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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei.

denke man sich unzählige Arbeiter und Lasttiere und den König mit seinem Ge¬
folge, welcher die Arbeiter zur Eile treibt.*)

Die Galerie des Velvedere verdankt diese interessanten Denkmäler der frühen
Genrekunst Kaiser Rudolf II., welcher, als Regent wegen seiner beispiellosen
Indolenz und Willkür allgemein verhaßt und verachtet, sich als Protektor und
Auftraggeber der Künstler unter diesen einer weitverbreiteten Popularität er¬
freute. Wir würden uns von diesem seltsamen Monarchen jedoch eine falsche
Vorstellung machen, wenn wir ihn als Förderer der Kunst um ihrer selbst willen
auffassen wollten. Die Kunst stand ihm nicht höher als die Alchemie und die
Astrologie. Ihre Erzeugnisse dienten nur dazu, neben kostbaren Steinen, sel¬
tenen Naturalien und allerhand Abnormitäten sein Kuriositätenkabinet zu füllen.
Doch konnten den Künstlern, welche durch Aufträge und Berufung von ihm
Vorteil zogen, seine absonderlichen Grillen gleichgiltig sein, und ebenso hat die
Nachwelt Ursache, wenigstens dem Kunstsammler Rudolf ein dankbares Andenken
zu widmen, da sein Sammeleifer manches kostbare Gemälde gerettet und dem
allgemeinen Studium gesichert hat. Wir können ungefähr den Zeitpunkt fest¬
stellen, wann Kaiser Rudolf die jetzt in Wien befindlichen Gemälde Brueghels
erworben hat, und zwar aus Briefen des Jan Brueghel, feines zweiten Sohnes,
dessen Charakteristik uns im folgenden beschäftigen wird.

Von Jan Brueghel hat sich nämlich in der ambrosianischen Bibliothek
in Mailand eine Sammlung von etwa achtzig Briefen erhalten, welche der¬
selbe an den Mailänder Erzbischof Federigo Borromev und einen dortigen
Kunstliebhaber Ercole Bicmchi gerichtet hat. Diese Sammlung ist nicht nur
von höchster Wichtigkeit für die Biographie Brueghels, da sich an der Hand
der Briefe eine eingehende Charakteristik des Meisters aufbauen läßt, sondern
sie gewährt auch interessante Einblicke in das damalige Kunstleben Antwerpens.
Außer den Briefen Michelangelos ist uns keine zweite Sammlung von Briefen
eines Künstlers erhalten, in welchen so ausschließlich von Kunstangelegenheiten
die Rede wäre wie in diesen Episteln Jan Brueghels. Selbst die viel zahl¬
reicheren Briefe von Rubens kommen dagegen nicht auf, weil sich unglücklicher¬
weise nur der Briefwechsel des Meisters mit seinen wissenschaftlichen Freunden
und seinen politischen Auftraggebern erhalten hat.

In einem dieser Briefe, vom 12. Dezember 1608 datirt und an Bicmchi
gerichtet, erwähnt Brueghel beiläufig, daß er sich in augenblicklicher Verlegenheit
befinde, weil er von dem Kaiser 2400 Goldgulden zu erhalten habe. Aus einem
spätern Briefe an den Erzbischof selbst, welcher das Datum des 6. Mai 1609



Eine eingehende Beschreibung der Brueghelschen Gemälde im Belvedere findet man
im zweiten Bande des neuen Katalogs der Galerie, welchen der Direktor derselben, Eduard
von Engerth, mit großem Fleiß verfaßt hat. Es ist der ausführlichste und inhaltreichste
Katalog, dessen sich eine Kunstsammlung rühmen kann, und überdies in Druck und Aus¬
stattung mustergiltig.
Die niederländische Genre- und Landschaftsmalerei.

denke man sich unzählige Arbeiter und Lasttiere und den König mit seinem Ge¬
folge, welcher die Arbeiter zur Eile treibt.*)

Die Galerie des Velvedere verdankt diese interessanten Denkmäler der frühen
Genrekunst Kaiser Rudolf II., welcher, als Regent wegen seiner beispiellosen
Indolenz und Willkür allgemein verhaßt und verachtet, sich als Protektor und
Auftraggeber der Künstler unter diesen einer weitverbreiteten Popularität er¬
freute. Wir würden uns von diesem seltsamen Monarchen jedoch eine falsche
Vorstellung machen, wenn wir ihn als Förderer der Kunst um ihrer selbst willen
auffassen wollten. Die Kunst stand ihm nicht höher als die Alchemie und die
Astrologie. Ihre Erzeugnisse dienten nur dazu, neben kostbaren Steinen, sel¬
tenen Naturalien und allerhand Abnormitäten sein Kuriositätenkabinet zu füllen.
Doch konnten den Künstlern, welche durch Aufträge und Berufung von ihm
Vorteil zogen, seine absonderlichen Grillen gleichgiltig sein, und ebenso hat die
Nachwelt Ursache, wenigstens dem Kunstsammler Rudolf ein dankbares Andenken
zu widmen, da sein Sammeleifer manches kostbare Gemälde gerettet und dem
allgemeinen Studium gesichert hat. Wir können ungefähr den Zeitpunkt fest¬
stellen, wann Kaiser Rudolf die jetzt in Wien befindlichen Gemälde Brueghels
erworben hat, und zwar aus Briefen des Jan Brueghel, feines zweiten Sohnes,
dessen Charakteristik uns im folgenden beschäftigen wird.

Von Jan Brueghel hat sich nämlich in der ambrosianischen Bibliothek
in Mailand eine Sammlung von etwa achtzig Briefen erhalten, welche der¬
selbe an den Mailänder Erzbischof Federigo Borromev und einen dortigen
Kunstliebhaber Ercole Bicmchi gerichtet hat. Diese Sammlung ist nicht nur
von höchster Wichtigkeit für die Biographie Brueghels, da sich an der Hand
der Briefe eine eingehende Charakteristik des Meisters aufbauen läßt, sondern
sie gewährt auch interessante Einblicke in das damalige Kunstleben Antwerpens.
Außer den Briefen Michelangelos ist uns keine zweite Sammlung von Briefen
eines Künstlers erhalten, in welchen so ausschließlich von Kunstangelegenheiten
die Rede wäre wie in diesen Episteln Jan Brueghels. Selbst die viel zahl¬
reicheren Briefe von Rubens kommen dagegen nicht auf, weil sich unglücklicher¬
weise nur der Briefwechsel des Meisters mit seinen wissenschaftlichen Freunden
und seinen politischen Auftraggebern erhalten hat.

In einem dieser Briefe, vom 12. Dezember 1608 datirt und an Bicmchi
gerichtet, erwähnt Brueghel beiläufig, daß er sich in augenblicklicher Verlegenheit
befinde, weil er von dem Kaiser 2400 Goldgulden zu erhalten habe. Aus einem
spätern Briefe an den Erzbischof selbst, welcher das Datum des 6. Mai 1609



Eine eingehende Beschreibung der Brueghelschen Gemälde im Belvedere findet man
im zweiten Bande des neuen Katalogs der Galerie, welchen der Direktor derselben, Eduard
von Engerth, mit großem Fleiß verfaßt hat. Es ist der ausführlichste und inhaltreichste
Katalog, dessen sich eine Kunstsammlung rühmen kann, und überdies in Druck und Aus¬
stattung mustergiltig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/420>, abgerufen am 29.12.2024.