Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.Ungehaltene Reden eines Nichtgewähltcn. zutrauen. Dann hören Sie aber auch auf, in den Massen der mit ihrem Loose Da lobe ich mir Herrn Richter! Welche erhabene Lebensaufgabe dieser sich Apropos Parlamente! Es thut Herrn Windthorsts "deutschem Gefühle Ungehaltene Reden eines Nichtgewähltcn. zutrauen. Dann hören Sie aber auch auf, in den Massen der mit ihrem Loose Da lobe ich mir Herrn Richter! Welche erhabene Lebensaufgabe dieser sich Apropos Parlamente! Es thut Herrn Windthorsts „deutschem Gefühle <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0597" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/157522"/> <fw type="header" place="top"> Ungehaltene Reden eines Nichtgewähltcn.</fw><lb/> <p xml:id="ID_2051" prev="#ID_2050"> zutrauen. Dann hören Sie aber auch auf, in den Massen der mit ihrem Loose<lb/> Unzufriedenen nebelhafte Vorstellungen zu erzeuge», die, wie Sie recht gut wissen,<lb/> niemals Wahrheit werden können. Mögen Sie noch so energisch gegen die<lb/> Gemeinschaft mit den sogenannten Anarchisten protestiren: diese sind die Früchte<lb/> der von gewissen Herren „Führern" der Sozialdemokraten unablässig ausge¬<lb/> streuten Saat, und diese Herren Führer laden eine ebenso schwere Schuld auf<lb/> sich, wie Mazzini, der fort und fort Verblendete in die Kerker oder in den<lb/> Tod schickte, ohne die Italiener der ersehnten Einheit um einen Schritt näher<lb/> zu bringen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2052"> Da lobe ich mir Herrn Richter! Welche erhabene Lebensaufgabe dieser sich<lb/> gestellt hat, weiß wenigstens ein jeder, nämlich: den Reichskanzler zu ärgern.<lb/> Allein er wird sich doch nächstens um neue Mittelchen umthun müssen, die alten,<lb/> allbekannten scheinen nicht mehr zu ziehen. Als er neulich seinem bedrängten<lb/> Freunde Bamberger beispringen wollte, machte dieser ein Gesicht, als wollte er<lb/> sagen: „Wenn ich schon mit meinen Feinden nicht fertig werde, sollten mich<lb/> wenigstens meine Genossen nicht noch lächerlicher machen." Die so schlagende<lb/> Parallele des Kanzlers zwischen dem einzigen büraukratischen Bedenken gegen<lb/> eine Bahn von Berlin nach Magdeburg und Bambergers schlauer Berechnung<lb/> der Unfruchtbarkeit einer Dampferlinie erklärte Herr Richter für nicht treffend,<lb/> weil es sich im ersteren Falle um eine neue Kraft gehandelt habe, im letztern<lb/> nicht. O weiser Daniel, gerechter Richter! Wird auf einer Strecke, die bisher<lb/> von einer Botenfrau bedient wurde, eine PostVerbindung eingerichtet, so kann<lb/> diese rentiren, weil eine neue Kraft ins Mittel tritt; ging dort jedoch schon ein<lb/> Hauderer, falls gerade Passagiere vorhanden waren, so kann der regelmäßig<lb/> gehende Postwagen den Verkehr nicht erhöhen, denn er ist ja keine neue Kraft!<lb/> Wie doch ein einziges genial hingeworfenes Wort Licht verbreitet! Hätte<lb/> Carlyle diesen „Gedankenblitz" noch erlebt, er wurde die von Fronde mitgeteilten<lb/> dcspektirlichen Aeußerungen über parlamentarische Versammlungen sofort feierlich<lb/> zurückgenommen haben."</p><lb/> <p xml:id="ID_2053"> Apropos Parlamente! Es thut Herrn Windthorsts „deutschem Gefühle<lb/> weh, das deutsche Parlament so wenig geachtet zu sehen. Welchem deutschen<lb/> Gefühle thäte das nicht weh nach den großen, stolzen Erwartungen, mit welchen<lb/> diese Institution begrüßt wurde! Aber das kann gleich besser werden, wenn<lb/> das deutsche Gefühl bei den Herren Windthorst und Genossen nur recht lebendig<lb/> ist und bleibt, und sie sich jeden Morgen auf dem Wege zum Sitzungslokale<lb/> ins Gedächtnis rufen, wozu sie eigentlich zusammenkommen. Wenn aber die<lb/> Parteihäupter beim Abschluß von Bündnissen auch ferner einen so weitgehenden<lb/> Liberalismus walten lassen, wenn das deutsche Gefühl des Herrn Windthorst<lb/> und der Seinen sich nicht dagegen sträubt, für das Polentum gegen das Deutsch¬<lb/> tum und für das Judentum gegen das Christentum Geschäfte zu besorgen, dann<lb/> ist wenig Aussicht auf Erhöhung des Respekts vor dem Parlamente. Herr<lb/> Windthorst ist freilich so unschuldig wie — Herr Bebel. Er weiß gar nichts<lb/> von den Hoffnungen und Plänen des polnischen Adels, die Zeitungen, in<lb/> welchen galizische Grafen und Fürsten mit unaussprechlichen Namen ihr Pro¬<lb/> gramm entwickelten, waren vermutlich eben „in der Hand," als der Abgeordnete<lb/> für Meppen sie zu lesen verlangte, und nachher hatte er nicht mehr die erfor¬<lb/> derliche Zeit. Also wird hoffentlich auch er meine» Antrag auf Vermehrung<lb/> der Bibliotheksmittel unterstützen.</p><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0597]
Ungehaltene Reden eines Nichtgewähltcn.
