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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Unsre überseeische Politik und ihre Gegner.

Vorlage gut sind. Man rechnet: tausend Briefe nach Japan mit englischer Be¬
förderung kosten soviel, dieselben mit deutscher Beförderung würden fünfzig oder
auch hundertmal mehr kosten; die Fracht nach Hongkong kostet heute so wenig, daß
die Rhederei dabei kaum bestehen kann: sie würde bei staatlicher Unterstützung
einer bestimmten Linie noch mehr heruntergehen, und die Rhederei würde gar
nicht mehr bestehen können; oder: die Landwirtschaft klagt über überseeische Kon¬
kurrenz, und würde durch die künstlich Hera "gedrückten Frachten doch nur umso
mehr der Konkurrenz Vorschub leisten u. s. w. Man sagt ebenso: warum denn
das Haus Godeffroy unterstützen? Ist sein Unternehmen auf Samoa schlecht,
so verdient es zu gründe zu gehen; ist es gut, weshalb dann es noch unter¬
stützen? Oder: wozu eine Dampfersubvention uach Australien? Ist der Ver¬
kehr dorthin geringfügig, so ist er einer Unterstützung nicht wert; ist er stark,
so bedarf er derselben nicht.

Das hört sich alles so schön an! Es sind ja Zahlen, und diese können doch
nicht trügen! Aber bei all meiner Neigung für Zahlen und für den Meister
derselben kommt mir doch unwillkürlich in den Sinn: "Wenn man's so hört,
möcht's leidlich scheinen, steht aber doch immer schief darum." Nun hat Herr
Bamberger in der Debatte über die Dampfersubvention am verwichenen 1. De¬
zember allerdings sehr viel mildere Töne angeschlagen, als wir sie am 14. Juni
von ihm vernahmen. Er erklärte sich sogar dazu bereit, sich überzeugen zu
lassen, und stimmte deshalb für die Überweisung an eine Kommission. Weniger
nachgiebig als er, waren seine Fraktionsgenossen. Ich rechne Herrn Bamverger
diese Nachgiebigkeit besonders hoch an, denn das ist sonst nicht die Eigenschaft
seiner Partei, welche vielmehr gemeiniglich alle Dinge grundsätzlich zu behandeln
pflegt. Der Grundsatz ist der frcihändlerische, und an ihm hängen viele Leute
ebenso blind wie andre an religiösen Dogmen. Und doch hat das religiöse
Dogma an sich mehr grundsätzliche Berechtigung als der Freihandel.

Wer aus nationalem Boden steht, dürfte, wie mir scheint, erst dann Frei¬
händler werden, wenn das merkantile Übergewicht seines eignen Volkes unzweifel¬
haft und sicher festgestellt worden wäre. Verschaffen wir uns erst einmal das Über¬
gewicht auf dem Weltmarkte, etwa in zehn oder zwanzig Jahren oder später,
nun, dann ließe sich mit unsern Freihändlern wohl nützlich reden. Dann wäre
der Freihandel gut, um dieses Übergewicht gegen die andern Völker auszu¬
nutzen. Wer nicht national, sondern international denkt, der mag wiederum
Freihändler sein, denn er wird damit die wirtschaftliche Herrschaft dem Stärksten
überantworten, ohne Rücksicht darauf, wer der Stärkste sei, und er wird viel¬
leicht in gewissem Sinne, nämlich von diesem allgemein menschlichen Kultur-
Standpunkte aus, recht haben. Aber solange wir noch nationale Politik treiben
wollen und solange unsre nationale Produktion und Wirtschaft noch nicht die
stärksten in der Welt sind, solange können wir vernünftiger Weise nicht grund¬
sätzlich und überall freihändlerische Politik treiben. Mir erscheint das so klar


Unsre überseeische Politik und ihre Gegner.

Vorlage gut sind. Man rechnet: tausend Briefe nach Japan mit englischer Be¬
förderung kosten soviel, dieselben mit deutscher Beförderung würden fünfzig oder
auch hundertmal mehr kosten; die Fracht nach Hongkong kostet heute so wenig, daß
die Rhederei dabei kaum bestehen kann: sie würde bei staatlicher Unterstützung
einer bestimmten Linie noch mehr heruntergehen, und die Rhederei würde gar
nicht mehr bestehen können; oder: die Landwirtschaft klagt über überseeische Kon¬
kurrenz, und würde durch die künstlich Hera »gedrückten Frachten doch nur umso
mehr der Konkurrenz Vorschub leisten u. s. w. Man sagt ebenso: warum denn
das Haus Godeffroy unterstützen? Ist sein Unternehmen auf Samoa schlecht,
so verdient es zu gründe zu gehen; ist es gut, weshalb dann es noch unter¬
stützen? Oder: wozu eine Dampfersubvention uach Australien? Ist der Ver¬
kehr dorthin geringfügig, so ist er einer Unterstützung nicht wert; ist er stark,
so bedarf er derselben nicht.

Das hört sich alles so schön an! Es sind ja Zahlen, und diese können doch
nicht trügen! Aber bei all meiner Neigung für Zahlen und für den Meister
derselben kommt mir doch unwillkürlich in den Sinn: „Wenn man's so hört,
möcht's leidlich scheinen, steht aber doch immer schief darum." Nun hat Herr
Bamberger in der Debatte über die Dampfersubvention am verwichenen 1. De¬
zember allerdings sehr viel mildere Töne angeschlagen, als wir sie am 14. Juni
von ihm vernahmen. Er erklärte sich sogar dazu bereit, sich überzeugen zu
lassen, und stimmte deshalb für die Überweisung an eine Kommission. Weniger
nachgiebig als er, waren seine Fraktionsgenossen. Ich rechne Herrn Bamverger
diese Nachgiebigkeit besonders hoch an, denn das ist sonst nicht die Eigenschaft
seiner Partei, welche vielmehr gemeiniglich alle Dinge grundsätzlich zu behandeln
pflegt. Der Grundsatz ist der frcihändlerische, und an ihm hängen viele Leute
ebenso blind wie andre an religiösen Dogmen. Und doch hat das religiöse
Dogma an sich mehr grundsätzliche Berechtigung als der Freihandel.

