Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Die Braunschweiger Frage.

nicht gering zu achten gewesen, denn es hat z. B. bedeutendes auf dem Gebiete
der Wissenschaft und Literatur geleistet, und einige der hervorragendsten Mit¬
glieder des preußischen Abgeordnetenhauses und des Reichstages, unter die wir
auch Herrn Windthorst rechnen müssen, haben ihr Mandat von hannoverschen
Wählerschaften. Ein halb unabhängiges Hannover mit einem gleich der säch¬
sischen Armee gestellten Heere und einem eignen Parlamente würde für den
Reichskanzler, zumal da es die Trennung des Westens der preußischen Mon¬
archie vom Osten derselben verewigt oder doch noch lange erhalten hätte, in
der That für die Politik des Kanzlers unbequemer gewesen sein als Baiern
und Würtemberg mit ihren Reservatrechten. Die Halsstarrigkeit des Königs
Georg, die nach der Kapitulation von Langensalza dieselbe wie früher in
Herrenhausen blieb, war deshalb für jenen eine wahre Wohlthat und für ganz
Deutschland eine segensreiche, göttliche Fügung. Sie hätte mit dem Gewichte
Hannovers und der Lage desselben zwischen den beiden Hälften Preußens in
dem neuen deutschen Bunde einen ärgerlichen Hemmschuh gebildet, möglicher¬
weise manchen schweren Schaden herbeigeführt und auf alle Fälle dem Aus¬
lande das neue Deutschland als nicht fest gegründet, als mangelhaft verbunden
und somit als schwach und ungenügend widerstandsfähig erscheinen lassen.

Die jetzige welfische Opposition ist in: heutigen Deutschland ungefähr das,
was unter den ersten welfischen Königen Englands, Georg dem Ersten und
Georg dem Zweiten, die Jakobiten waren. Auch mit den französischen Legiti-
misten, die im Grafen Chambord ihren Roy verehrten, lassen sie sich vergleichen,
nur hatten diese ihre Vorgänger ein paar Jahre lang nach 1871 bessere Aus¬
sichten auf Verwirklichung ihrer Ideale. Die welfischen Politiker schwärmen
wie die Jakobiten von 1745 und die französischen Legitimisten der jüngsten
Zeit für eine Restauration, sie träumen, daß der "König" unfehlbar "wieder zu
dem Seinigen kommen" werde, sie haben in der Stadt Hannover, im Calen-
bergischen und im Lüneburgischen unzweifelhaft viele Genossen ihres Glaubens
und ihrer Illusionen, und der hannoversche Adel folgt fast ohne Ausnahme
ihrer weißgelben Fahne. Ihre Stellung zu Preußen und zum deutschen Reiche
wird durch die vor kurzem von einem ihrer Führer berichtete Äußerung charak-
terisirt: "Da Preußen dem Herzog von Cumberland den Thron von Hannover
nicht freiwillig einräumen wird, so müssen wir auswärtige Verwicklungen be¬
nutzen, um eine gewaltsame Restauration herbeizuführen." Man sieht, ganz wie
der allerdurchlauchtigste Gründer und Kriegsherr der Welfenlegion, als der
Krieg mit Frankreich drohte, nur die Gelegenheit für den bösen Willen ist
seitdem erheblich ferner gerückt. Sonst erinnert die Gesinnung, die aus jenen
Worten spricht, auch lebhaft an die Parteigänger des englischen Prätendenten,
die mit Frohlocken eine französische Invasion begrüßten, welche ihrem Prinzen
die verwirkte Krone wiedererobern sollte. Fürst Bismarck aber ist selbstver¬
ständlich durchaus nicht gesonnen, mit dieser Art von Gegnern zu verhandeln


Die Braunschweiger Frage.

nicht gering zu achten gewesen, denn es hat z. B. bedeutendes auf dem Gebiete
der Wissenschaft und Literatur geleistet, und einige der hervorragendsten Mit¬
glieder des preußischen Abgeordnetenhauses und des Reichstages, unter die wir
auch Herrn Windthorst rechnen müssen, haben ihr Mandat von hannoverschen
Wählerschaften. Ein halb unabhängiges Hannover mit einem gleich der säch¬
sischen Armee gestellten Heere und einem eignen Parlamente würde für den
Reichskanzler, zumal da es die Trennung des Westens der preußischen Mon¬
archie vom Osten derselben verewigt oder doch noch lange erhalten hätte, in
der That für die Politik des Kanzlers unbequemer gewesen sein als Baiern
und Würtemberg mit ihren Reservatrechten. Die Halsstarrigkeit des Königs
Georg, die nach der Kapitulation von Langensalza dieselbe wie früher in
Herrenhausen blieb, war deshalb für jenen eine wahre Wohlthat und für ganz
Deutschland eine segensreiche, göttliche Fügung. Sie hätte mit dem Gewichte
Hannovers und der Lage desselben zwischen den beiden Hälften Preußens in
dem neuen deutschen Bunde einen ärgerlichen Hemmschuh gebildet, möglicher¬
weise manchen schweren Schaden herbeigeführt und auf alle Fälle dem Aus¬
lande das neue Deutschland als nicht fest gegründet, als mangelhaft verbunden
und somit als schwach und ungenügend widerstandsfähig erscheinen lassen.

