Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.Frauen- und Goldschnitt-Literatur, alles sind Büchelchen zierlich im Innern wie in ihrer Erscheinung, von mäßigem Wir wollen die weiblichen Poeten nicht verlästern: ganze Weiber sind sie Frauen- und Goldschnitt-Literatur, alles sind Büchelchen zierlich im Innern wie in ihrer Erscheinung, von mäßigem Wir wollen die weiblichen Poeten nicht verlästern: ganze Weiber sind sie <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0476" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/157401"/> <fw type="header" place="top"> Frauen- und Goldschnitt-Literatur,</fw><lb/> <p xml:id="ID_1632" prev="#ID_1631"> alles sind Büchelchen zierlich im Innern wie in ihrer Erscheinung, von mäßigem<lb/> Umfange und niedlich gebunden, die sich am wohlsten fühlen in „Jung Mägdeleins<lb/> Hand," in hübschen Mahagonigestellen und in reizender Gruppirung auf Nipp¬<lb/> tischen verstreut. Diese minnigen Sachen sind zierlich abgerundet, ohne Ecken<lb/> und Spitzen, spielen in sanft gedämpften Farben wie die heutigen Moden, die<lb/> frische, ungebrochene, leuchtende Farben als aufdringlich grell verschreien; es<lb/> klingt ein weicher Molitor auch in die waldfröhlichen Weisen hinein. Es wird<lb/> nicht hell gejubelt, aber auch nicht verzweifelnd gewehklagt; die Miniaturpoeteu<lb/> halten sich in bescheidenem Mittelmaße. Nichts hartes und grelles klingt da<lb/> hinein, unlöslich scharfe Konflikte, die zu Kampf und Untergang führen, sind<lb/> verbannt, mit aller bänglichen Spannung, die bei mancherlei Trennungs- und<lb/> Herzensschmerzen die Leserinnen erfaßt, ists so ernstlich nicht gemeint, von vorn¬<lb/> herein ist alles versöhnlich angelegt, die Aussicht auf einen guten Ausgang<lb/> verliert sich nicht in den schlimmsten Lagen, und wenn die Leserinnen wirklich<lb/> einmal verzweifeln zu müssen fürchten, so weiß der hilfreiche Dichter sicher<lb/> eine unerwartete Lösung: Werner und Margaret« müssen sich kriegen, und sollte<lb/> der Papst selbst die Ehe stiften müssen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1633" next="#ID_1634"> Wir wollen die weiblichen Poeten nicht verlästern: ganze Weiber sind sie<lb/> noch nicht, und von den wirklichen Fraueudichtungen kann man ihre Werkchen<lb/> immer noch unterscheiden. Sie schreiben ja nicht alle wie Arnold Wettiner,<lb/> dessen Oster-, Pfingst- und Weihnachtsgeschichtchen mit den ewig gleichen Puppen¬<lb/> gesichtern und dem gefühlszitternden Stil den weichsten Frauengemütern zu<lb/> weichlich geworden sind. Durch die wirklichen Frauendichtungen weht ein eigner<lb/> Duft, der jedem Kenner die weibliche Abstammung von weitem verrät, der<lb/> weibliche Schreibftil ist so unverkennbar wie die weibliche Handschrift. Dieser<lb/> Stil hat seine kleinen Eigenheiten: er ist verschwebend zart und hält nichts<lb/> von Grundstrichen, er zieht feine Linien, die kaum einen eignen, stark persön¬<lb/> lichen Charakter tragen, er liebt runde, hübsche Züge und ergeht sich in zier¬<lb/> lichen Schnörkeln. Die Gesichter und Figuren der Frauengeschichten sind so<lb/> gleichmäßig hübsch gezeichnet, als kämen sie aus Modeblättern, sie lächeln und<lb/> sprechen so gefühlvoll poetisch, als hätten sie ihr ganzes Leben in schöngeistigen<lb/> Damenkreisen verbracht, sie bewegen sich so tadellos anmutig, als schwebten sie<lb/> über die Erde hin; dabei erscheinen sie von rosig gedämpftem Lichte leicht be¬<lb/> strahlt. Die mädchenhaften Männergestalten von weiblicher Erfindung, mit<lb/> wallenden Locken, blitzenden Augen, fein weißen Händchen, schmalen Füßen und<lb/> der ganzen jungfräulichen Zartheit im Empfinden und Handeln sind ja genugsam<lb/> bekannt: eine Familie zahlloser Zwillingsbrüder, die sich nicht einmal durch die<lb/> Kleidung unterscheiden, denn sie alle gehen modisch elegant. Das glückliche<lb/> Endschicksal, das ihnen zuteil wird, macht dem guten Herzen ihrer Verfasserinnen<lb/> Ehre; aber es macht mehr ihrem weiblichen Gemüt als ihrem Kunstgefühl Ehre,<lb/> daß sie im „Beglücken" gar so freigebig sind: sie machen in Masfenverlobungen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0476]
