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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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in den Sack steckt, und die Kellner, auf die es ursprünglich gemünzt ist, das
Nachsehen haben. In gewöhnlichen Zeitläuften wird das Grnndertrinkgeld nur
von Studenten, Baronen und einzelnen Renommisten verbrochen, indes darf
nicht verschwiegen werden, daß es auch in Fällen vorkommt, wo es als un¬
bewachter Ausfluß eines wohlwollenden Gemüts vor den Augen der Gerechtigkeit
mit Nachsicht beurteilt werden darf. So, wenn man nach "wohlschlafender
Nacht" bei einem guten Kaffee aus dem vom Portier zugestellten Briefe ersehen
hat, daß Frau und Kinder wohlauf sind und der Urlaub um acht Tage ver¬
längert worden ist. Das Geldstück, welches man hier dem Kellner in die Hand
drückt, entspringt einem unbestimmten Gefühl der Dankbarkeit, das sich nach der
ersten besten Seite Luft machen will. Gewiß, ein sehr schönes Gefühl, nur
schade, daß der Kellner im allgemeinen nicht als das würdigste Objekt desselben
bezeichnet werden kann.

Wir haben bisher zwei Arten des Trinkgeldes charakterisirt, die, so ent¬
gegengesetzt ihre Natur ist, doch darin übereinkommen, daß sie ihren Namen
mit Unrecht tragen. Das obligate Trinkgeld ist die Bezahlung einer Leistung
in freier Form, das Gründertrinkgeld ist ein Geschenk, dem keine Spur einer
Leistung gegenübersteht; zwischen diesen beiden Pseudotrinkgcldern steht nun in
der Mitte das eigentliche, das "Urtrinkgeld," eine Ergänzung der vertragsmüßigen
Zahlungen, das kein Ukas und kein Philosophen je ausrotten wird, das
von jeher bestanden hat und immer bestehen wird, ebenso unentbehrlich wie
in sich selbst gerechtfertigt. Wie das obligate Trinkgeld, so ist auch das
Urtrinkgeld ein Entgelt für wirkliche Dienstleistungen, aber nicht, wie jenes,
für solche, die einer Mehrzahl gegenüber gleichmüßig wiederkehren und deshalb
von der öffentlichen Meinung fest eingeschätzt sind, sondern für vereinzelte
Bemühungen der verschiedensten Art, die ihrer Natur nach einer vertrags¬
mäßigen Regelung widerstreben. Unbestimmten und persönlichen Inhalts, grenzen
sie mehr oder weniger an das Gebiet allgemein menschlicher Gefälligkeiten
und Liebenswürdigkeiten, von denen sie sich weniger durch ihre Beschaffenheit
unterscheiden, als durch die Person, von der, und durch die begleitenden Um¬
stände, unter denen diese Dienste geleistet werden. Nicht wertvoll genug an
sich, um ein Entgelt zu fordern, sind sie doch nicht zu geringfügig, um unsrer
Bescheidenheit die Annahme eines solchen zu verbieten. Derselbe Dienst, der,
von meinesgleichen erwiesen, nichts ist als eine Gefälligkeit, wird trinkgeldfähig
einer Person aus der dienenden Klasse gegenüber. Doch auch in diesen
Kreisen ist der Trinkgeldersinn bekanntlich sehr verschieden geweckt und entwickelt.
Alle diese Verhältnisse genau zu beurteilen und den landesüblichen Observanzcn
ihr Recht zu geben, ist für einen gewissenhaften Retsenden sehr schwierig und
die Quelle der mannichfachsten Verdrießlichkeiten. Wir sehen also bei einer und
derselben Dienstleistung eine Stufenleiter. Hat ein Förster die Güte, mich eine
halbe Stunde weit auf den richtigen Weg zu bringen, so bleibt es bei einer


in den Sack steckt, und die Kellner, auf die es ursprünglich gemünzt ist, das
Nachsehen haben. In gewöhnlichen Zeitläuften wird das Grnndertrinkgeld nur
von Studenten, Baronen und einzelnen Renommisten verbrochen, indes darf
nicht verschwiegen werden, daß es auch in Fällen vorkommt, wo es als un¬
bewachter Ausfluß eines wohlwollenden Gemüts vor den Augen der Gerechtigkeit
mit Nachsicht beurteilt werden darf. So, wenn man nach „wohlschlafender
Nacht" bei einem guten Kaffee aus dem vom Portier zugestellten Briefe ersehen
hat, daß Frau und Kinder wohlauf sind und der Urlaub um acht Tage ver¬
längert worden ist. Das Geldstück, welches man hier dem Kellner in die Hand
drückt, entspringt einem unbestimmten Gefühl der Dankbarkeit, das sich nach der
ersten besten Seite Luft machen will. Gewiß, ein sehr schönes Gefühl, nur
schade, daß der Kellner im allgemeinen nicht als das würdigste Objekt desselben
bezeichnet werden kann.

Wir haben bisher zwei Arten des Trinkgeldes charakterisirt, die, so ent¬
gegengesetzt ihre Natur ist, doch darin übereinkommen, daß sie ihren Namen
mit Unrecht tragen. Das obligate Trinkgeld ist die Bezahlung einer Leistung
in freier Form, das Gründertrinkgeld ist ein Geschenk, dem keine Spur einer
Leistung gegenübersteht; zwischen diesen beiden Pseudotrinkgcldern steht nun in
der Mitte das eigentliche, das „Urtrinkgeld," eine Ergänzung der vertragsmüßigen
Zahlungen, das kein Ukas und kein Philosophen je ausrotten wird, das
von jeher bestanden hat und immer bestehen wird, ebenso unentbehrlich wie
in sich selbst gerechtfertigt. Wie das obligate Trinkgeld, so ist auch das
Urtrinkgeld ein Entgelt für wirkliche Dienstleistungen, aber nicht, wie jenes,
für solche, die einer Mehrzahl gegenüber gleichmüßig wiederkehren und deshalb
von der öffentlichen Meinung fest eingeschätzt sind, sondern für vereinzelte
Bemühungen der verschiedensten Art, die ihrer Natur nach einer vertrags¬
mäßigen Regelung widerstreben. Unbestimmten und persönlichen Inhalts, grenzen
sie mehr oder weniger an das Gebiet allgemein menschlicher Gefälligkeiten
und Liebenswürdigkeiten, von denen sie sich weniger durch ihre Beschaffenheit
unterscheiden, als durch die Person, von der, und durch die begleitenden Um¬
stände, unter denen diese Dienste geleistet werden. Nicht wertvoll genug an
sich, um ein Entgelt zu fordern, sind sie doch nicht zu geringfügig, um unsrer
Bescheidenheit die Annahme eines solchen zu verbieten. Derselbe Dienst, der,
von meinesgleichen erwiesen, nichts ist als eine Gefälligkeit, wird trinkgeldfähig
einer Person aus der dienenden Klasse gegenüber. Doch auch in diesen
Kreisen ist der Trinkgeldersinn bekanntlich sehr verschieden geweckt und entwickelt.
Alle diese Verhältnisse genau zu beurteilen und den landesüblichen Observanzcn
ihr Recht zu geben, ist für einen gewissenhaften Retsenden sehr schwierig und
die Quelle der mannichfachsten Verdrießlichkeiten. Wir sehen also bei einer und
derselben Dienstleistung eine Stufenleiter. Hat ein Förster die Güte, mich eine
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/42>, abgerufen am 29.12.2024.