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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Aus der Diplomatenschule.

aber von Busch (a, a. O, S. 237) auch mit drastischen Beispielen belegt. Über
dem Glänze von Nebensachen ist ihnen, heißt es da, der Sinn für den Kern
der Dinge verloren gegangen. Sie berichten über Nichtigkeiten, die nur höheres
oder niederes Hofgesinde interessiren können, etwa: "Der Beinschaden Ihrer
königlichen Hoheit der Prinzessin A'. scheint sich verschlimmert zu haben" -- mit
ausführlicher Motivirung der Ansicht, oder Depesche 101: "Das Befinden Seiner
Majestät seiner für ganz Deutschland, ausgenommen ein paar Hofmarschälle
von Kalb und zwei oder drei Ordensjäger, durchaus irrelevanten kleinen Majestät)
bessert sich." Depesche Ur. 102 sam nächsten Tage): "Se. Majestät haben ver¬
gangne Nacht gut geschlafen." Depesche Ur. 103: "Die Krankheit Sr. Majestät
ist im Abnehmen." Sie erstatten, auf eiuer Reise begriffen, ihrem Minister über
jeden Empfang, der ihnen während derselben zuteil wird, sagen wir in Pest, in
Nustschuk, in Varna, beim Großwessir, beim Sultan detaillirteste Meldung.
Sie werden in betreff ihres Urteils über Zustände und Personen von der mehr
oder minder aufmerksamen Behandlung abhängig, die man ihnen persönlich
widerfahren läßt, und damit zu Wetterfahnen, die heute dies und morgen das
entgegengesetzte anzeigen, selten oder niemals aber das rechte. Sie lassen sich,
unerfahren in den Verhältnissen, die außerhalb des Hofes und des niKv.-1its
sich gebildet haben oder im Entstehen begriffen sind, wenigstens nur ganz ober¬
flächlich mit ihnen bekannt, die absurdesten Fabeln, Mißverständnisse und Über¬
treibungen aufbinden, die sie dann, zuweilen in hochkomisch pathetischer Rede,
ihren Mitteilungen an die heimische Negierung einverleiben. "Ich habe, erzählt
der Verfasser, Referate eines auswärtigen Gesandten ^am Dresdener Hofe?) vor
Augen gehabt, in welchen über die Demokraten und Sozialisten in Sachsen
und Böhmen Dinge zu lesen waren, deren Abgeschmacktheit und Sinnlosigkeit
geradezu gen Himmel schrie, und welche die betreffende Exzellenz gleichwohl als
baare Münze hingenommen hatte und nun ihrem Kanzler hinzählte, damit er
seinen Schatz von Kenntnissen mit ihnen bereichere. Ich bedauere aber hinzu¬
fügen zu müssen, daß ich gegründete Ursache habe, anzunehmen, es werde in
dieser und ähnlicher Beziehung auch intra inuros gesündigt, nur habe ich den
Trost, daß dergleichen Unsinn bei dem, welchem er diplomatisch berichtet wurde,
die rechte Würdigung gefunden haben wird."

Der schriftliche Verkehr des Gesandten mit der Regierung, bei der er
akkreditirt ist, wird durch Übersendung von einfachen Zuschriften, von Denk¬
schreiben, unterzeichneten Noten, Verbalnoten unterhalten. Alle wichtigen Ge¬
schäfte werden auf diese Weise behandelt, weil durch schriftliche Mitteilungen
leichter Mißverständnissen vorgebeugt werdeu kaun; andrerseits aber lassen sich
geringe Umstände und Bedenken auf mündlichem Wege rascher beseitigen, und
so verbindet man bei Verhandlungen gewöhnlich beide Methoden in der Art,
daß man die schriftliche Erörterung durch eine mündliche vorbereitet. Aus¬
führliche Noten, welche eine Auseinandersetzung, ein Anerbieten oder die


Aus der Diplomatenschule.

aber von Busch (a, a. O, S. 237) auch mit drastischen Beispielen belegt. Über
dem Glänze von Nebensachen ist ihnen, heißt es da, der Sinn für den Kern
der Dinge verloren gegangen. Sie berichten über Nichtigkeiten, die nur höheres
oder niederes Hofgesinde interessiren können, etwa: „Der Beinschaden Ihrer
königlichen Hoheit der Prinzessin A'. scheint sich verschlimmert zu haben" — mit
ausführlicher Motivirung der Ansicht, oder Depesche 101: „Das Befinden Seiner
Majestät seiner für ganz Deutschland, ausgenommen ein paar Hofmarschälle
von Kalb und zwei oder drei Ordensjäger, durchaus irrelevanten kleinen Majestät)
bessert sich." Depesche Ur. 102 sam nächsten Tage): „Se. Majestät haben ver¬
gangne Nacht gut geschlafen." Depesche Ur. 103: „Die Krankheit Sr. Majestät
ist im Abnehmen." Sie erstatten, auf eiuer Reise begriffen, ihrem Minister über
jeden Empfang, der ihnen während derselben zuteil wird, sagen wir in Pest, in
Nustschuk, in Varna, beim Großwessir, beim Sultan detaillirteste Meldung.
Sie werden in betreff ihres Urteils über Zustände und Personen von der mehr
oder minder aufmerksamen Behandlung abhängig, die man ihnen persönlich
widerfahren läßt, und damit zu Wetterfahnen, die heute dies und morgen das
entgegengesetzte anzeigen, selten oder niemals aber das rechte. Sie lassen sich,
unerfahren in den Verhältnissen, die außerhalb des Hofes und des niKv.-1its
sich gebildet haben oder im Entstehen begriffen sind, wenigstens nur ganz ober¬
flächlich mit ihnen bekannt, die absurdesten Fabeln, Mißverständnisse und Über¬
treibungen aufbinden, die sie dann, zuweilen in hochkomisch pathetischer Rede,
ihren Mitteilungen an die heimische Negierung einverleiben. „Ich habe, erzählt
der Verfasser, Referate eines auswärtigen Gesandten ^am Dresdener Hofe?) vor
Augen gehabt, in welchen über die Demokraten und Sozialisten in Sachsen
und Böhmen Dinge zu lesen waren, deren Abgeschmacktheit und Sinnlosigkeit
geradezu gen Himmel schrie, und welche die betreffende Exzellenz gleichwohl als
baare Münze hingenommen hatte und nun ihrem Kanzler hinzählte, damit er
seinen Schatz von Kenntnissen mit ihnen bereichere. Ich bedauere aber hinzu¬
fügen zu müssen, daß ich gegründete Ursache habe, anzunehmen, es werde in
dieser und ähnlicher Beziehung auch intra inuros gesündigt, nur habe ich den
Trost, daß dergleichen Unsinn bei dem, welchem er diplomatisch berichtet wurde,
die rechte Würdigung gefunden haben wird."

