Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.populäre Naturwissenschaft. laufender Kulturarbeit umgebildet wurde, sind mithin alle die Strömungen ent¬ populäre Naturwissenschaft. laufender Kulturarbeit umgebildet wurde, sind mithin alle die Strömungen ent¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0573" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/157498"/> <fw type="header" place="top"> populäre Naturwissenschaft.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1996" prev="#ID_1995" next="#ID_1997"> laufender Kulturarbeit umgebildet wurde, sind mithin alle die Strömungen ent¬<lb/> halten, in denen die seelische Thätigkeit des Menschengeschlechts, soweit sie auf<lb/> die Gegenwart noch Beziehung hat, jemals sich bewegte. Wieviel demnach an<lb/> fruchtbringender Bearbeitung des unendlichen Inhalts der modernen Zivilisation<lb/> auf jede einzelne Generation kam, wird nur der recht verstehen, der des unab¬<lb/> lässigen Auf- und Abwogens gedenkt, in dem von jeher die Denk- und Empfin¬<lb/> dungsweise der Menschen sich äußerte, der immer wiederholten Umsetzung aller<lb/> geistigen und sittlichen Werte, der unaufhörlichen Verluste, der stets geforderten<lb/> Kämpfe um Wiedergewinnung des Verlorenen und Sicherung des Bedrohten.<lb/> Wir haben rapiden Verfall und langsame Wiederherstellung gesehen, und zumeist<lb/> entsprang jener nicht einer absichtlichen Verschleuderung des überlieferten Be¬<lb/> sitzes, sondern einer einseitigen Vertiefung in einzelne Richtungen des seelischen<lb/> Lebens neben einem sorglosen Gehenlassen aller übrigen. Wir sind nicht mehr<lb/> imstande, die einzelnen Generationen einigermaßen genau zu kontroliren in bezug<lb/> auf eine gewissenhafte Ausführung der auf sie fallenden Kulturarbeit, denn wir<lb/> können auch nicht einmal annähernd beurteilen, wieviel von ihren Errungen¬<lb/> schaften etwa in der Folgezeit verloren ging. Nur das glauben wir bei der<lb/> Abschätzung der Jahrhunderte zu erkennen, daß die Menschheit viel Zeit und<lb/> Kraft verloren hat bei dem Schwanken von einem Extrem ins andre. Das<lb/> mag ein unabwendbares Gesetz aller Kulturentwicklung sein, bedingt durch die<lb/> Natur unseres Denkens und Fühlens, die an den Kontrast die Lebhaftigkeit und<lb/> Bestimmtheit bewußter Seelenvorgänge geknüpft hat. Aber es zeigt, wie schwer<lb/> und gefährlich es ist, die Grundlagen des Kulturlebens durch Erweiterung,<lb/> Klärung und Anpassung ererbter Anschauungen weniger als dnrch Schaffung<lb/> ganz neuer Grundzüge sichern zu wollen. Das hat seinen guten Grund. Denn<lb/> nicht auf die Lösung einer Aufgabe schlechtweg, auf die Bereicherung der Welt<lb/> mit einer möglichst großen Anzahl neuer Entdeckungen, Anschauungen, Ideen<lb/> kommt es a,i. Die kulturbildende Thätigkeit ist verantwortungsvoll, nicht oder<lb/> doch nicht lediglich weil es gilt, den gegenwärtigen Besitzstand zu erhalten, son¬<lb/> dern weil bei stetig sich ändernden Bedingungen des Lebens Altes und Neues<lb/> einem einzigen Zweck unterworfen werden muß. Und dieser Zweck, an sich<lb/> immer derselbe, bedarf zu seiner Realisirung einer stetigen Berücksichtigung der<lb/> herrschenden Strömungen im ganzen weiten Gebiet des Geistes. Nur die Ge¬<lb/> neration kann deshalb hoffen, ihren Anteil an der gesamten Kulturarbeit des<lb/> Menschengeschlechtes befriedigend und in Gestaltungen von bleibender Bedeutung<lb/> zu leisten, die nicht in blinder Hast Gedanken und Strebungen zügellos sich<lb/> überstürzen läßt, um nur Fortschritt, Fortschritt um jeden Preis, herbeizuführen,<lb/> sondern die in besonnener Selbstkontrole sich vor Schritten bewahrt, die in der<lb/> Folgezeit ein einsichtigeres Geschlecht wieder zurückthun muß. Dieser Zweck,<lb/> der sich bereits durch die Arbeit für ihn charalterisirt, ist die vollkom¬<lb/> mene Zivilisation. Was man darunter zu verstehen habe, ist uns namentlich</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0573]
populäre Naturwissenschaft.
