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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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pfisters Mühle.

Wie Zunder, Herr Doktor! Zwischen den Fingern zu zerreiben! Und hinten
und vorn versengt! Und frage ich Sie, wer steht mir nun für den Schaden,
den wir in unsrer Herzensgüte uns haben anrichten lassen?

Fräulein Marie hatte nur "eine kleine Note vom Papa" gebracht, der aber
doch gerade auf das Fest besseres zu thun hatte, als mit seinem Schneider¬
konto faulen Kunden in die weite Welt nachzulaufen. Aber die furchtbarste
war doch die dem Doktor nächste, seine Stubenwirtin, Witwe Pohle. Voll¬
ständig unbezahlte Rechnung seit "Anmeldung auf der Polizei," sperrte sie uns
die Thür und den Weg nach Pfisters Mühle.

Und es war ihnen allen nicht zu verdenken! Sie hatten meistens Kinder,
und zwar mehrere. Es war der Tag Adam und Eva, der heilige Abend däm¬
merte bereits, und sie hatten sämtlich Geld nötig aufs Fest.

Mitleid mit dem Sünder konnte aber, wie schon bemerkt, dreist für dringen¬
dere Fälle aufgespart werden; guter Rat wäre gänzlich an ihn weggeworfen
gewesen.

Nur sachte, immer sachte, Kinder, sprach mit höchstem Gleichmut Doktor
Adam Asche, nur von Zeit zu Zeit beide Hände auf beide Ohren drückend. Bin
ich Orpheus, daß ihr mich zu zerreißen wünscht, ihr ciconischen Weiber? So
schlimm ists doch nicht mit dem Peplos, wie sich mir einbilden wollen, Olga!
einmal thut er doch noch seine Schuldigkeit mit Weinlaub und Eppich im Orpheon,
liebes Kind! ... So halten Sie mir doch die Krabben vom Leibe, Madame
Börstling! Zahlung hoffen Sie, und werden in Ihrer Hoffnung nicht getäuscht
werden: fragen Sie den jungen Mann hier, ob er nicht noch einmal bluten
wird -- sein Erzeuger nämlich! Wir haben beide die besten Absichten, nicht
umsonst Weihnachten in Pfisters Mühle zu begehen -- Sylvester feiern wir
hier, und ich gebe dem ganzen Hause eine Bowle! . . . O Fräulein Marie,
von Ihnen und Papa hätte ich doch etwas andres erwartet als dieses! Haben
wir -- der eine wie der andre -- Papa, ich und Sie, nicht höhere Bildung,
nicht andre Interessen, nicht größere Ziele? Darf ich Sie nicht noch ein ein-
zigesmal auf unsre Ideale verweisen, Maria? Ich darf es, ich sehe es Ihnen
an, daß Papa auch diesmal noch sich bis nach Neujahr gedulden wird! . . .
Mit Ihnen, Mutter Pohle, sollte ich eigentlich garnicht zu reden brauchen. Sie
wissen es, daß ich es weiß, wie sicher ich Ihnen bin, und daß es Ihnen gar
keinen Spaß machen kann, Ihren angenehmsten Stulienherrn, seit Sie auf der¬
gleichen als Witwe angewiesen sind, in anderthalb Stunden an den Christ¬
baum zu hängen. Ich setze Ihnen hier diesen Jüngling zum Pfande, daß ich zu
Neujahr wieder zurück bin von Pfisters Mühle. Daß bis Ostern vielleicht
sich alles -- alles gewendet haben wird, Knabe Ebert, ist etwas, was ich
gegenwärtig so wenig diesen Herzen hier wie dir plausibel machen könnte. Ein
Poet mit der giltigsten Anweisung auf die Unsterblichkeit ist da dem vorhan¬
denen Moment gegenüber nicht übler dran als ich, und nun, Kinder, thut mir


pfisters Mühle.

Wie Zunder, Herr Doktor! Zwischen den Fingern zu zerreiben! Und hinten
und vorn versengt! Und frage ich Sie, wer steht mir nun für den Schaden,
den wir in unsrer Herzensgüte uns haben anrichten lassen?

Fräulein Marie hatte nur „eine kleine Note vom Papa" gebracht, der aber
doch gerade auf das Fest besseres zu thun hatte, als mit seinem Schneider¬
konto faulen Kunden in die weite Welt nachzulaufen. Aber die furchtbarste
war doch die dem Doktor nächste, seine Stubenwirtin, Witwe Pohle. Voll¬
ständig unbezahlte Rechnung seit „Anmeldung auf der Polizei," sperrte sie uns
die Thür und den Weg nach Pfisters Mühle.

Und es war ihnen allen nicht zu verdenken! Sie hatten meistens Kinder,
und zwar mehrere. Es war der Tag Adam und Eva, der heilige Abend däm¬
merte bereits, und sie hatten sämtlich Geld nötig aufs Fest.

Mitleid mit dem Sünder konnte aber, wie schon bemerkt, dreist für dringen¬
dere Fälle aufgespart werden; guter Rat wäre gänzlich an ihn weggeworfen
gewesen.