Die jetzige welfische Opposition ist in: heutigen Deutschland ungefähr das,
was unter den ersten welfischen Königen Englands, Georg dem Ersten und
Georg dem Zweiten, die Jakobiten waren. Auch mit den französischen Legiti-
misten, die im Grafen Chambord ihren Roy verehrten, lassen sie sich vergleichen,
nur hatten diese ihre Vorgänger ein paar Jahre lang nach 1871 bessere Aus¬
sichten auf Verwirklichung ihrer Ideale. Die welfischen Politiker schwärmen
wie die Jakobiten von 1745 und die französischen Legitimisten der jüngsten
Zeit für eine Restauration, sie träumen, daß der „König" unfehlbar „wieder zu
dem Seinigen kommen" werde, sie haben in der Stadt Hannover, im Calen-
bergischen und im Lüneburgischen unzweifelhaft viele Genossen ihres Glaubens
und ihrer Illusionen, und der hannoversche Adel folgt fast ohne Ausnahme
ihrer weißgelben Fahne. Ihre Stellung zu Preußen und zum deutschen Reiche
wird durch die vor kurzem von einem ihrer Führer berichtete Äußerung charak-
terisirt: „Da Preußen dem Herzog von Cumberland den Thron von Hannover
nicht freiwillig einräumen wird, so müssen wir auswärtige Verwicklungen be¬
nutzen, um eine gewaltsame Restauration herbeizuführen." Man sieht, ganz wie
der allerdurchlauchtigste Gründer und Kriegsherr der Welfenlegion, als der
Krieg mit Frankreich drohte, nur die Gelegenheit für den bösen Willen ist
seitdem erheblich ferner gerückt. Sonst erinnert die Gesinnung, die aus jenen
Worten spricht, auch lebhaft an die Parteigänger des englischen Prätendenten,
die mit Frohlocken eine französische Invasion begrüßten, welche ihrem Prinzen
die verwirkte Krone wiedererobern sollte. Fürst Bismarck aber ist selbstver¬
ständlich durchaus nicht gesonnen, mit dieser Art von Gegnern zu verhandeln


