifel nach vielen Rich¬
tungen musterhafte Gattin desselben in eine möglichst unvorteilhafte Beleuchtung
gerückt wird. Oder geschieht ihr damit kein Unrecht? Läßt sich nachweisen,
daß sie sich anders betrug, als die meisten aufbrausend gearteten Naturen sich
betragen würden — gleichviel, ob männliche oder weibliche —, wenn nämlich
das Schicksal sie mit einem völlig entgegengesetzten Wesen zusammenschmiedete?
Frau Sokrates war, wie es scheint, haushälterisch und tren, möglicherweise auch
angenehm von Gestalt und Gesicht, denn alle Äußerungen des großen Welt¬
weisen wenden sich in Betreff seiner Xanthippe einzig gegen die Heftigkeit ihrer
Impulse und die Zügellosigkeit ihrer Zunge. Daß ich dein streitsüchtiges Tem¬
perament, sagte er zu einem Freunde, sogut ertrage, dankst du meiner Xanthippe.
Meine Henne gakelt viel, aber sie bringt mir Hühnchen, belehrte er einen andern.
Wer auf einem schwer regierbarcn Pferde das Reiten lernte, der hat den Vor¬
teil, auch mit einem fügsamern fertig zu werden, so äußerte er gegen einen
dritten. Immer ist es einzig ihr hitziges Temperament, von dem er zu er¬
zählen weiß. Wie verglich er den Lärm in seinem Hause mit dem Straßen¬
geräusch und den Vorteilen desselben? Wer in einer lärmenden Geschäftsstraße
wohnt, sagte er einmal, der hört nicht mehr das Wagenrasseln. Daß er so
über die Mutter seiner Kinder redete, läßt freilich vermuten, daß die Häus¬
lichkeit des Sokrates auch für die Nachbarn störend war. Er brauchte die
Kunde von den daheim bestandenen Scharmützeln nicht erst unter die Leute zu
bringen. Aber wenn er solcher Art für den großen Erfahrungssatz eintrat, daß
stürmische Naturen vor allem in der Ehe ans Nachsicht Anspruch haben, und
daß die Ehe überhaupt in den meisten Fällen die wichtige Nebenaufgabe lösen
soll, eine Schule der Geduld zu sein, so thut man umsomehr Unrecht, Frau
Xanthippe, wie es zumeist geschieht, sich als etwas Abschreckendes und einzig in


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[0113] Auf der Leiter des Glücks. diese Bürgschaft nicht übernommen haben, denn während sie so redete, war Her- mione in einem sehr ausgelassenen Zwiegespräch mit dem Prinzen Ottokar be¬ griffen, sie, über die verschlossene Pforte des großen buschigen Hintergrundes der Villa Mockritz hinweg dem prinzlichen Pferde ans der Fläche ihrer zierlichen Hand kleine Zuckerstückchen reichend, er, vom Sattel herab mit eingekniffenen Augenglase, während er muntre Geschichten auftischte, sich an dem reizvollen Bau ihrer maßvoll entwickelten Gestalt mit Kennermiene weidend. In einiger Entfernung hielt der Flügeladjutant mit dem Blick nach der Richtung, wo etwa Störungen zu befürchten waren, und erst als er durch ein Räuspern zur Vor¬ sicht mahnte, brach der Prinz das Plauderstündchen ab und sprengte mit jenem davon. Fünftes Rapitel. So oft über die Ehe tiefe Spekulationen angestellt werden, pflegt man bis auf Sokrates zurückzugreifen, wobei die doch ohne Zweifel nach vielen Rich¬ tungen musterhafte Gattin desselben in eine möglichst unvorteilhafte Beleuchtung gerückt wird. Oder geschieht ihr damit kein Unrecht? Läßt sich nachweisen, daß sie sich anders betrug, als die meisten aufbrausend gearteten Naturen sich betragen würden — gleichviel, ob männliche oder weibliche —, wenn nämlich das Schicksal sie mit einem völlig entgegengesetzten Wesen zusammenschmiedete? Frau Sokrates war, wie es scheint, haushälterisch und tren, möglicherweise auch angenehm von Gestalt und Gesicht, denn alle Äußerungen des großen Welt¬ weisen wenden sich in Betreff seiner Xanthippe einzig gegen die Heftigkeit ihrer Impulse und die Zügellosigkeit ihrer Zunge. Daß ich dein streitsüchtiges Tem¬ perament, sagte er zu einem Freunde, sogut ertrage, dankst du meiner Xanthippe. Meine Henne gakelt viel, aber sie bringt mir Hühnchen, belehrte er einen andern. Wer auf einem schwer regierbarcn Pferde das Reiten lernte, der hat den Vor¬ teil, auch mit einem fügsamern fertig zu werden, so äußerte er gegen einen dritten. Immer ist es einzig ihr hitziges Temperament, von dem er zu er¬ zählen weiß. Wie verglich er den Lärm in seinem Hause mit dem Straßen¬ geräusch und den Vorteilen desselben? Wer in einer lärmenden Geschäftsstraße wohnt, sagte er einmal, der hört nicht mehr das Wagenrasseln. Daß er so über die Mutter seiner Kinder redete, läßt freilich vermuten, daß die Häus¬ lichkeit des Sokrates auch für die Nachbarn störend war. Er brauchte die Kunde von den daheim bestandenen Scharmützeln nicht erst unter die Leute zu bringen. Aber wenn er solcher Art für den großen Erfahrungssatz eintrat, daß stürmische Naturen vor allem in der Ehe ans Nachsicht Anspruch haben, und daß die Ehe überhaupt in den meisten Fällen die wichtige Nebenaufgabe lösen soll, eine Schule der Geduld zu sein, so thut man umsomehr Unrecht, Frau Xanthippe, wie es zumeist geschieht, sich als etwas Abschreckendes und einzig in

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Erstes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_158199/113>, abgerufen am 04.07.2024.