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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Die Verstaatlichung der Versicherungsanstalten.

Würden dieselben samt und sonders ausgeschieden sein.. . Aber die Verwaltung
sah es als ihre erste Sorge an, daß die Versicherten durch Nachschüsse mit
herangezogen werden, und zur Erfüllung dieser Aufgabe wurden fast sämtliche
Jahresabschlüsse mit unrichtigen Angaben und Zahlen versehen... Hiernach kann
es gar keinen Unterschied machen, wann der einzelne Versicherte Mitglied ge¬
worden ist; denn die absichtlichen Täuschungen laufen von Jahr zu Jahr weiter.
Die Bilanz für 1881 endlich, wie sie das (Fischersche) Nach schußschreiben enthält,
ist erst 1883 aufgestellt, während sie nach den Statuten am 31. Dezember 1881
aufgestellt und der nächsten ordentlichen Generalversammlung vorgelegt und
Nachschüsse gleichfalls im nächsten Jahre ausgeschrieben werden müssen. Es
kann deshalb auch die Versicherten des Jahres 1881 nicht tangiren, wenn sie etwa
nicht aus-, sondern ins Jahr 1882 u. s. w. übergetreten sind. Es war ihnen
spätestens in der ordentlichen Generalversammlung des nächsten Jahres mitzu¬
teilen, daß Nachschuß zu erheben war, und ist ihnen diese Mitteilung nicht
gemacht worden, so sind sie in einem wesentlichen Irrtume gelassen worden, und
dieser charakterisirt sich als ein solcher, daß der Vertrag ungiltig wurde. Es
empfiehlt sich daher Widerklage auf Aufhebung der Versicherungen und zwar
schon von dem nächsten Jahre nach dem Beitritt an anzustellen."

Indem wir unser Thema mit den vielen Schattenseiten des bisherigen
Versicherungswesens, die bei Betrachtung desselben zum Vorschein kamen und
zur Abhilfe aufforderten, bis auf weiteres fallen lassen, machen wir noch auf
eine Zeitungsnotiz aufmerksam, nach der in den Vereinigten Staaten Staats¬
versicherungsämter bestehen, welche die Aufgabe haben, über alle Versicherungs¬
gesellschaften eingehende Kontrole zu üben und speziell genau die Werte vorzu¬
schreiben, in denen die Kapitalien der Lebensversicherungsgesellschaften angelegt
werden dürfen. Jedes Jahr wird von den Superintendenten dieser Ämter das
Ergebnis ihrer Prüfungen in Gestalt eines detaillirten Berichtes an die
Gesetzgebung eingereicht und eine Bilanz der einzelnen Assekuranzgesellschafteu
mit Angabe der verschiednen Besitz- und Wertstücke einer jeden veröffentlicht,
sodaß jedermann über die Vermögenslage der heimischen Anstalten dieser Art
wohlunterrichtet ist. Für Deutschland würde eine derartige Kontrole am
geeignetsten dem neugegründeten "Neichsversicherungsamte" übertragen werden;
denn nach dem trostlosen Verfalle mehrerer Versicherungsgesellschaften erscheint
die gegenwärtige Staatsaufsicht, die in betreff der in Berlin befindlichen vom
dortigen Polizeipräsidium geübt wird, als nicht genügend technisch durchgebildet,
um Malversationen zu durchschauen, da man doch an dem Fleiß und der Ge¬
wissenhaftigkeit der kontrolirenden Staatsbeamten keinenfalls zweifeln darf. Es
sollte also das berufenste Amt des Reiches mit der Beaufsichtigung der in Rede
stehenden Gesellschaften beauftragt und es sollten die Gerichte angewiesen werden,
diejenigen Prozeßakten an jenes Amt einzusenden, aus welchen sich ein unredliches
Verhalten dieser Gesellschaften ergiebt. Dies wäre -- die Frage der Verstaat-


Die Verstaatlichung der Versicherungsanstalten.