laufender Kulturarbeit umgebildet wurde, sind mithin alle die Strömungen ent¬
halten, in denen die seelische Thätigkeit des Menschengeschlechts, soweit sie auf
die Gegenwart noch Beziehung hat, jemals sich bewegte. Wieviel demnach an
fruchtbringender Bearbeitung des unendlichen Inhalts der modernen Zivilisation
auf jede einzelne Generation kam, wird nur der recht verstehen, der des unab¬
lässigen Auf- und Abwogens gedenkt, in dem von jeher die Denk- und Empfin¬
dungsweise der Menschen sich äußerte, der immer wiederholten Umsetzung aller
geistigen und sittlichen Werte, der unaufhörlichen Verluste, der stets geforderten
Kämpfe um Wiedergewinnung des Verlorenen und Sicherung des Bedrohten.
Wir haben rapiden Verfall und langsame Wiederherstellung gesehen, und zumeist
entsprang jener nicht einer absichtlichen Verschleuderung des überlieferten Be¬
sitzes, sondern einer einseitigen Vertiefung in einzelne Richtungen des seelischen
Lebens neben einem sorglosen Gehenlassen aller übrigen. Wir sind nicht mehr
imstande, die einzelnen Generationen einigermaßen genau zu kontroliren in bezug
auf eine gewissenhafte Ausführung der auf sie fallenden Kulturarbeit, denn wir
können auch nicht einmal annähernd beurteilen, wieviel von ihren Errungen¬
schaften etwa in der Folgezeit verloren ging. Nur das glauben wir bei der
Abschätzung der Jahrhunderte zu erkennen, daß die Menschheit viel Zeit und
Kraft verloren hat bei dem Schwanken von einem Extrem ins andre. Das
mag ein unabwendbares Gesetz aller Kulturentwicklung sein, bedingt durch die
Natur unseres Denkens und Fühlens, die an den Kontrast die Lebhaftigkeit und
Bestimmtheit bewußter Seelenvorgänge geknüpft hat. Aber es zeigt, wie schwer
und gefährlich es ist, die Grundlagen des Kulturlebens durch Erweiterung,
Klärung und Anpassung ererbter Anschauungen weniger als dnrch Schaffung
ganz neuer Grundzüge sichern zu wollen. Das hat seinen guten Grund. Denn
nicht auf die Lösung einer Aufgabe schlechtweg, auf die Bereicherung der Welt
mit einer möglichst großen Anzahl neuer Entdeckungen, Anschauungen, Ideen
kommt es a,i. Die kulturbildende Thätigkeit ist verantwortungsvoll, nicht oder
doch nicht lediglich weil es gilt, den gegenwärtigen Besitzstand zu erhalten, son¬
dern weil bei stetig sich ändernden Bedingungen des Lebens Altes und Neues
einem einzigen Zweck unterworfen werden muß. Und dieser Zweck, an sich
immer derselbe, bedarf zu seiner Realisirung einer stetigen Berücksichtigung der
herrschenden Strömungen im ganzen weiten Gebiet des Geistes. Nur die Ge¬
neration kann deshalb hoffen, ihren Anteil an der gesamten Kulturarbeit des
Menschengeschlechtes befriedigend und in Gestaltungen von bleibender Bedeutung
zu leisten, die nicht in blinder Hast Gedanken und Strebungen zügellos sich
überstürzen läßt, um nur Fortschritt, Fortschritt um jeden Preis, herbeizuführen,
sondern die in besonnener Selbstkontrole sich vor Schritten bewahrt, die in der
Folgezeit ein einsichtigeres Geschlecht wieder zurückthun muß. Dieser Zweck,
der sich bereits durch die Arbeit für ihn charalterisirt, ist die vollkom¬
mene Zivilisation. Was man darunter zu verstehen habe, ist uns namentlich
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