Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.Auch ein deutscher Literarhistoriker. Gestaltung der Kunstpoesie nachgespürt." Wenn wir gleich bemerken, daß es Schon oben wurde berührt, daß in Deutschland wie überall als älteste Von der schülerhaften Darstellungsweise des ganzen Buches hier noch ein Grenzboten IV. 1334. SS
Auch ein deutscher Literarhistoriker. Gestaltung der Kunstpoesie nachgespürt." Wenn wir gleich bemerken, daß es Schon oben wurde berührt, daß in Deutschland wie überall als älteste Von der schülerhaften Darstellungsweise des ganzen Buches hier noch ein Grenzboten IV. 1334. SS
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0281" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/157206"/> <fw type="header" place="top"> Auch ein deutscher Literarhistoriker.</fw><lb/> <p xml:id="ID_972" prev="#ID_971"> Gestaltung der Kunstpoesie nachgespürt." Wenn wir gleich bemerken, daß es<lb/> vor dem neunten Jahrhundert sogenannte Kunstpoesie in Deutschland nicht ge¬<lb/> geben hat, sondern nur Volkspoesie, von einem Gegensatze zwischen beiden vor<lb/> diesem Zeitpunkte also nicht die Rede sein kann, so würde in dem zitirten Satze<lb/> immer noch die durch Originalität hervorragende Meinung vertreten bleiben,<lb/> daß vom neunten bis zum fünfzehnten Jahrhundert die „Bedeutung der Volks¬<lb/> poesie," nicht etwa die Volkspoesie selbst, „allzusehr in den Schatten gestellt und<lb/> nur der Entfaltung und Gestaltung der Kunstpoesie nachgespürt wurde," offen¬<lb/> bar von den deutschen Literarhistorikern vom neunten bis zum fünfzehnten<lb/> Jahrhundert, den neuentdeckten uralten Fachgenossen des Herr» Weddigen, Dann<lb/> heißt es weiter: „So (!) ist es denn zu erklären, daß sich erst seit dem Beginne<lb/> der Neuzeit eine Einteilung in lyrische, epische und dramatische Volksdichtung<lb/> rechtfertigen und machen läßt." Gewöhnlich wird etwas erst „gemacht" und<lb/> dann „gerechtfertigt," bei Herrn Weddigen ist es umgekehrt. Das eröffnende<lb/> „So" zeigt recht die Unlogik in seinem Ausdruck, denn die zuerst angeführten<lb/> angeblichen Thatsachen stehen nicht in dem geringsten bedingenden Zusammen¬<lb/> hange zu der zuletzt behaupteten, würden es auch nicht thun, wenn alle diese<lb/> Behauptungen wenigstens einen richtigen Kern in sich bargen.</p><lb/> <p xml:id="ID_973"> Schon oben wurde berührt, daß in Deutschland wie überall als älteste<lb/> Dichtung die chorische zu nennen ist, die nur durch Zusammenwirken von Massen<lb/> zugleich mit Musik und Tanz zur Bethätigung gelangt. Am ehesten vergleicht<lb/> sie sich also der dramatischen Poesie. Wohl ebenso alt aber ist die lyrische<lb/> Volkspoesie und vielleicht auch die epische. Nur Unkenntnis kann diese Ein¬<lb/> teilung auf die Dichtung der Neuzeit beschränken Wollen. Was also in der<lb/> Verwirrung jener ersten Sätze gemeint sein kann, ließe sich etwa so ausdrücken:<lb/> Die Volkspoesie, der zuerst im karlingischen Zeitalter eine auf christlicher Ge¬<lb/> lehrsamkeit beruhende Kunstdichtung hemmend zur Seite trat, wurde im Laufe<lb/> der nächsten Jahrhunderte nur sehr allmählich und nie vollkommen aus der<lb/> Pflege der besten Kreise der mittelalterlichen Gesellschaft verdrängt. Ohne die<lb/> stets lebendige Volksdichtung wäre die höchste Blüte sowohl der Lyrik bei Walther<lb/> von der Vogelweide, als das Heldenepos nie erreicht worden, und auch die<lb/> höfische Kunstpoesie, die ihre Stoffe aus der Fremde bezog, zeigt in der Kunst¬<lb/> form mannichfache Beeinflussung durch die Volksdichtung. Aber erst seit die<lb/> höheren Kreise sich der Poesie ganz entfremdet hatten, seit dem vierzehnten Jahr¬<lb/> hundert, gewann die Volksdichtung der mittleren und unteren Kreise wieder alles<lb/> verlorene Gebiet für sich zurück; daß sie aber erst seit Erfindung des Buchdruckes<lb/> dauernde Spuren ihres Seins und ihrer Verbreitung auch für uns heute noch<lb/> hinterlassen hat, während sie früher nur für das jedesmalige Bedürfnis neu<lb/> entstand und alsbald wieder verging, das bedarf keiner weitern Erklärung.</p><lb/> <p xml:id="ID_974" next="#ID_975"> Von der schülerhaften Darstellungsweise des ganzen Buches hier noch ein<lb/> weiteres Pröbchen. An einer Stelle heißt es: „Wie die Forschung ergiebt, daß viele</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 1334. SS</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0281]
Auch ein deutscher Literarhistoriker.