Würden dieselben samt und sonders ausgeschieden sein.. . Aber die Verwaltung
sah es als ihre erste Sorge an, daß die Versicherten durch Nachschüsse mit
herangezogen werden, und zur Erfüllung dieser Aufgabe wurden fast sämtliche
Jahresabschlüsse mit unrichtigen Angaben und Zahlen versehen... Hiernach kann
es gar keinen Unterschied machen, wann der einzelne Versicherte Mitglied ge¬
worden ist; denn die absichtlichen Täuschungen laufen von Jahr zu Jahr weiter.
Die Bilanz für 1881 endlich, wie sie das (Fischersche) Nach schußschreiben enthält,
ist erst 1883 aufgestellt, während sie nach den Statuten am 31. Dezember 1881
aufgestellt und der nächsten ordentlichen Generalversammlung vorgelegt und
Nachschüsse gleichfalls im nächsten Jahre ausgeschrieben werden müssen. Es
kann deshalb auch die Versicherten des Jahres 1881 nicht tangiren, wenn sie etwa
nicht aus-, sondern ins Jahr 1882 u. s. w. übergetreten sind. Es war ihnen
spätestens in der ordentlichen Generalversammlung des nächsten Jahres mitzu¬
teilen, daß Nachschuß zu erheben war, und ist ihnen diese Mitteilung nicht
gemacht worden, so sind sie in einem wesentlichen Irrtume gelassen worden, und
dieser charakterisirt sich als ein solcher, daß der Vertrag ungiltig wurde. Es
empfiehlt sich daher Widerklage auf Aufhebung der Versicherungen und zwar
schon von dem nächsten Jahre nach dem Beitritt an anzustellen."

Indem wir unser Thema mit den vielen Schattenseiten des bisherigen
Versicherungswesens, die bei Betrachtung desselben zum Vorschein kamen und
zur Abhilfe aufforderten, bis auf weiteres fallen lassen, machen wir noch auf
eine Zeitungsnotiz aufmerksam, nach der in den Vereinigten Staaten Staats¬
versicherungsämter bestehen, welche die Aufgabe haben, über alle Versicherungs¬
gesellschaften eingehende Kontrole zu üben und speziell genau die Werte vorzu¬
schreiben, in denen die Kapitalien der Lebensversicherungsgesellschaften angelegt
werden dürfen. Jedes Jahr wird von den Superintendenten dieser Ämter das
Ergebnis ihrer Prüfungen in Gestalt eines detaillirten Berichtes an die
Gesetzgebung eingereicht und eine Bilanz der einzelnen Assekuranzgesellschafteu
mit Angabe der verschiednen Besitz- und Wertstücke einer jeden veröffentlicht,
sodaß jedermann über die Vermögenslage der heimischen Anstalten dieser Art
wohlunterrichtet ist. Für Deutschland würde eine derartige Kontrole am
geeignetsten dem neugegründeten „Neichsversicherungsamte" übertragen werden;
denn nach dem trostlosen Verfalle mehrerer Versicherungsgesellschaften erscheint
die gegenwärtige Staatsaufsicht, die in betreff der in Berlin befindlichen vom
dortigen Polizeipräsidium geübt wird, als nicht genügend technisch durchgebildet,
um Malversationen zu durchschauen, da man doch an dem Fleiß und der Ge¬
wissenhaftigkeit der kontrolirenden Staatsbeamten keinenfalls zweifeln darf. Es
sollte also das berufenste Amt des Reiches mit der Beaufsichtigung der in Rede
stehenden Gesellschaften beauftragt und es sollten die Gerichte angewiesen werden,
diejenigen Prozeßakten an jenes Amt einzusenden, aus welchen sich ein unredliches
Verhalten dieser Gesellschaften ergiebt. Dies wäre — die Frage der Verstaat-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/323>, abgerufen am 29.12.2024.