Wer aus nationalem Boden steht, dürfte, wie mir scheint, erst dann Frei¬
händler werden, wenn das merkantile Übergewicht seines eignen Volkes unzweifel¬
haft und sicher festgestellt worden wäre. Verschaffen wir uns erst einmal das Über¬
gewicht auf dem Weltmarkte, etwa in zehn oder zwanzig Jahren oder später,
nun, dann ließe sich mit unsern Freihändlern wohl nützlich reden. Dann wäre
der Freihandel gut, um dieses Übergewicht gegen die andern Völker auszu¬
nutzen. Wer nicht national, sondern international denkt, der mag wiederum
Freihändler sein, denn er wird damit die wirtschaftliche Herrschaft dem Stärksten
überantworten, ohne Rücksicht darauf, wer der Stärkste sei, und er wird viel¬
leicht in gewissem Sinne, nämlich von diesem allgemein menschlichen Kultur-
Standpunkte aus, recht haben. Aber solange wir noch nationale Politik treiben
wollen und solange unsre nationale Produktion und Wirtschaft noch nicht die
stärksten in der Welt sind, solange können wir vernünftiger Weise nicht grund¬
sätzlich und überall freihändlerische Politik treiben. Mir erscheint das so klar


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[0554] Unsre überseeische Politik und ihre Gegner. Vorlage gut sind. Man rechnet: tausend Briefe nach Japan mit englischer Be¬ förderung kosten soviel, dieselben mit deutscher Beförderung würden fünfzig oder auch hundertmal mehr kosten; die Fracht nach Hongkong kostet heute so wenig, daß die Rhederei dabei kaum bestehen kann: sie würde bei staatlicher Unterstützung einer bestimmten Linie noch mehr heruntergehen, und die Rhederei würde gar nicht mehr bestehen können; oder: die Landwirtschaft klagt über überseeische Kon¬ kurrenz, und würde durch die künstlich Hera »gedrückten Frachten doch nur umso mehr der Konkurrenz Vorschub leisten u. s. w. Man sagt ebenso: warum denn das Haus Godeffroy unterstützen? Ist sein Unternehmen auf Samoa schlecht, so verdient es zu gründe zu gehen; ist es gut, weshalb dann es noch unter¬ stützen? Oder: wozu eine Dampfersubvention uach Australien? Ist der Ver¬ kehr dorthin geringfügig, so ist er einer Unterstützung nicht wert; ist er stark, so bedarf er derselben nicht. Das hört sich alles so schön an! Es sind ja Zahlen, und diese können doch nicht trügen! Aber bei all meiner Neigung für Zahlen und für den Meister derselben kommt mir doch unwillkürlich in den Sinn: „Wenn man's so hört, möcht's leidlich scheinen, steht aber doch immer schief darum." Nun hat Herr Bamberger in der Debatte über die Dampfersubvention am verwichenen 1. De¬ zember allerdings sehr viel mildere Töne angeschlagen, als wir sie am 14. Juni von ihm vernahmen. Er erklärte sich sogar dazu bereit, sich überzeugen zu lassen, und stimmte deshalb für die Überweisung an eine Kommission. Weniger nachgiebig als er, waren seine Fraktionsgenossen. Ich rechne Herrn Bamverger diese Nachgiebigkeit besonders hoch an, denn das ist sonst nicht die Eigenschaft seiner Partei, welche vielmehr gemeiniglich alle Dinge grundsätzlich zu behandeln pflegt. Der Grundsatz ist der frcihändlerische, und an ihm hängen viele Leute ebenso blind wie andre an religiösen Dogmen. Und doch hat das religiöse Dogma an sich mehr grundsätzliche Berechtigung als der Freihandel. Wer aus nationalem Boden steht, dürfte, wie mir scheint, erst dann Frei¬ händler werden, wenn das merkantile Übergewicht seines eignen Volkes unzweifel¬ haft und sicher festgestellt worden wäre. Verschaffen wir uns erst einmal das Über¬ gewicht auf dem Weltmarkte, etwa in zehn oder zwanzig Jahren oder später, nun, dann ließe sich mit unsern Freihändlern wohl nützlich reden. Dann wäre der Freihandel gut, um dieses Übergewicht gegen die andern Völker auszu¬ nutzen. Wer nicht national, sondern international denkt, der mag wiederum Freihändler sein, denn er wird damit die wirtschaftliche Herrschaft dem Stärksten überantworten, ohne Rücksicht darauf, wer der Stärkste sei, und er wird viel¬ leicht in gewissem Sinne, nämlich von diesem allgemein menschlichen Kultur- Standpunkte aus, recht haben. Aber solange wir noch nationale Politik treiben wollen und solange unsre nationale Produktion und Wirtschaft noch nicht die stärksten in der Welt sind, solange können wir vernünftiger Weise nicht grund¬ sätzlich und überall freihändlerische Politik treiben. Mir erscheint das so klar

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/554>, abgerufen am 29.12.2024.