Der schriftliche Verkehr des Gesandten mit der Regierung, bei der er
akkreditirt ist, wird durch Übersendung von einfachen Zuschriften, von Denk¬
schreiben, unterzeichneten Noten, Verbalnoten unterhalten. Alle wichtigen Ge¬
schäfte werden auf diese Weise behandelt, weil durch schriftliche Mitteilungen
leichter Mißverständnissen vorgebeugt werdeu kaun; andrerseits aber lassen sich
geringe Umstände und Bedenken auf mündlichem Wege rascher beseitigen, und
so verbindet man bei Verhandlungen gewöhnlich beide Methoden in der Art,
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führliche Noten, welche eine Auseinandersetzung, ein Anerbieten oder die


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[0611] Aus der Diplomatenschule. aber von Busch (a, a. O, S. 237) auch mit drastischen Beispielen belegt. Über dem Glänze von Nebensachen ist ihnen, heißt es da, der Sinn für den Kern der Dinge verloren gegangen. Sie berichten über Nichtigkeiten, die nur höheres oder niederes Hofgesinde interessiren können, etwa: „Der Beinschaden Ihrer königlichen Hoheit der Prinzessin A'. scheint sich verschlimmert zu haben" — mit ausführlicher Motivirung der Ansicht, oder Depesche 101: „Das Befinden Seiner Majestät seiner für ganz Deutschland, ausgenommen ein paar Hofmarschälle von Kalb und zwei oder drei Ordensjäger, durchaus irrelevanten kleinen Majestät) bessert sich." Depesche Ur. 102 sam nächsten Tage): „Se. Majestät haben ver¬ gangne Nacht gut geschlafen." Depesche Ur. 103: „Die Krankheit Sr. Majestät ist im Abnehmen." Sie erstatten, auf eiuer Reise begriffen, ihrem Minister über jeden Empfang, der ihnen während derselben zuteil wird, sagen wir in Pest, in Nustschuk, in Varna, beim Großwessir, beim Sultan detaillirteste Meldung. Sie werden in betreff ihres Urteils über Zustände und Personen von der mehr oder minder aufmerksamen Behandlung abhängig, die man ihnen persönlich widerfahren läßt, und damit zu Wetterfahnen, die heute dies und morgen das entgegengesetzte anzeigen, selten oder niemals aber das rechte. Sie lassen sich, unerfahren in den Verhältnissen, die außerhalb des Hofes und des niKv.-1its sich gebildet haben oder im Entstehen begriffen sind, wenigstens nur ganz ober¬ flächlich mit ihnen bekannt, die absurdesten Fabeln, Mißverständnisse und Über¬ treibungen aufbinden, die sie dann, zuweilen in hochkomisch pathetischer Rede, ihren Mitteilungen an die heimische Negierung einverleiben. „Ich habe, erzählt der Verfasser, Referate eines auswärtigen Gesandten ^am Dresdener Hofe?) vor Augen gehabt, in welchen über die Demokraten und Sozialisten in Sachsen und Böhmen Dinge zu lesen waren, deren Abgeschmacktheit und Sinnlosigkeit geradezu gen Himmel schrie, und welche die betreffende Exzellenz gleichwohl als baare Münze hingenommen hatte und nun ihrem Kanzler hinzählte, damit er seinen Schatz von Kenntnissen mit ihnen bereichere. Ich bedauere aber hinzu¬ fügen zu müssen, daß ich gegründete Ursache habe, anzunehmen, es werde in dieser und ähnlicher Beziehung auch intra inuros gesündigt, nur habe ich den Trost, daß dergleichen Unsinn bei dem, welchem er diplomatisch berichtet wurde, die rechte Würdigung gefunden haben wird." Der schriftliche Verkehr des Gesandten mit der Regierung, bei der er akkreditirt ist, wird durch Übersendung von einfachen Zuschriften, von Denk¬ schreiben, unterzeichneten Noten, Verbalnoten unterhalten. Alle wichtigen Ge¬ schäfte werden auf diese Weise behandelt, weil durch schriftliche Mitteilungen leichter Mißverständnissen vorgebeugt werdeu kaun; andrerseits aber lassen sich geringe Umstände und Bedenken auf mündlichem Wege rascher beseitigen, und so verbindet man bei Verhandlungen gewöhnlich beide Methoden in der Art, daß man die schriftliche Erörterung durch eine mündliche vorbereitet. Aus¬ führliche Noten, welche eine Auseinandersetzung, ein Anerbieten oder die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/611>, abgerufen am 29.12.2024.