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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Archiv und Bibliothek des Vatikan.

Archivs, nachdem derselbe von Anfang seines römischen Aufenthaltes an bereits
für die neue Ausgabe der Schriften des Thomas von Aquino, von welcher der
erste Band 1882 erschien, thätig gewesen. Wie in der Person dieses deutscheu
Dominikaners -- Denifle ist zu Imst im Oberinnthal 1844 geboren -- die
deutsche Wissenschaft im Vatikan zu Ehren gebracht worden ist, für welche mau
sonst an jener Stelle nicht allzugroße Sympathie hat, so war seine Berufung
zur Teilnahme an der Herausgabe der Schriften des großen Scholastikers,
dessen Philosophie Leo der Dreizehnte in der von ihm im August 1879 er¬
lassenen Encyklika als sicherstes Heilmittel gegen die verderbliche Aufklärung
der Gegenwart empfahl, eine Anerkennung der Notwendigkeit textkritischer
Grundsätze und philologischer Akribie für die Herstellung einer den An¬
forderungen der heutigen Wissenschaft entsprechenden Ausgabe, wenngleich die
deutsche Gründlichkeit bei der Herstellung eines guten, kritisch gereinigten Textes
die Ungeduld des Papstes auf eine harte Probe gestellt haben mag.

Nun hat sich zwar bis jetzt schon herausgestellt, daß es nicht die Absicht
des Papstes ist, das Archiv zur freien Benutzung für jedermann zu öffnen; die
Benutzer werden vielmehr vom Papste gewählt, und ohne sein Gutheißen wird
niemandem der Zugang zu den Schätzen des Archivs erschlossen. Aber dies
kann niemand überraschen, der den Wortlaut des obenerwähnten Schreibens,
in welchem er die Wichtigkeit der geschichtlichen Studien hervorhebt und ihre
Pflege empfiehlt, genauer ins Auge faßt. Denn auf die Verordnung, die
Bibliothek und die Archive des Vatikans denjenigen zu öffnen, welche in
denselben sich Rats erholen oder von bisher nicht herausgegebenen Dokumenten
Abschrift nehmen wollten, folgte die Nutzanwendung, welche er von der Em¬
pfehlung der geschichtlichen Studien machte, daß nämlich die Geschichte die beste
Apologie des Papsttums gegenüber den Feinden der Kirche bilde, da diese in
den letzten Jahrhunderten eifrig daran gearbeitet hätten, die Geschichte zu
fälschen, um das Papsttum zu bekämpfen und dessen weltliche Herrschaft als
verhängnisvoll für Italien hinzustellen. Mag es sonach scheinen, als ob die
Ankündigung der Öffnung der Bibliothek und der Archive für die Gelehrten
andrer Konfessionen keinen Wert habe, so bleibt doch die Thatsache bestehen,
daß man gegenwärtig rücksichtlich der Aushändigung wichtigen archivalischen
Materials mit einer Liberalität verfährt, die in der Praxis früherer Zeiten
ihres gleichen nicht hat und den historischen Forschungen auch außerhalb der
katholischen Welt reiche Förderung verheißt. Nur wolle man natürlich nicht
zu viel verlangen. Daß sich die päpstliche Liberalität, die uns vergangnen Winter
von der Mehrzahl der auf dem Archiv arbeitenden protestantischen Gelehrten
bestätigt worden ist, immerhin innerhalb der durch das eigne Interesse gebotenen
Grenzen bewegt, wer wollte dies für befremdend oder auch nur für verwunderlich
halten! So mögen wohl auch in neuester Zeit noch einzelne Beispiele vor¬
gekommen sein, daß man von dem Hausrechte des Vatikans Gebrauch gemacht


Archiv und Bibliothek des Vatikan.

Archivs, nachdem derselbe von Anfang seines römischen Aufenthaltes an bereits
für die neue Ausgabe der Schriften des Thomas von Aquino, von welcher der
erste Band 1882 erschien, thätig gewesen. Wie in der Person dieses deutscheu
Dominikaners — Denifle ist zu Imst im Oberinnthal 1844 geboren — die
deutsche Wissenschaft im Vatikan zu Ehren gebracht worden ist, für welche mau
sonst an jener Stelle nicht allzugroße Sympathie hat, so war seine Berufung
zur Teilnahme an der Herausgabe der Schriften des großen Scholastikers,
dessen Philosophie Leo der Dreizehnte in der von ihm im August 1879 er¬
lassenen Encyklika als sicherstes Heilmittel gegen die verderbliche Aufklärung
der Gegenwart empfahl, eine Anerkennung der Notwendigkeit textkritischer
Grundsätze und philologischer Akribie für die Herstellung einer den An¬
forderungen der heutigen Wissenschaft entsprechenden Ausgabe, wenngleich die
deutsche Gründlichkeit bei der Herstellung eines guten, kritisch gereinigten Textes
die Ungeduld des Papstes auf eine harte Probe gestellt haben mag.

