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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Sachsens Kunstleben im sechzehnten Jahrhundert.

Trophäen aus den Türkenkriegcn, die Büchsenkammer mit zahlreichen Buchsen
und Pistolen "verschiedener Invention," die Jägerkammer mit Hirschfängern,
Waidmessern, Jagdhörnern und künstlichen Hundehalsbändern, die Harnisch-
kammer mit einem großen Vorräte von Harnischen, die Dcckenkammer mit kost¬
baren, in Gold und Silber gestickten Decken und Schabracken. Man erstaunt,
wie Christian während seiner kurzen, kaum sechsjährigen Regierungszeit alle
diese Schätze zusammenbringen konnte.

Wie großartig mußte nach allen diesen Bauten Dresden am Ende des
sechzehnten Jahrhunderts sich darstellen! Hoch über der Stadt ragte das
Schloß hervor, ein mächtiger, glanzvoller Renaissancebau, das Werk des tüchtigen
Kaspar Voigt von Wiercmdt, von italienischen Meistern von der höchsten Spitze
bis zum Sockel herab mit wuchtigen Sgrasfittos geziert und von phantastisch
geformten Türmen überragt; dicht dabei stand der ornamentstrotzende Georgen¬
bau und abermals daneben der Stallhof mit seinem Sgraffittofries und seiner
märchenhaften Pracht im Innern!

Man fragt unwillkürlich: Was ist von all den Herrlichkeiten, welche die
sächsischen Fürsten im Laufe eines ganzen Jahrhunderts erstehen ließen, heute
noch übrig? Leider nur weniges. Die Schöpfungen der ernestinischen wie
der albertinischen Fürsten hatten gleichmäßig unter den Schlägen der folgenden
Zeit zu leiden.

Das Schloß und die Schloßkirche zu Wittenberg, die Hauptschöpfungen
Friedrichs des Weisen, fanden im siebenjährigen Kriege ihren Untergang. Mit
plötzlicher Besetzung Sachsens eröffnete bekanntlich Friedrich den Feldzug.
Wittenberg lag an der Grenze; am 29. August 1756 zogen die Preußen in
die Stadt ein und behaupteten sie bis 1760. Da kam das Verhängnis. Am
Michaelistage 1760 rückte die vereinigte Reichsarmee unter Oberanführung
des Herzogs von Zweibrücken von der Elsterseite heran, und es begann am
13. Oktober eine furchtbare Kanonade. Bald standen Schloß und Schloßkirche
in Flammen. Alle Kunstwerke der Kirche verbrannten; nur die nackten Wände
blieben stehen. Zwar begann man schon vor dem Hubertsburger Frieden
die Wiederherstellung, sodaß am 6. August 1770 das Kirchengebäude
wieder eingeweiht werden konnte. Aber noch einmal, in den Freiheitskriegen,
hatte Wittenberg eine Gefahr zu bestehen. Im Jahre 1806, nach der
Schlacht bei Jena, wurde die Kirche für Kriegsbedürfnisse in Anspruch ge¬
nommen und teils als Mehlmagazin, teils als Lazaret benutzt; am 6. Sep¬
tember 1813, als das von den Franzosen besetzte Wittenberg von den Preußen
beschossen wurde, wurde sie als Zitadelle befestigt. Was wir heute von Schloß
und Kirche vor uns sehen, hat mit den Schöpfungen Friedrichs des Weisen
wenig mehr zu thun. Das Schloß ist seit 1819 zu einer Festung und Kaserne
mit bombenfester Dachung ausgebaut worden und das Innere nach den neuern
Bedürfnissen ausgestattet. Nur im Schloßhofe bemerkt man noch die Spuren


Sachsens Kunstleben im sechzehnten Jahrhundert.

Trophäen aus den Türkenkriegcn, die Büchsenkammer mit zahlreichen Buchsen
und Pistolen „verschiedener Invention," die Jägerkammer mit Hirschfängern,
Waidmessern, Jagdhörnern und künstlichen Hundehalsbändern, die Harnisch-
kammer mit einem großen Vorräte von Harnischen, die Dcckenkammer mit kost¬
baren, in Gold und Silber gestickten Decken und Schabracken. Man erstaunt,
wie Christian während seiner kurzen, kaum sechsjährigen Regierungszeit alle
diese Schätze zusammenbringen konnte.

Wie großartig mußte nach allen diesen Bauten Dresden am Ende des
sechzehnten Jahrhunderts sich darstellen! Hoch über der Stadt ragte das
Schloß hervor, ein mächtiger, glanzvoller Renaissancebau, das Werk des tüchtigen
Kaspar Voigt von Wiercmdt, von italienischen Meistern von der höchsten Spitze
bis zum Sockel herab mit wuchtigen Sgrasfittos geziert und von phantastisch
geformten Türmen überragt; dicht dabei stand der ornamentstrotzende Georgen¬
bau und abermals daneben der Stallhof mit seinem Sgraffittofries und seiner
märchenhaften Pracht im Innern!

Man fragt unwillkürlich: Was ist von all den Herrlichkeiten, welche die
sächsischen Fürsten im Laufe eines ganzen Jahrhunderts erstehen ließen, heute
noch übrig? Leider nur weniges. Die Schöpfungen der ernestinischen wie
der albertinischen Fürsten hatten gleichmäßig unter den Schlägen der folgenden
Zeit zu leiden.

Das Schloß und die Schloßkirche zu Wittenberg, die Hauptschöpfungen
Friedrichs des Weisen, fanden im siebenjährigen Kriege ihren Untergang. Mit
plötzlicher Besetzung Sachsens eröffnete bekanntlich Friedrich den Feldzug.
Wittenberg lag an der Grenze; am 29. August 1756 zogen die Preußen in
die Stadt ein und behaupteten sie bis 1760. Da kam das Verhängnis. Am
Michaelistage 1760 rückte die vereinigte Reichsarmee unter Oberanführung
des Herzogs von Zweibrücken von der Elsterseite heran, und es begann am
13. Oktober eine furchtbare Kanonade. Bald standen Schloß und Schloßkirche
in Flammen. Alle Kunstwerke der Kirche verbrannten; nur die nackten Wände
blieben stehen. Zwar begann man schon vor dem Hubertsburger Frieden
die Wiederherstellung, sodaß am 6. August 1770 das Kirchengebäude
wieder eingeweiht werden konnte. Aber noch einmal, in den Freiheitskriegen,
hatte Wittenberg eine Gefahr zu bestehen. Im Jahre 1806, nach der
Schlacht bei Jena, wurde die Kirche für Kriegsbedürfnisse in Anspruch ge¬
nommen und teils als Mehlmagazin, teils als Lazaret benutzt; am 6. Sep¬
tember 1813, als das von den Franzosen besetzte Wittenberg von den Preußen
beschossen wurde, wurde sie als Zitadelle befestigt. Was wir heute von Schloß
und Kirche vor uns sehen, hat mit den Schöpfungen Friedrichs des Weisen
wenig mehr zu thun. Das Schloß ist seit 1819 zu einer Festung und Kaserne
mit bombenfester Dachung ausgebaut worden und das Innere nach den neuern
Bedürfnissen ausgestattet. Nur im Schloßhofe bemerkt man noch die Spuren


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/95>, abgerufen am 29.12.2024.