Nur sachte, immer sachte, Kinder, sprach mit höchstem Gleichmut Doktor
Adam Asche, nur von Zeit zu Zeit beide Hände auf beide Ohren drückend. Bin
ich Orpheus, daß ihr mich zu zerreißen wünscht, ihr ciconischen Weiber? So
schlimm ists doch nicht mit dem Peplos, wie sich mir einbilden wollen, Olga!
einmal thut er doch noch seine Schuldigkeit mit Weinlaub und Eppich im Orpheon,
liebes Kind! ... So halten Sie mir doch die Krabben vom Leibe, Madame
Börstling! Zahlung hoffen Sie, und werden in Ihrer Hoffnung nicht getäuscht
werden: fragen Sie den jungen Mann hier, ob er nicht noch einmal bluten
wird — sein Erzeuger nämlich! Wir haben beide die besten Absichten, nicht
umsonst Weihnachten in Pfisters Mühle zu begehen — Sylvester feiern wir
hier, und ich gebe dem ganzen Hause eine Bowle! . . . O Fräulein Marie,
von Ihnen und Papa hätte ich doch etwas andres erwartet als dieses! Haben
wir — der eine wie der andre — Papa, ich und Sie, nicht höhere Bildung,
nicht andre Interessen, nicht größere Ziele? Darf ich Sie nicht noch ein ein-
zigesmal auf unsre Ideale verweisen, Maria? Ich darf es, ich sehe es Ihnen
an, daß Papa auch diesmal noch sich bis nach Neujahr gedulden wird! . . .
Mit Ihnen, Mutter Pohle, sollte ich eigentlich garnicht zu reden brauchen. Sie
wissen es, daß ich es weiß, wie sicher ich Ihnen bin, und daß es Ihnen gar
keinen Spaß machen kann, Ihren angenehmsten Stulienherrn, seit Sie auf der¬
gleichen als Witwe angewiesen sind, in anderthalb Stunden an den Christ¬
baum zu hängen. Ich setze Ihnen hier diesen Jüngling zum Pfande, daß ich zu
Neujahr wieder zurück bin von Pfisters Mühle. Daß bis Ostern vielleicht
sich alles — alles gewendet haben wird, Knabe Ebert, ist etwas, was ich
gegenwärtig so wenig diesen Herzen hier wie dir plausibel machen könnte. Ein
Poet mit der giltigsten Anweisung auf die Unsterblichkeit ist da dem vorhan¬
denen Moment gegenüber nicht übler dran als ich, und nun, Kinder, thut mir


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[0248] pfisters Mühle. Wie Zunder, Herr Doktor! Zwischen den Fingern zu zerreiben! Und hinten und vorn versengt! Und frage ich Sie, wer steht mir nun für den Schaden, den wir in unsrer Herzensgüte uns haben anrichten lassen? Fräulein Marie hatte nur „eine kleine Note vom Papa" gebracht, der aber doch gerade auf das Fest besseres zu thun hatte, als mit seinem Schneider¬ konto faulen Kunden in die weite Welt nachzulaufen. Aber die furchtbarste war doch die dem Doktor nächste, seine Stubenwirtin, Witwe Pohle. Voll¬ ständig unbezahlte Rechnung seit „Anmeldung auf der Polizei," sperrte sie uns die Thür und den Weg nach Pfisters Mühle. Und es war ihnen allen nicht zu verdenken! Sie hatten meistens Kinder, und zwar mehrere. Es war der Tag Adam und Eva, der heilige Abend däm¬ merte bereits, und sie hatten sämtlich Geld nötig aufs Fest. Mitleid mit dem Sünder konnte aber, wie schon bemerkt, dreist für dringen¬ dere Fälle aufgespart werden; guter Rat wäre gänzlich an ihn weggeworfen gewesen. Nur sachte, immer sachte, Kinder, sprach mit höchstem Gleichmut Doktor Adam Asche, nur von Zeit zu Zeit beide Hände auf beide Ohren drückend. Bin ich Orpheus, daß ihr mich zu zerreißen wünscht, ihr ciconischen Weiber? So schlimm ists doch nicht mit dem Peplos, wie sich mir einbilden wollen, Olga! einmal thut er doch noch seine Schuldigkeit mit Weinlaub und Eppich im Orpheon, liebes Kind! ... So halten Sie mir doch die Krabben vom Leibe, Madame Börstling! Zahlung hoffen Sie, und werden in Ihrer Hoffnung nicht getäuscht werden: fragen Sie den jungen Mann hier, ob er nicht noch einmal bluten wird — sein Erzeuger nämlich! Wir haben beide die besten Absichten, nicht umsonst Weihnachten in Pfisters Mühle zu begehen — Sylvester feiern wir hier, und ich gebe dem ganzen Hause eine Bowle! . . . O Fräulein Marie, von Ihnen und Papa hätte ich doch etwas andres erwartet als dieses! Haben wir — der eine wie der andre — Papa, ich und Sie, nicht höhere Bildung, nicht andre Interessen, nicht größere Ziele? Darf ich Sie nicht noch ein ein- zigesmal auf unsre Ideale verweisen, Maria? Ich darf es, ich sehe es Ihnen an, daß Papa auch diesmal noch sich bis nach Neujahr gedulden wird! . . . Mit Ihnen, Mutter Pohle, sollte ich eigentlich garnicht zu reden brauchen. Sie wissen es, daß ich es weiß, wie sicher ich Ihnen bin, und daß es Ihnen gar keinen Spaß machen kann, Ihren angenehmsten Stulienherrn, seit Sie auf der¬ gleichen als Witwe angewiesen sind, in anderthalb Stunden an den Christ¬ baum zu hängen. Ich setze Ihnen hier diesen Jüngling zum Pfande, daß ich zu Neujahr wieder zurück bin von Pfisters Mühle. Daß bis Ostern vielleicht sich alles — alles gewendet haben wird, Knabe Ebert, ist etwas, was ich gegenwärtig so wenig diesen Herzen hier wie dir plausibel machen könnte. Ein Poet mit der giltigsten Anweisung auf die Unsterblichkeit ist da dem vorhan¬ denen Moment gegenüber nicht übler dran als ich, und nun, Kinder, thut mir

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/248>, abgerufen am 29.12.2024.