zutrauen. Dann hören Sie aber auch auf, in den Massen der mit ihrem Loose
Unzufriedenen nebelhafte Vorstellungen zu erzeuge», die, wie Sie recht gut wissen,
niemals Wahrheit werden können. Mögen Sie noch so energisch gegen die
Gemeinschaft mit den sogenannten Anarchisten protestiren: diese sind die Früchte
der von gewissen Herren „Führern" der Sozialdemokraten unablässig ausge¬
streuten Saat, und diese Herren Führer laden eine ebenso schwere Schuld auf
sich, wie Mazzini, der fort und fort Verblendete in die Kerker oder in den
Tod schickte, ohne die Italiener der ersehnten Einheit um einen Schritt näher
zu bringen.
Da lobe ich mir Herrn Richter! Welche erhabene Lebensaufgabe dieser sich
gestellt hat, weiß wenigstens ein jeder, nämlich: den Reichskanzler zu ärgern.
Allein er wird sich doch nächstens um neue Mittelchen umthun müssen, die alten,
allbekannten scheinen nicht mehr zu ziehen. Als er neulich seinem bedrängten
Freunde Bamberger beispringen wollte, machte dieser ein Gesicht, als wollte er
sagen: „Wenn ich schon mit meinen Feinden nicht fertig werde, sollten mich
wenigstens meine Genossen nicht noch lächerlicher machen." Die so schlagende
Parallele des Kanzlers zwischen dem einzigen büraukratischen Bedenken gegen
eine Bahn von Berlin nach Magdeburg und Bambergers schlauer Berechnung
der Unfruchtbarkeit einer Dampferlinie erklärte Herr Richter für nicht treffend,
weil es sich im ersteren Falle um eine neue Kraft gehandelt habe, im letztern
nicht. O weiser Daniel, gerechter Richter! Wird auf einer Strecke, die bisher
von einer Botenfrau bedient wurde, eine PostVerbindung eingerichtet, so kann
diese rentiren, weil eine neue Kraft ins Mittel tritt; ging dort jedoch schon ein
Hauderer, falls gerade Passagiere vorhanden waren, so kann der regelmäßig
gehende Postwagen den Verkehr nicht erhöhen, denn er ist ja keine neue Kraft!
Wie doch ein einziges genial hingeworfenes Wort Licht verbreitet! Hätte
Carlyle diesen „Gedankenblitz" noch erlebt, er wurde die von Fronde mitgeteilten
dcspektirlichen Aeußerungen über parlamentarische Versammlungen sofort feierlich
zurückgenommen haben."
Apropos Parlamente! Es thut Herrn Windthorsts „deutschem Gefühle
weh, das deutsche Parlament so wenig geachtet zu sehen. Welchem deutschen
Gefühle thäte das nicht weh nach den großen, stolzen Erwartungen, mit welchen
diese Institution begrüßt wurde! Aber das kann gleich besser werden, wenn
das deutsche Gefühl bei den Herren Windthorst und Genossen nur recht lebendig
ist und bleibt, und sie sich jeden Morgen auf dem Wege zum Sitzungslokale
ins Gedächtnis rufen, wozu sie eigentlich zusammenkommen. Wenn aber die
Parteihäupter beim Abschluß von Bündnissen auch ferner einen so weitgehenden
Liberalismus walten lassen, wenn das deutsche Gefühl des Herrn Windthorst
und der Seinen sich nicht dagegen sträubt, für das Polentum gegen das Deutsch¬
tum und für das Judentum gegen das Christentum Geschäfte zu besorgen, dann
ist wenig Aussicht auf Erhöhung des Respekts vor dem Parlamente. Herr
Windthorst ist freilich so unschuldig wie — Herr Bebel. Er weiß gar nichts
von den Hoffnungen und Plänen des polnischen Adels, die Zeitungen, in
welchen galizische Grafen und Fürsten mit unaussprechlichen Namen ihr Pro¬
gramm entwickelten, waren vermutlich eben „in der Hand," als der Abgeordnete
für Meppen sie zu lesen verlangte, und nachher hatte er nicht mehr die erfor¬
derliche Zeit. Also wird hoffentlich auch er meine» Antrag auf Vermehrung
der Bibliotheksmittel unterstützen.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |