Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
pfisters Mühle.

hinter ihr sollte sich wirklich die Mühe, sie zu beruhigen, garnicht machen. Es
hilft ihm ja doch ganz und gar nichts. Nun sehen Sie nur das liebe Gesicht!
Ich bin gewiß für Pfisters Mühle in ihrem Jammer, aber diese Angst- und Un¬
glücksmiene der lieben Dame geht doch noch drüber, Ebert.

Da bist du ja, Kind -- und Sie auch, Freund Adam! Also -- ein
Glas Madeira und eine Gabel Hummersalat, meine Herren. Du hast vorge¬
sorgt, Tochter deines Vaters -- Hebe unter dem Strohdach? Meine Herren,
wenn es der feinste und höchste Egoismus ist, sich zu sagen, du machst ein
Kunstwerk für hundertundfunfzig durch die Welt verstreute Seelen, die für dich
sind, so ist's ungemein angenehm, sich nach einem Morgen wie der heutige zu
Vier zu Tische zu setzen. Was schneiden Sie mir wieder für eine Fratze, Adam
Asche? Es wird uns alles zugeteilt; ich habe mir mein Leben und Dasein so
wenig selbst gegeben, wie Sie sich das Ihrige. Kannst dich drauf verlassen,
Ebert; jeder bekommt das Kostüm und Werkzeug, das er nötig hat zu seiner
Rolle in der Welt. Niemand ist da ausgenommen. Niemand! Ich auch nicht.
Auch nicht die Kinder, die in Uinbo inksintium schwimmen; nicht die flüchtigste
Erscheinung und nicht die dauerndste. Es giebt nur aufgedrungene Pflichten,
Genüsse und Versündigungen. Die Richter sitzen zu Gericht, aber es hat noch
nie ein Tribunal oder einen Menschen gegeben, die über einen andern Menschen
hätten Urteil und Recht sprechen können. Ehrbar, ehrbar, wenn ich bitten darf;
-- nicht zu dumm aussehen, saufe -- nicht zu gescheit, ihr andern! Aber
was kommt es ans eure Gesichter an? Die kleine, hilflose offene Hand am
schlafende" Kinde ist's, die die Welt von Generation zu Generation sicher weiter¬
giebt. Also ein Glas via är^, meine Herren. Da sind wir ja wohl wieder
angelangt an den Grenzen unsers Reiches und fordern Euch gnädigst auf, Adam
Asche, unsre Prinzessin Tochter über die Schwelle zu führe". El, es weiß kein
Mensch geimuer als ein König und ein Poet, wie wenig der Erde Pracht und
Herrlichkeit bedeutet. He he, da läge noch ein Buch, Asche: ok tribus im-
xörg,t.oribuL -- Vou deu drei großen Herren! Der König -- der Dichter
und -- der Vorstand der Irrenanstalt, und der letzte als der größte! Was
sind alle Weltherrschaften gegen das ungeheure Reich, das sich dem letztern in
den Köpfen seiner Unterthanen in Wundern, Schönheiten und Schrecknissen
ausbreitet, und das er zusammenhalten und regiere" muß. An die Zigarren
hast du hoffentlich auch gedacht, Albertine? . . .

So ging das fort und fort unter dem frostigen, grauen Himmel und an
dem trüben Fluß zwischen den Schleenhecken und Büschen -- Gemeinplätze, selt¬
same Gedankenblitze, Erinnerungen an vergangene luxuriöse Tage und Genüsse.
Für uns aber handelte es sich nur darum, dem alten, schlafwandelnden Kinde
mit der wahrlich hilflosen offenen Hand in seinen gegenwärtigen Nöten so gut
als möglich zu helfen und seiner Tochter noch mehr. Wir konnten wirklich
jetzt von keiner seiner vielfachen Begabungen, das Leben "groß aufzufassen,"


pfisters Mühle.

hinter ihr sollte sich wirklich die Mühe, sie zu beruhigen, garnicht machen. Es
hilft ihm ja doch ganz und gar nichts. Nun sehen Sie nur das liebe Gesicht!
Ich bin gewiß für Pfisters Mühle in ihrem Jammer, aber diese Angst- und Un¬
glücksmiene der lieben Dame geht doch noch drüber, Ebert.

Da bist du ja, Kind — und Sie auch, Freund Adam! Also — ein
Glas Madeira und eine Gabel Hummersalat, meine Herren. Du hast vorge¬
sorgt, Tochter deines Vaters — Hebe unter dem Strohdach? Meine Herren,
wenn es der feinste und höchste Egoismus ist, sich zu sagen, du machst ein
Kunstwerk für hundertundfunfzig durch die Welt verstreute Seelen, die für dich
sind, so ist's ungemein angenehm, sich nach einem Morgen wie der heutige zu
Vier zu Tische zu setzen. Was schneiden Sie mir wieder für eine Fratze, Adam
Asche? Es wird uns alles zugeteilt; ich habe mir mein Leben und Dasein so
wenig selbst gegeben, wie Sie sich das Ihrige. Kannst dich drauf verlassen,
Ebert; jeder bekommt das Kostüm und Werkzeug, das er nötig hat zu seiner
Rolle in der Welt. Niemand ist da ausgenommen. Niemand! Ich auch nicht.
Auch nicht die Kinder, die in Uinbo inksintium schwimmen; nicht die flüchtigste
Erscheinung und nicht die dauerndste. Es giebt nur aufgedrungene Pflichten,
Genüsse und Versündigungen. Die Richter sitzen zu Gericht, aber es hat noch
nie ein Tribunal oder einen Menschen gegeben, die über einen andern Menschen
hätten Urteil und Recht sprechen können. Ehrbar, ehrbar, wenn ich bitten darf;
— nicht zu dumm aussehen, saufe — nicht zu gescheit, ihr andern! Aber
was kommt es ans eure Gesichter an? Die kleine, hilflose offene Hand am
schlafende» Kinde ist's, die die Welt von Generation zu Generation sicher weiter¬
giebt. Also ein Glas via är^, meine Herren. Da sind wir ja wohl wieder
angelangt an den Grenzen unsers Reiches und fordern Euch gnädigst auf, Adam
Asche, unsre Prinzessin Tochter über die Schwelle zu führe». El, es weiß kein
Mensch geimuer als ein König und ein Poet, wie wenig der Erde Pracht und
Herrlichkeit bedeutet. He he, da läge noch ein Buch, Asche: ok tribus im-
xörg,t.oribuL — Vou deu drei großen Herren! Der König — der Dichter
und — der Vorstand der Irrenanstalt, und der letzte als der größte! Was
sind alle Weltherrschaften gegen das ungeheure Reich, das sich dem letztern in
den Köpfen seiner Unterthanen in Wundern, Schönheiten und Schrecknissen
ausbreitet, und das er zusammenhalten und regiere» muß. An die Zigarren
hast du hoffentlich auch gedacht, Albertine? . . .

So ging das fort und fort unter dem frostigen, grauen Himmel und an
dem trüben Fluß zwischen den Schleenhecken und Büschen — Gemeinplätze, selt¬
same Gedankenblitze, Erinnerungen an vergangene luxuriöse Tage und Genüsse.
Für uns aber handelte es sich nur darum, dem alten, schlafwandelnden Kinde
mit der wahrlich hilflosen offenen Hand in seinen gegenwärtigen Nöten so gut
als möglich zu helfen und seiner Tochter noch mehr. Wir konnten wirklich
jetzt von keiner seiner vielfachen Begabungen, das Leben „groß aufzufassen,"