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0307" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/157232"/>
          <fw type="header" place="top"> Die Braunschweiger Frage.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1078" prev="#ID_1077"> nicht gering zu achten gewesen, denn es hat z. B. bedeutendes auf dem Gebiete<lb/>
der Wissenschaft und Literatur geleistet, und einige der hervorragendsten Mit¬<lb/>
glieder des preußischen Abgeordnetenhauses und des Reichstages, unter die wir<lb/>
auch Herrn Windthorst rechnen müssen, haben ihr Mandat von hannoverschen<lb/>
Wählerschaften. Ein halb unabhängiges Hannover mit einem gleich der säch¬<lb/>
sischen Armee gestellten Heere und einem eignen Parlamente würde für den<lb/>
Reichskanzler, zumal da es die Trennung des Westens der preußischen Mon¬<lb/>
archie vom Osten derselben verewigt oder doch noch lange erhalten hätte, in<lb/>
der That für die Politik des Kanzlers unbequemer gewesen sein als Baiern<lb/>
und Würtemberg mit ihren Reservatrechten. Die Halsstarrigkeit des Königs<lb/>
Georg, die nach der Kapitulation von Langensalza dieselbe wie früher in<lb/>
Herrenhausen blieb, war deshalb für jenen eine wahre Wohlthat und für ganz<lb/>
Deutschland eine segensreiche, göttliche Fügung. Sie hätte mit dem Gewichte<lb/>
Hannovers und der Lage desselben zwischen den beiden Hälften Preußens in<lb/>
dem neuen deutschen Bunde einen ärgerlichen Hemmschuh gebildet, möglicher¬<lb/>
weise manchen schweren Schaden herbeigeführt und auf alle Fälle dem Aus¬<lb/>
lande das neue Deutschland als nicht fest gegründet, als mangelhaft verbunden<lb/>
und somit als schwach und ungenügend widerstandsfähig erscheinen lassen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1079" next="#ID_1080"> Die jetzige welfische Opposition ist in: heutigen Deutschland ungefähr das,<lb/>
was unter den ersten welfischen Königen Englands, Georg dem Ersten und<lb/>
Georg dem Zweiten, die Jakobiten waren. Auch mit den französischen Legiti-<lb/>
misten, die im Grafen Chambord ihren Roy verehrten, lassen sie sich vergleichen,<lb/>
nur hatten diese ihre Vorgänger ein paar Jahre lang nach 1871 bessere Aus¬<lb/>
sichten auf Verwirklichung ihrer Ideale. Die welfischen Politiker schwärmen<lb/>
wie die Jakobiten von 1745 und die französischen Legitimisten der jüngsten<lb/>
Zeit für eine Restauration, sie träumen, daß der &#x201E;König" unfehlbar &#x201E;wieder zu<lb/>
dem Seinigen kommen" werde, sie haben in der Stadt Hannover, im Calen-<lb/>
bergischen und im Lüneburgischen unzweifelhaft viele Genossen ihres Glaubens<lb/>
und ihrer Illusionen, und der hannoversche Adel folgt fast ohne Ausnahme<lb/>
ihrer weißgelben Fahne. Ihre Stellung zu Preußen und zum deutschen Reiche<lb/>
wird durch die vor kurzem von einem ihrer Führer berichtete Äußerung charak-<lb/>
terisirt: &#x201E;Da Preußen dem Herzog von Cumberland den Thron von Hannover<lb/>
nicht freiwillig einräumen wird, so müssen wir auswärtige Verwicklungen be¬<lb/>
nutzen, um eine gewaltsame Restauration herbeizuführen." Man sieht, ganz wie<lb/>
der allerdurchlauchtigste Gründer und Kriegsherr der Welfenlegion, als der<lb/>
Krieg mit Frankreich drohte, nur die Gelegenheit für den bösen Willen ist<lb/>
seitdem erheblich ferner gerückt. Sonst erinnert die Gesinnung, die aus jenen<lb/>
Worten spricht, auch lebhaft an die Parteigänger des englischen Prätendenten,<lb/>
die mit Frohlocken eine französische Invasion begrüßten, welche ihrem Prinzen<lb/>
die verwirkte Krone wiedererobern sollte. Fürst Bismarck aber ist selbstver¬<lb/>
ständlich durchaus nicht gesonnen, mit dieser Art von Gegnern zu verhandeln</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0307] Die Braunschweiger Frage. nicht gering zu achten gewesen, denn es hat z. B. bedeutendes auf dem Gebiete der Wissenschaft und Literatur geleistet, und einige der hervorragendsten Mit¬ glieder des preußischen Abgeordnetenhauses und des Reichstages, unter die wir auch Herrn Windthorst rechnen müssen, haben ihr Mandat von hannoverschen Wählerschaften. Ein halb unabhängiges Hannover mit einem gleich der säch¬ sischen Armee gestellten Heere und einem eignen Parlamente würde für den Reichskanzler, zumal da es die Trennung des Westens der preußischen Mon¬ archie vom Osten derselben verewigt oder doch noch lange erhalten hätte, in der That für die Politik des Kanzlers unbequemer gewesen sein als Baiern und Würtemberg mit ihren Reservatrechten. Die Halsstarrigkeit des Königs Georg, die nach der Kapitulation von Langensalza dieselbe wie früher in Herrenhausen blieb, war deshalb für jenen eine wahre Wohlthat und für ganz Deutschland eine segensreiche, göttliche Fügung. Sie hätte mit dem Gewichte Hannovers und der Lage desselben zwischen den beiden Hälften Preußens in dem neuen deutschen Bunde einen ärgerlichen Hemmschuh gebildet, möglicher¬ weise manchen schweren Schaden herbeigeführt und auf alle Fälle dem Aus¬ lande das neue Deutschland als nicht fest gegründet, als mangelhaft verbunden und somit als schwach und ungenügend widerstandsfähig erscheinen lassen. Die jetzige welfische Opposition ist in: heutigen Deutschland ungefähr das, was unter den ersten welfischen Königen Englands, Georg dem Ersten und Georg dem Zweiten, die Jakobiten waren. Auch mit den französischen Legiti- misten, die im Grafen Chambord ihren Roy verehrten, lassen sie sich vergleichen, nur hatten diese ihre Vorgänger ein paar Jahre lang nach 1871 bessere Aus¬ sichten auf Verwirklichung ihrer Ideale. Die welfischen Politiker schwärmen wie die Jakobiten von 1745 und die französischen Legitimisten der jüngsten Zeit für eine Restauration, sie träumen, daß der „König" unfehlbar „wieder zu dem Seinigen kommen" werde, sie haben in der Stadt Hannover, im Calen- bergischen und im Lüneburgischen unzweifelhaft viele Genossen ihres Glaubens und ihrer Illusionen, und der hannoversche Adel folgt fast ohne Ausnahme ihrer weißgelben Fahne. Ihre Stellung zu Preußen und zum deutschen Reiche wird durch die vor kurzem von einem ihrer Führer berichtete Äußerung charak- terisirt: „Da Preußen dem Herzog von Cumberland den Thron von Hannover nicht freiwillig einräumen wird, so müssen wir auswärtige Verwicklungen be¬ nutzen, um eine gewaltsame Restauration herbeizuführen." Man sieht, ganz wie der allerdurchlauchtigste Gründer und Kriegsherr der Welfenlegion, als der Krieg mit Frankreich drohte, nur die Gelegenheit für den bösen Willen ist seitdem erheblich ferner gerückt. Sonst erinnert die Gesinnung, die aus jenen Worten spricht, auch lebhaft an die Parteigänger des englischen Prätendenten, die mit Frohlocken eine französische Invasion begrüßten, welche ihrem Prinzen die verwirkte Krone wiedererobern sollte. Fürst Bismarck aber ist selbstver¬ ständlich durchaus nicht gesonnen, mit dieser Art von Gegnern zu verhandeln

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/307
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/307>, abgerufen am 29.12.2024.