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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Frauen- und Goldschnitt-Literatur.

sich zeitlebens vergebens, ein männlich großes Drama zu gestalten. Gustav
Freytag, dessen "Ahnen" aus dem gewaltig herben deutschen Geschichtsleben
doch nur kleine lyrische Ausschnitte feinsinnig abbilden, hat in seinem ganzen
schüchtern feinen Wesen etwas weibliches. Geibels weiche, stille Lyrik, deren
schönste Lieder von zarter Frauenliebe singen, ist ganz undenkbar in einer Zeit,
deren literarischen Charakter Männer bestimmen. Unter all den weichen Poeten--
gesiebtem unsrer Tage muß man suchen nach einem Männerkopf, der männlich¬
herbe Kraft, männlich-eckige Züge und männlich-harten Eigensinn zeigt. Man
findet deren wohl, aber in der Stille beiseite; zu den Dichtern, die gerühmt
und gekauft werden, gehören sie nicht.

Nun verdanken zwar unsre Poeten den Frauen manches Gute, das sie
den Männern nie hätten verdanken können. Warum sollten sie es ihnen nicht
danken, da doch Goethe, der Schutzheilige der modernen Dichtung, ihnen mehr
verdankt, als Wolfgang Menzel und andre Urgermanen billigen konnten? Von
den Frauen kommt das zarte Empfinden, die rücksichtsvolle Anmut des Tones,
die Zierlichkeit der kleinen Formen, die heute gefallen. Von ihnen kommt die
seelische Kleinmalerei in der Weise Jean Pauls, der seinerzeit der Abgott aller
Frauen war. Aber die gefühlsselige Empfindsamkeit, der allzu zarte Backfischton,
die überzierlich verschnörkelte Formkünstelei geht mit jenen Vorzügen Hand in
Hand, und aus der psychologischen Kleinkunst erwächst eine schwindsüchtige Lite¬
ratur, die keinen frischen Luftzug vertragen kann. Den weiblichen Dichtern im
bessern Sinne reihen sich die Miniatur- und Modepoeten an, eine zierliche
Zwergenzunft, die sich im Salon beim liebkosenden Weihräuchern ihrer Freun¬
dinnen bisweilen sehr groß vorkommen. Der thatenlos weiche "Ekkehard" mit
seinem burschikosen Maskenhumor und der allzublonde "Trompeter," diese beiden
Herzenslieblinge der literaturschwärmenden Frauen, sind doch schon zu weich,
zu mädchenhaft, um als weibliche Dichtungen im guten Sinne gelten zu können.
Sie verdanken ihren Ruhm und ihre hundert Auflagen allein unsern Frauen
und Mädchen und stehen mit ihrem achtunggebietenden Alter als die Urtypen
und Vorbilder der ganzen langen, langen Reihe von zierlich ersonnenen und
kunstreich vergoldeten Dichtwerkchen da, die das Entzücken unsrer Frauen bilden.
Da kommen nacheinander alle die kleinen hübschen Bändchen, die von ästhetischen
Gesellschaftszirkeln oder gar aus Studentenzimmerchm aufflattern, Wein- und
Liebesmärchen wie der "Waldmeister," romantisch-lyrische Historien mit Blau¬
blumensentimentalität, wie "Otto der Schütz," "amaranthene" Liederchen, Put-
litzische Waldplaudereien, derbere Wolffiaden in verstutzten Volkston, stille
Klostergeschichten in altdeutschem sprachgewandt wie "Jrmela" und hinter
ihnen drein der ganze Schwarm blauäugiger Herzenslyrik. Wer nennt die
Poetischen Titel aller der lyrischen Sammlungen und ihrer Herausgeberinnen,
wer die Namen der altdeutschen Erzählungen frei nach Freytag und Scheffel
mit ihren überdeutschen Jungfrauen und den weiblichen Heldenjünglingen? Das


Frauen- und Goldschnitt-Literatur.

sich zeitlebens vergebens, ein männlich großes Drama zu gestalten. Gustav
Freytag, dessen „Ahnen" aus dem gewaltig herben deutschen Geschichtsleben
doch nur kleine lyrische Ausschnitte feinsinnig abbilden, hat in seinem ganzen
schüchtern feinen Wesen etwas weibliches. Geibels weiche, stille Lyrik, deren
schönste Lieder von zarter Frauenliebe singen, ist ganz undenkbar in einer Zeit,
deren literarischen Charakter Männer bestimmen. Unter all den weichen Poeten--
gesiebtem unsrer Tage muß man suchen nach einem Männerkopf, der männlich¬
herbe Kraft, männlich-eckige Züge und männlich-harten Eigensinn zeigt. Man
findet deren wohl, aber in der Stille beiseite; zu den Dichtern, die gerühmt
und gekauft werden, gehören sie nicht.

