Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.Die französische Romantik im Anfang und Ausgang. wo klaffte der Abgrund, der angeblich die klassischen Werke von dem neuen Grenzboten IV. 1884. 10
Die französische Romantik im Anfang und Ausgang. wo klaffte der Abgrund, der angeblich die klassischen Werke von dem neuen Grenzboten IV. 1884. 10
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Die französische Romantik im Anfang und Ausgang.
wo klaffte der Abgrund, der angeblich die klassischen Werke von dem neuen
trennte? Das Trauerspiel von Racine bis zu Jouy und Arnault hatte von
den vielberufenen, angeblich aristotelischen drei Einheiten der Handlung, der
Zeit und des Orts vor allem die letztere festgehalten und sich schon dadurch
der Antike verwandt gefühlt. Ein neutraler Ort, eine Säulenhalle, die den
Vorraum eines Tempels, das Vorzimmer eines Fürstenpalastes darstellte, genügte,
um die Handlung zu inszeniren, die im Verlauf eines Tages, am liebsten einiger
Stunden sich abspielen mußte und deren Eigenart es daher blieb, das Drama
im Augenblick der Katastrophe zu beginnen, aber durch künstliches Retardiren,
durch eine scheinbare Rückwendung zu einem dem Hörer durch Erzählungen
vermittelten Ausgangspunkte bewegter zu gestalten. Die französische Tragödie
war der Regel nach ein fünfter Akt, den die Kunst des Dichters zu fünf Akten
auszudehnen hatte. Für sie gab es weder Episoden, noch Volks- und Massen¬
szenen. In strengster Konzentration genügten einige Personen als Träger der
Handlung, über Spieler und Gegenspieler, Vertrauten oder Vertraute der beiden
Parteien ging die Personenzahl selten hinaus. Die Handlung, die immer nur
tragische Konflikte und Schicksale gesellschaftlich hochstehender Menschen, am
liebsten fürstlicher Persönlichkeiten, darstellte, beschränkte sich auf den Zu¬
sammenstoß zweier Leidenschaften, zweier Rechte, die eigentlichen realen Vor¬
gänge waren hinter die Szene gelegt, in der Wiedergabe der durch den Konflikt
oder durch die Vorgänge erregten Leidenschaften entfaltete der Dichter seine
eigentliche und einzige Stärke. Um die Tragödie sicher vor der gemeinen Welt
und dem Vergleich mit dem Alltag zu stellen, ward sie fast unabänderlich in
weit zurückliegende Zeiten oder auf weitentlegene Schauplätze gebannt, da nach
Raeines Wort „das, was tausend Jahre oder tausend Meilen weit entfernt sei,
die Menge mit gleicher Ehrfurcht erfülle." Nicht aus Vorliebe für den
Hintergrund Griechenlands, Roms und des Orients, weit entfernt von dem
Wunsche, das Lokalkolorit des Altertums wiederzugeben, sollten diese Entrückung
und dieser traditionelle Hintergrund nur den einen Hauptzweck fördern. Die
Entwicklung und Darstellung des innern Menschen ist dieser eine Hauptzweck,
isolirte, simplisizirte, fast abstrakt gewordene Gefühle und Leidenschaften, die je
durch einen Träger dargestellt werden, bilden den ganzen Inhalt der französischen
Tragödie. Der Stil derselben mußte notwendig rhetorisch sein, der einen
Aufgabe, das Innere, den bewegenden Gedanken oder die bewegende Leidenschaft
darzustellen, ward alles andre geopfert. So glichen sich notwendig der Aufbau,
die bis zum äußersten sorgfältigen, aber simplifizirten Motivirungen, die Situa¬
tionen, die Charakteristik und zuletzt selbst die Sprache der klassischen Tragödien.
Eine gewisse Eintönigkeit war von der Form unzertrennlich, die Gebundenheit
an den nationalen Vers, an den Alexandriner, der mit seiner Doppelteilung
jedem Gedanken eine epigrammatische Schranke baute, hatte man längst
als lästig empfunden. Aber man war dabei geblieben, daß man die äußere
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