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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Die französische Romantik im Anfang und Ausgang.

gefunden, daß er die Saat, die hier aufgehe, zuerst gestreut habe; der Herzog
von Fitzjames hielt mit der unnachahmlichen Anmut des altfranzösischen ZMiul
ssi^neur den Verwünschern der Romantik entgegen: ob denn der franzö¬
sische Patriotismus in alle Ewigkeit dazu verpflichte, der Langenweile zu
huldigen; einzelne Größen vergangner Tage, wie Benjamin Constant, der
Tribun, und Madame Recamier, die vielgefeierte Salonkönigin, nahmen das
Wort für den kühnen Dichter, welcher die von Boileau aufgerichteten, von
Racine geheiligten Schranken, an denen doch selbst ein Voltaire nur zu rütteln
gewagt hatte, ohne weiteres übersprang. Eine Minderheit der Gebildeten war
in der einfachen Erwartung gekommen, ein interessantes neues Schauspiel, sei
es nun trefflich, sei es verwerflich, zu erblicken. Die weitaus größte Zahl aber
füllte mit der vorgefaßten Meinung, daß die Aufführung des "Hernani" ein
Sakrilegium, ein Frevel an der altheiliger Tradition der französischen Literatur
und der nationalen Bühne sei, die Hallen des IluMrs irMeMs.

Die Parteiung, welche in der geschilderten Weise vor dem Vorhänge waltete,
setzte sich auch auf die Bretter selbst fort. Ein kleiner Teil der Darsteller, den
alten Joanny an der Spitze, waren Anhänger Victor Hugos und der von ihm
vertretenen neuen romantischen Dichterschule, der größere Teil unter Führung
der berühmtesten Tragödin des französischen Theaters, Mademoiselle Mars, hatte
nur einer Pflicht des Anstandes gegen ein unzweifelhaft großes Talent, einer
vorsichtigen Erwägung, daß der Erfolg der neuen Dichtung immerhin möglich
sei, genügt. Sie wünschten den Erfolg nicht, sie würden gern durch eine un¬
zweifelhafte Niederlage des "Hernnni" auf Jahre hinaus die Geltung des alten
Stils begründet gesehen haben, sie hatten in den Proben mit dem Dichter um
seine kühnen Bilder und seine hochfliegenden Sentenzen gerechtet, sie hatten sich
nur widerwillig zu dem von dem Drama geforderten charakteristischen Kostüm
entschlossen. Sie begegneten dem Verfasser des "Hernani," als derselbe sich bei
ihnen hinter den Koulissen einfand, mit eisigen Mienen und unheilverkündendem
Schweigen. ^

Seltsam wie diese Vorspiele war auch der Verlauf der Aufführung. Die
atemlose Spannung, die begierige Stille beim Anfang der Tragödie sicherten
den Eingangsszenen der Dichtung jenes ruhige Anhören, mit dem sich unbewußt
ein Interesse an der vorgeführten Handlung und den handelnden Gestalten
verbindet. Die Jugend im Parterre wagte noch vor dem Schluß des ersten
Aktes in stürmische Beifallszeichen auszubrechen und fand keinen nennenswerten
Widerstand. Kühner gemacht, begrüßten sie die Entwicklung des zweiten Aktes
mit einem Jubel, den nun bereits einige aus dem neutralen Publikum zu teilen
anfingen. Im dritten Alt lagen die gefährlichen und entscheidenden Stellen
des Stückes -- die ersten Szenen dieses Aktes wurden in der That mit Zischen
und Pfeifen aus den Logen und von der ersten Galerie begrüßt. Aber die
Garde Victor Hugos hielt wacker Stand, und von der Szene an, wo der


Die französische Romantik im Anfang und Ausgang.

gefunden, daß er die Saat, die hier aufgehe, zuerst gestreut habe; der Herzog
von Fitzjames hielt mit der unnachahmlichen Anmut des altfranzösischen ZMiul
ssi^neur den Verwünschern der Romantik entgegen: ob denn der franzö¬
sische Patriotismus in alle Ewigkeit dazu verpflichte, der Langenweile zu
huldigen; einzelne Größen vergangner Tage, wie Benjamin Constant, der
Tribun, und Madame Recamier, die vielgefeierte Salonkönigin, nahmen das
Wort für den kühnen Dichter, welcher die von Boileau aufgerichteten, von
Racine geheiligten Schranken, an denen doch selbst ein Voltaire nur zu rütteln
gewagt hatte, ohne weiteres übersprang. Eine Minderheit der Gebildeten war
in der einfachen Erwartung gekommen, ein interessantes neues Schauspiel, sei
es nun trefflich, sei es verwerflich, zu erblicken. Die weitaus größte Zahl aber
füllte mit der vorgefaßten Meinung, daß die Aufführung des „Hernani" ein
Sakrilegium, ein Frevel an der altheiliger Tradition der französischen Literatur
und der nationalen Bühne sei, die Hallen des IluMrs irMeMs.

Die Parteiung, welche in der geschilderten Weise vor dem Vorhänge waltete,
setzte sich auch auf die Bretter selbst fort. Ein kleiner Teil der Darsteller, den
alten Joanny an der Spitze, waren Anhänger Victor Hugos und der von ihm
vertretenen neuen romantischen Dichterschule, der größere Teil unter Führung
der berühmtesten Tragödin des französischen Theaters, Mademoiselle Mars, hatte
nur einer Pflicht des Anstandes gegen ein unzweifelhaft großes Talent, einer
vorsichtigen Erwägung, daß der Erfolg der neuen Dichtung immerhin möglich
sei, genügt. Sie wünschten den Erfolg nicht, sie würden gern durch eine un¬
zweifelhafte Niederlage des „Hernnni" auf Jahre hinaus die Geltung des alten
Stils begründet gesehen haben, sie hatten in den Proben mit dem Dichter um
seine kühnen Bilder und seine hochfliegenden Sentenzen gerechtet, sie hatten sich
nur widerwillig zu dem von dem Drama geforderten charakteristischen Kostüm
entschlossen. Sie begegneten dem Verfasser des „Hernani," als derselbe sich bei
ihnen hinter den Koulissen einfand, mit eisigen Mienen und unheilverkündendem
Schweigen. ^

Seltsam wie diese Vorspiele war auch der Verlauf der Aufführung. Die
atemlose Spannung, die begierige Stille beim Anfang der Tragödie sicherten
den Eingangsszenen der Dichtung jenes ruhige Anhören, mit dem sich unbewußt
ein Interesse an der vorgeführten Handlung und den handelnden Gestalten
verbindet. Die Jugend im Parterre wagte noch vor dem Schluß des ersten
Aktes in stürmische Beifallszeichen auszubrechen und fand keinen nennenswerten
Widerstand. Kühner gemacht, begrüßten sie die Entwicklung des zweiten Aktes
mit einem Jubel, den nun bereits einige aus dem neutralen Publikum zu teilen
anfingen. Im dritten Alt lagen die gefährlichen und entscheidenden Stellen
des Stückes — die ersten Szenen dieses Aktes wurden in der That mit Zischen
und Pfeifen aus den Logen und von der ersten Galerie begrüßt. Aber die
Garde Victor Hugos hielt wacker Stand, und von der Szene an, wo der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/76>, abgerufen am 29.12.2024.