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0436" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/157361"/>
          <fw type="header" place="top"> pfisters Mühle.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1502" prev="#ID_1501"> hinter ihr sollte sich wirklich die Mühe, sie zu beruhigen, garnicht machen. Es<lb/>
hilft ihm ja doch ganz und gar nichts. Nun sehen Sie nur das liebe Gesicht!<lb/>
Ich bin gewiß für Pfisters Mühle in ihrem Jammer, aber diese Angst- und Un¬<lb/>
glücksmiene der lieben Dame geht doch noch drüber, Ebert.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1503"> Da bist du ja, Kind &#x2014; und Sie auch, Freund Adam! Also &#x2014; ein<lb/>
Glas Madeira und eine Gabel Hummersalat, meine Herren. Du hast vorge¬<lb/>
sorgt, Tochter deines Vaters &#x2014; Hebe unter dem Strohdach? Meine Herren,<lb/>
wenn es der feinste und höchste Egoismus ist, sich zu sagen, du machst ein<lb/>
Kunstwerk für hundertundfunfzig durch die Welt verstreute Seelen, die für dich<lb/>
sind, so ist's ungemein angenehm, sich nach einem Morgen wie der heutige zu<lb/>
Vier zu Tische zu setzen. Was schneiden Sie mir wieder für eine Fratze, Adam<lb/>
Asche? Es wird uns alles zugeteilt; ich habe mir mein Leben und Dasein so<lb/>
wenig selbst gegeben, wie Sie sich das Ihrige. Kannst dich drauf verlassen,<lb/>
Ebert; jeder bekommt das Kostüm und Werkzeug, das er nötig hat zu seiner<lb/>
Rolle in der Welt. Niemand ist da ausgenommen. Niemand! Ich auch nicht.<lb/>
Auch nicht die Kinder, die in Uinbo inksintium schwimmen; nicht die flüchtigste<lb/>
Erscheinung und nicht die dauerndste. Es giebt nur aufgedrungene Pflichten,<lb/>
Genüsse und Versündigungen. Die Richter sitzen zu Gericht, aber es hat noch<lb/>
nie ein Tribunal oder einen Menschen gegeben, die über einen andern Menschen<lb/>
hätten Urteil und Recht sprechen können. Ehrbar, ehrbar, wenn ich bitten darf;<lb/>
&#x2014; nicht zu dumm aussehen, saufe &#x2014; nicht zu gescheit, ihr andern! Aber<lb/>
was kommt es ans eure Gesichter an? Die kleine, hilflose offene Hand am<lb/>
schlafende» Kinde ist's, die die Welt von Generation zu Generation sicher weiter¬<lb/>
giebt. Also ein Glas via är^, meine Herren. Da sind wir ja wohl wieder<lb/>
angelangt an den Grenzen unsers Reiches und fordern Euch gnädigst auf, Adam<lb/>
Asche, unsre Prinzessin Tochter über die Schwelle zu führe». El, es weiß kein<lb/>
Mensch geimuer als ein König und ein Poet, wie wenig der Erde Pracht und<lb/>
Herrlichkeit bedeutet. He he, da läge noch ein Buch, Asche: ok tribus im-<lb/>
xörg,t.oribuL &#x2014; Vou deu drei großen Herren! Der König &#x2014; der Dichter<lb/>
und &#x2014; der Vorstand der Irrenanstalt, und der letzte als der größte! Was<lb/>
sind alle Weltherrschaften gegen das ungeheure Reich, das sich dem letztern in<lb/>
den Köpfen seiner Unterthanen in Wundern, Schönheiten und Schrecknissen<lb/>
ausbreitet, und das er zusammenhalten und regiere» muß. An die Zigarren<lb/>
hast du hoffentlich auch gedacht, Albertine? . . .</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1504" next="#ID_1505"> So ging das fort und fort unter dem frostigen, grauen Himmel und an<lb/>
dem trüben Fluß zwischen den Schleenhecken und Büschen &#x2014; Gemeinplätze, selt¬<lb/>
same Gedankenblitze, Erinnerungen an vergangene luxuriöse Tage und Genüsse.<lb/>
Für uns aber handelte es sich nur darum, dem alten, schlafwandelnden Kinde<lb/>