Gestaltung der Kunstpoesie nachgespürt." Wenn wir gleich bemerken, daß es
vor dem neunten Jahrhundert sogenannte Kunstpoesie in Deutschland nicht ge¬
geben hat, sondern nur Volkspoesie, von einem Gegensatze zwischen beiden vor
diesem Zeitpunkte also nicht die Rede sein kann, so würde in dem zitirten Satze
immer noch die durch Originalität hervorragende Meinung vertreten bleiben,
daß vom neunten bis zum fünfzehnten Jahrhundert die „Bedeutung der Volks¬
poesie," nicht etwa die Volkspoesie selbst, „allzusehr in den Schatten gestellt und
nur der Entfaltung und Gestaltung der Kunstpoesie nachgespürt wurde," offen¬
bar von den deutschen Literarhistorikern vom neunten bis zum fünfzehnten
Jahrhundert, den neuentdeckten uralten Fachgenossen des Herr» Weddigen, Dann
heißt es weiter: „So (!) ist es denn zu erklären, daß sich erst seit dem Beginne
der Neuzeit eine Einteilung in lyrische, epische und dramatische Volksdichtung
rechtfertigen und machen läßt." Gewöhnlich wird etwas erst „gemacht" und
dann „gerechtfertigt," bei Herrn Weddigen ist es umgekehrt. Das eröffnende
„So" zeigt recht die Unlogik in seinem Ausdruck, denn die zuerst angeführten
angeblichen Thatsachen stehen nicht in dem geringsten bedingenden Zusammen¬
hange zu der zuletzt behaupteten, würden es auch nicht thun, wenn alle diese
Behauptungen wenigstens einen richtigen Kern in sich bargen.
Schon oben wurde berührt, daß in Deutschland wie überall als älteste
Dichtung die chorische zu nennen ist, die nur durch Zusammenwirken von Massen
zugleich mit Musik und Tanz zur Bethätigung gelangt. Am ehesten vergleicht
sie sich also der dramatischen Poesie. Wohl ebenso alt aber ist die lyrische
Volkspoesie und vielleicht auch die epische. Nur Unkenntnis kann diese Ein¬
teilung auf die Dichtung der Neuzeit beschränken Wollen. Was also in der
Verwirrung jener ersten Sätze gemeint sein kann, ließe sich etwa so ausdrücken:
Die Volkspoesie, der zuerst im karlingischen Zeitalter eine auf christlicher Ge¬
lehrsamkeit beruhende Kunstdichtung hemmend zur Seite trat, wurde im Laufe
der nächsten Jahrhunderte nur sehr allmählich und nie vollkommen aus der
Pflege der besten Kreise der mittelalterlichen Gesellschaft verdrängt. Ohne die
stets lebendige Volksdichtung wäre die höchste Blüte sowohl der Lyrik bei Walther
von der Vogelweide, als das Heldenepos nie erreicht worden, und auch die
höfische Kunstpoesie, die ihre Stoffe aus der Fremde bezog, zeigt in der Kunst¬
form mannichfache Beeinflussung durch die Volksdichtung. Aber erst seit die
höheren Kreise sich der Poesie ganz entfremdet hatten, seit dem vierzehnten Jahr¬
hundert, gewann die Volksdichtung der mittleren und unteren Kreise wieder alles
verlorene Gebiet für sich zurück; daß sie aber erst seit Erfindung des Buchdruckes
dauernde Spuren ihres Seins und ihrer Verbreitung auch für uns heute noch
hinterlassen hat, während sie früher nur für das jedesmalige Bedürfnis neu
entstand und alsbald wieder verging, das bedarf keiner weitern Erklärung.
Von der schülerhaften Darstellungsweise des ganzen Buches hier noch ein
weiteres Pröbchen. An einer Stelle heißt es: „Wie die Forschung ergiebt, daß viele
Grenzboten IV. 1334. SS
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