Nun verdanken zwar unsre Poeten den Frauen manches Gute, das sie
den Männern nie hätten verdanken können. Warum sollten sie es ihnen nicht
danken, da doch Goethe, der Schutzheilige der modernen Dichtung, ihnen mehr
verdankt, als Wolfgang Menzel und andre Urgermanen billigen konnten? Von
den Frauen kommt das zarte Empfinden, die rücksichtsvolle Anmut des Tones,
die Zierlichkeit der kleinen Formen, die heute gefallen. Von ihnen kommt die
seelische Kleinmalerei in der Weise Jean Pauls, der seinerzeit der Abgott aller
Frauen war. Aber die gefühlsselige Empfindsamkeit, der allzu zarte Backfischton,
die überzierlich verschnörkelte Formkünstelei geht mit jenen Vorzügen Hand in
Hand, und aus der psychologischen Kleinkunst erwächst eine schwindsüchtige Lite¬
ratur, die keinen frischen Luftzug vertragen kann. Den weiblichen Dichtern im
bessern Sinne reihen sich die Miniatur- und Modepoeten an, eine zierliche
Zwergenzunft, die sich im Salon beim liebkosenden Weihräuchern ihrer Freun¬
dinnen bisweilen sehr groß vorkommen. Der thatenlos weiche „Ekkehard" mit
seinem burschikosen Maskenhumor und der allzublonde „Trompeter," diese beiden
Herzenslieblinge der literaturschwärmenden Frauen, sind doch schon zu weich,
zu mädchenhaft, um als weibliche Dichtungen im guten Sinne gelten zu können.
Sie verdanken ihren Ruhm und ihre hundert Auflagen allein unsern Frauen
und Mädchen und stehen mit ihrem achtunggebietenden Alter als die Urtypen
und Vorbilder der ganzen langen, langen Reihe von zierlich ersonnenen und
kunstreich vergoldeten Dichtwerkchen da, die das Entzücken unsrer Frauen bilden.
Da kommen nacheinander alle die kleinen hübschen Bändchen, die von ästhetischen
Gesellschaftszirkeln oder gar aus Studentenzimmerchm aufflattern, Wein- und
Liebesmärchen wie der „Waldmeister," romantisch-lyrische Historien mit Blau¬
blumensentimentalität, wie „Otto der Schütz," „amaranthene" Liederchen, Put-
litzische Waldplaudereien, derbere Wolffiaden in verstutzten Volkston, stille
Klostergeschichten in altdeutschem sprachgewandt wie „Jrmela" und hinter
ihnen drein der ganze Schwarm blauäugiger Herzenslyrik. Wer nennt die
Poetischen Titel aller der lyrischen Sammlungen und ihrer Herausgeberinnen,
wer die Namen der altdeutschen Erzählungen frei nach Freytag und Scheffel
mit ihren überdeutschen Jungfrauen und den weiblichen Heldenjünglingen? Das


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[0475] Frauen- und Goldschnitt-Literatur. sich zeitlebens vergebens, ein männlich großes Drama zu gestalten. Gustav Freytag, dessen „Ahnen" aus dem gewaltig herben deutschen Geschichtsleben doch nur kleine lyrische Ausschnitte feinsinnig abbilden, hat in seinem ganzen schüchtern feinen Wesen etwas weibliches. Geibels weiche, stille Lyrik, deren schönste Lieder von zarter Frauenliebe singen, ist ganz undenkbar in einer Zeit, deren literarischen Charakter Männer bestimmen. Unter all den weichen Poeten-- gesiebtem unsrer Tage muß man suchen nach einem Männerkopf, der männlich¬ herbe Kraft, männlich-eckige Züge und männlich-harten Eigensinn zeigt. Man findet deren wohl, aber in der Stille beiseite; zu den Dichtern, die gerühmt und gekauft werden, gehören sie nicht. Nun verdanken zwar unsre Poeten den Frauen manches Gute, das sie den Männern nie hätten verdanken können. Warum sollten sie es ihnen nicht danken, da doch Goethe, der Schutzheilige der modernen Dichtung, ihnen mehr verdankt, als Wolfgang Menzel und andre Urgermanen billigen konnten? Von den Frauen kommt das zarte Empfinden, die rücksichtsvolle Anmut des Tones, die Zierlichkeit der kleinen Formen, die heute gefallen. Von ihnen kommt die seelische Kleinmalerei in der Weise Jean Pauls, der seinerzeit der Abgott aller Frauen war. Aber die gefühlsselige Empfindsamkeit, der allzu zarte Backfischton, die überzierlich verschnörkelte Formkünstelei geht mit jenen Vorzügen Hand in Hand, und aus der psychologischen Kleinkunst erwächst eine schwindsüchtige Lite¬ ratur, die keinen frischen Luftzug vertragen kann. Den weiblichen Dichtern im bessern Sinne reihen sich die Miniatur- und Modepoeten an, eine zierliche Zwergenzunft, die sich im Salon beim liebkosenden Weihräuchern ihrer Freun¬ dinnen bisweilen sehr groß vorkommen. Der thatenlos weiche „Ekkehard" mit seinem burschikosen Maskenhumor und der allzublonde „Trompeter," diese beiden Herzenslieblinge der literaturschwärmenden Frauen, sind doch schon zu weich, zu mädchenhaft, um als weibliche Dichtungen im guten Sinne gelten zu können. Sie verdanken ihren Ruhm und ihre hundert Auflagen allein unsern Frauen und Mädchen und stehen mit ihrem achtunggebietenden Alter als die Urtypen und Vorbilder der ganzen langen, langen Reihe von zierlich ersonnenen und kunstreich vergoldeten Dichtwerkchen da, die das Entzücken unsrer Frauen bilden. Da kommen nacheinander alle die kleinen hübschen Bändchen, die von ästhetischen Gesellschaftszirkeln oder gar aus Studentenzimmerchm aufflattern, Wein- und Liebesmärchen wie der „Waldmeister," romantisch-lyrische Historien mit Blau¬ blumensentimentalität, wie „Otto der Schütz," „amaranthene" Liederchen, Put- litzische Waldplaudereien, derbere Wolffiaden in verstutzten Volkston, stille Klostergeschichten in altdeutschem sprachgewandt wie „Jrmela" und hinter ihnen drein der ganze Schwarm blauäugiger Herzenslyrik. Wer nennt die Poetischen Titel aller der lyrischen Sammlungen und ihrer Herausgeberinnen, wer die Namen der altdeutschen Erzählungen frei nach Freytag und Scheffel mit ihren überdeutschen Jungfrauen und den weiblichen Heldenjünglingen? Das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/475>, abgerufen am 01.01.2025.