mit der wahrlich hilflosen offenen Hand in seinen gegenwärtigen Nöten so gut<lb/>
als möglich zu helfen und seiner Tochter noch mehr. Wir konnten wirklich<lb/>
jetzt von keiner seiner vielfachen Begabungen, das Leben &#x201E;groß aufzufassen,"</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0436] pfisters Mühle. hinter ihr sollte sich wirklich die Mühe, sie zu beruhigen, garnicht machen. Es hilft ihm ja doch ganz und gar nichts. Nun sehen Sie nur das liebe Gesicht! Ich bin gewiß für Pfisters Mühle in ihrem Jammer, aber diese Angst- und Un¬ glücksmiene der lieben Dame geht doch noch drüber, Ebert. Da bist du ja, Kind — und Sie auch, Freund Adam! Also — ein Glas Madeira und eine Gabel Hummersalat, meine Herren. Du hast vorge¬ sorgt, Tochter deines Vaters — Hebe unter dem Strohdach? Meine Herren, wenn es der feinste und höchste Egoismus ist, sich zu sagen, du machst ein Kunstwerk für hundertundfunfzig durch die Welt verstreute Seelen, die für dich sind, so ist's ungemein angenehm, sich nach einem Morgen wie der heutige zu Vier zu Tische zu setzen. Was schneiden Sie mir wieder für eine Fratze, Adam Asche? Es wird uns alles zugeteilt; ich habe mir mein Leben und Dasein so wenig selbst gegeben, wie Sie sich das Ihrige. Kannst dich drauf verlassen, Ebert; jeder bekommt das Kostüm und Werkzeug, das er nötig hat zu seiner Rolle in der Welt. Niemand ist da ausgenommen. Niemand! Ich auch nicht. Auch nicht die Kinder, die in Uinbo inksintium schwimmen; nicht die flüchtigste Erscheinung und nicht die dauerndste. Es giebt nur aufgedrungene Pflichten, Genüsse und Versündigungen. Die Richter sitzen zu Gericht, aber es hat noch nie ein Tribunal oder einen Menschen gegeben, die über einen andern Menschen hätten Urteil und Recht sprechen können. Ehrbar, ehrbar, wenn ich bitten darf; — nicht zu dumm aussehen, saufe — nicht zu gescheit, ihr andern! Aber was kommt es ans eure Gesichter an? Die kleine, hilflose offene Hand am schlafende» Kinde ist's, die die Welt von Generation zu Generation sicher weiter¬ giebt. Also ein Glas via är^, meine Herren. Da sind wir ja wohl wieder angelangt an den Grenzen unsers Reiches und fordern Euch gnädigst auf, Adam Asche, unsre Prinzessin Tochter über die Schwelle zu führe». El, es weiß kein Mensch geimuer als ein König und ein Poet, wie wenig der Erde Pracht und Herrlichkeit bedeutet. He he, da läge noch ein Buch, Asche: ok tribus im- xörg,t.oribuL — Vou deu drei großen Herren! Der König — der Dichter und — der Vorstand der Irrenanstalt, und der letzte als der größte! Was sind alle Weltherrschaften gegen das ungeheure Reich, das sich dem letztern in den Köpfen seiner Unterthanen in Wundern, Schönheiten und Schrecknissen ausbreitet, und das er zusammenhalten und regiere» muß. An die Zigarren hast du hoffentlich auch gedacht, Albertine? . . . So ging das fort und fort unter dem frostigen, grauen Himmel und an dem trüben Fluß zwischen den Schleenhecken und Büschen — Gemeinplätze, selt¬ same Gedankenblitze, Erinnerungen an vergangene luxuriöse Tage und Genüsse. Für uns aber handelte es sich nur darum, dem alten, schlafwandelnden Kinde mit der wahrlich hilflosen offenen Hand in seinen gegenwärtigen Nöten so gut als möglich zu helfen und seiner Tochter noch mehr. Wir konnten wirklich jetzt von keiner seiner vielfachen Begabungen, das Leben „groß aufzufassen,"

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/436
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/436>, abgerufen am 29.12.2024.