Nun hat sich zwar bis jetzt schon herausgestellt, daß es nicht die Absicht
des Papstes ist, das Archiv zur freien Benutzung für jedermann zu öffnen; die
Benutzer werden vielmehr vom Papste gewählt, und ohne sein Gutheißen wird
niemandem der Zugang zu den Schätzen des Archivs erschlossen. Aber dies
kann niemand überraschen, der den Wortlaut des obenerwähnten Schreibens,
in welchem er die Wichtigkeit der geschichtlichen Studien hervorhebt und ihre
Pflege empfiehlt, genauer ins Auge faßt. Denn auf die Verordnung, die
Bibliothek und die Archive des Vatikans denjenigen zu öffnen, welche in
denselben sich Rats erholen oder von bisher nicht herausgegebenen Dokumenten
Abschrift nehmen wollten, folgte die Nutzanwendung, welche er von der Em¬
pfehlung der geschichtlichen Studien machte, daß nämlich die Geschichte die beste
Apologie des Papsttums gegenüber den Feinden der Kirche bilde, da diese in
den letzten Jahrhunderten eifrig daran gearbeitet hätten, die Geschichte zu
fälschen, um das Papsttum zu bekämpfen und dessen weltliche Herrschaft als
verhängnisvoll für Italien hinzustellen. Mag es sonach scheinen, als ob die
Ankündigung der Öffnung der Bibliothek und der Archive für die Gelehrten
andrer Konfessionen keinen Wert habe, so bleibt doch die Thatsache bestehen,
daß man gegenwärtig rücksichtlich der Aushändigung wichtigen archivalischen
Materials mit einer Liberalität verfährt, die in der Praxis früherer Zeiten
ihres gleichen nicht hat und den historischen Forschungen auch außerhalb der
katholischen Welt reiche Förderung verheißt. Nur wolle man natürlich nicht
zu viel verlangen. Daß sich die päpstliche Liberalität, die uns vergangnen Winter
von der Mehrzahl der auf dem Archiv arbeitenden protestantischen Gelehrten
bestätigt worden ist, immerhin innerhalb der durch das eigne Interesse gebotenen
Grenzen bewegt, wer wollte dies für befremdend oder auch nur für verwunderlich
halten! So mögen wohl auch in neuester Zeit noch einzelne Beispiele vor¬
gekommen sein, daß man von dem Hausrechte des Vatikans Gebrauch gemacht


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[0471] Archiv und Bibliothek des Vatikan. Archivs, nachdem derselbe von Anfang seines römischen Aufenthaltes an bereits für die neue Ausgabe der Schriften des Thomas von Aquino, von welcher der erste Band 1882 erschien, thätig gewesen. Wie in der Person dieses deutscheu Dominikaners — Denifle ist zu Imst im Oberinnthal 1844 geboren — die deutsche Wissenschaft im Vatikan zu Ehren gebracht worden ist, für welche mau sonst an jener Stelle nicht allzugroße Sympathie hat, so war seine Berufung zur Teilnahme an der Herausgabe der Schriften des großen Scholastikers, dessen Philosophie Leo der Dreizehnte in der von ihm im August 1879 er¬ lassenen Encyklika als sicherstes Heilmittel gegen die verderbliche Aufklärung der Gegenwart empfahl, eine Anerkennung der Notwendigkeit textkritischer Grundsätze und philologischer Akribie für die Herstellung einer den An¬ forderungen der heutigen Wissenschaft entsprechenden Ausgabe, wenngleich die deutsche Gründlichkeit bei der Herstellung eines guten, kritisch gereinigten Textes die Ungeduld des Papstes auf eine harte Probe gestellt haben mag. Nun hat sich zwar bis jetzt schon herausgestellt, daß es nicht die Absicht des Papstes ist, das Archiv zur freien Benutzung für jedermann zu öffnen; die Benutzer werden vielmehr vom Papste gewählt, und ohne sein Gutheißen wird niemandem der Zugang zu den Schätzen des Archivs erschlossen. Aber dies kann niemand überraschen, der den Wortlaut des obenerwähnten Schreibens, in welchem er die Wichtigkeit der geschichtlichen Studien hervorhebt und ihre Pflege empfiehlt, genauer ins Auge faßt. Denn auf die Verordnung, die Bibliothek und die Archive des Vatikans denjenigen zu öffnen, welche in denselben sich Rats erholen oder von bisher nicht herausgegebenen Dokumenten Abschrift nehmen wollten, folgte die Nutzanwendung, welche er von der Em¬ pfehlung der geschichtlichen Studien machte, daß nämlich die Geschichte die beste Apologie des Papsttums gegenüber den Feinden der Kirche bilde, da diese in den letzten Jahrhunderten eifrig daran gearbeitet hätten, die Geschichte zu fälschen, um das Papsttum zu bekämpfen und dessen weltliche Herrschaft als verhängnisvoll für Italien hinzustellen. Mag es sonach scheinen, als ob die Ankündigung der Öffnung der Bibliothek und der Archive für die Gelehrten andrer Konfessionen keinen Wert habe, so bleibt doch die Thatsache bestehen, daß man gegenwärtig rücksichtlich der Aushändigung wichtigen archivalischen Materials mit einer Liberalität verfährt, die in der Praxis früherer Zeiten ihres gleichen nicht hat und den historischen Forschungen auch außerhalb der katholischen Welt reiche Förderung verheißt. Nur wolle man natürlich nicht zu viel verlangen. Daß sich die päpstliche Liberalität, die uns vergangnen Winter von der Mehrzahl der auf dem Archiv arbeitenden protestantischen Gelehrten bestätigt worden ist, immerhin innerhalb der durch das eigne Interesse gebotenen Grenzen bewegt, wer wollte dies für befremdend oder auch nur für verwunderlich halten! So mögen wohl auch in neuester Zeit noch einzelne Beispiele vor¬ gekommen sein, daß man von dem Hausrechte des Vatikans Gebrauch gemacht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/471>, abgerufen am 29.12.2024.