Frauen- und Goldschnitt-Literatur,
alles sind Büchelchen zierlich im Innern wie in ihrer Erscheinung, von mäßigem
Umfange und niedlich gebunden, die sich am wohlsten fühlen in „Jung Mägdeleins
Hand," in hübschen Mahagonigestellen und in reizender Gruppirung auf Nipp¬
tischen verstreut. Diese minnigen Sachen sind zierlich abgerundet, ohne Ecken
und Spitzen, spielen in sanft gedämpften Farben wie die heutigen Moden, die
frische, ungebrochene, leuchtende Farben als aufdringlich grell verschreien; es
klingt ein weicher Molitor auch in die waldfröhlichen Weisen hinein. Es wird
nicht hell gejubelt, aber auch nicht verzweifelnd gewehklagt; die Miniaturpoeteu
halten sich in bescheidenem Mittelmaße. Nichts hartes und grelles klingt da
hinein, unlöslich scharfe Konflikte, die zu Kampf und Untergang führen, sind
verbannt, mit aller bänglichen Spannung, die bei mancherlei Trennungs- und
Herzensschmerzen die Leserinnen erfaßt, ists so ernstlich nicht gemeint, von vorn¬
herein ist alles versöhnlich angelegt, die Aussicht auf einen guten Ausgang
verliert sich nicht in den schlimmsten Lagen, und wenn die Leserinnen wirklich
einmal verzweifeln zu müssen fürchten, so weiß der hilfreiche Dichter sicher
eine unerwartete Lösung: Werner und Margaret« müssen sich kriegen, und sollte
der Papst selbst die Ehe stiften müssen.
Wir wollen die weiblichen Poeten nicht verlästern: ganze Weiber sind sie
noch nicht, und von den wirklichen Fraueudichtungen kann man ihre Werkchen
immer noch unterscheiden. Sie schreiben ja nicht alle wie Arnold Wettiner,
dessen Oster-, Pfingst- und Weihnachtsgeschichtchen mit den ewig gleichen Puppen¬
gesichtern und dem gefühlszitternden Stil den weichsten Frauengemütern zu
weichlich geworden sind. Durch die wirklichen Frauendichtungen weht ein eigner
Duft, der jedem Kenner die weibliche Abstammung von weitem verrät, der
weibliche Schreibftil ist so unverkennbar wie die weibliche Handschrift. Dieser
Stil hat seine kleinen Eigenheiten: er ist verschwebend zart und hält nichts
von Grundstrichen, er zieht feine Linien, die kaum einen eignen, stark persön¬
lichen Charakter tragen, er liebt runde, hübsche Züge und ergeht sich in zier¬
lichen Schnörkeln. Die Gesichter und Figuren der Frauengeschichten sind so
gleichmäßig hübsch gezeichnet, als kämen sie aus Modeblättern, sie lächeln und
sprechen so gefühlvoll poetisch, als hätten sie ihr ganzes Leben in schöngeistigen
Damenkreisen verbracht, sie bewegen sich so tadellos anmutig, als schwebten sie
über die Erde hin; dabei erscheinen sie von rosig gedämpftem Lichte leicht be¬
strahlt. Die mädchenhaften Männergestalten von weiblicher Erfindung, mit
wallenden Locken, blitzenden Augen, fein weißen Händchen, schmalen Füßen und
der ganzen jungfräulichen Zartheit im Empfinden und Handeln sind ja genugsam
bekannt: eine Familie zahlloser Zwillingsbrüder, die sich nicht einmal durch die
Kleidung unterscheiden, denn sie alle gehen modisch elegant. Das glückliche
Endschicksal, das ihnen zuteil wird, macht dem guten Herzen ihrer Verfasserinnen
Ehre; aber es macht mehr ihrem weiblichen Gemüt als ihrem Kunstgefühl Ehre,
daß sie im „Beglücken" gar so freigebig sind: sie machen in Masfenverlobungen
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