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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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pfisters Mühle.

Tage Adam und Eva, am vierundzwanzigsten Dezember, so um vier Uhr nach¬
mittags und holst mich ab nach Pfisters Mühle. Das soll übrigens allem
Erdenstank und Drang zum Trotz die gemütlichste Weihnacht werden, die ich seit
manchem widerwärtigen Jahr gefeiert habe. Den Wind im Rücken auf der
Landstraße, Abenddämmerung, Nacht und Nebel auf den Feldern rundum, und
in seiner Mühle der Vater Pfister: Christine, da kommen sie! Brenne die Lichter
an der Tanne an! -- Das wäre wahrhaft eine Sünde, ihm seinen Wunsch nicht
zu erfüllen. Bis auf das letzte Atom soll ers wissen, wie viele Teile Ammoniak
und Schwefelwasserstoff der Mensch dem lieben Nachbar zuliebe einatmen kann,
ohne rein des Teufels zu werden ob der Blüte des nationalen Wohlstandes
und lieber alle Viere von sich zu strecken, als noch länger in diese Blume
zu riechen. Guten Abend, Ebert.

Er nahm hiermit nach seiner Art einen kurzen Abschied, und ich sah ihn
wirklich nicht eher wieder als bis am Tage Adam und Eva, und ließ ihn bis
dahin ungestört bei seinen mysteriösen Studien und Arbeiten. Der vierund¬
zwanzigste Dezember dämmerte dann ganz wie ein Tag nach seinem Wunsche --
dunkel und windig vom ersten grauen Schein -- über den Dächern an; nur daß
wir den Wind, einen recht wackern Nordost, nicht im Rücken, sondern geradaus
im Gesicht und nur hie und da an einer Wendung der Chaussee scharf in der
Seite haben sollten.

Ich holte ihn ab und hatte das Vergnügen, ihm beim Packen seines Neise-
bündels behilflich zu sein und auch sonst für die Tage, seiner Abwesenheit sein
städtisches Heimwesen zu einem Abschluß bringen zu helfen, was auch nicht
ohne seine drolligen Schwierigkeiten war. Er, der behauptete, einer der freiesten
Menschen zu sein, war nach so vielen und verschiedenen Richtungen hin ge¬
bunden und so hilflos den kuriosen Einzelheiten seiner Existenz gegenüber, daß es
einem Normalphilisterkopf ein wahres Übermaaß der Schadenfreude gewähren
mußte, ihn sich in seinen Verlegenheiten abzappeln zu sehen. schadenfroh war
ich nicht, aber daß ich bei seinen Versuchen, die Bande und Knoten, welche ihn
an die Schlehengasse fesselten, möglichst ohne arges Gezeter und sonstige Ärger¬
nisse zu lösen, in Mitleid und Wehmut verging, kann ich auch nicht sagen.

Er hatte, als ich kam, seiner Mietsherrin bereits mitgeteilt, daß er für
einige Zeit vom Hanse abwesend sein werde, und ich traf mehrere bei ihm an¬
wesend, die dringend genügende Garantie für sein Wiederkommen verlangten,
ehe sie ihn losließen. Merkwürdigerweise hatten die Gewerbtreibenden im Hause
sämtlich ihre Frauen oder Töchter geschickt und warteten selber lieber auf ihrem
Schusterschemel oder Schneidertisch das Resultat ihrer Verhandlungen ab. Und
Meister Bvrstling hatte Weib und Kind gesendet. Mit Madam lag Fräulein
Olga dem unseligen gelehrten chemischen Wäscher auf dem Halse, und Olga hatte
ganz intime Stücke weiblicher Garderobe mitgebracht und hielt sie dem Haus¬
genossen unter die Nase:


pfisters Mühle.

Tage Adam und Eva, am vierundzwanzigsten Dezember, so um vier Uhr nach¬
mittags und holst mich ab nach Pfisters Mühle. Das soll übrigens allem
Erdenstank und Drang zum Trotz die gemütlichste Weihnacht werden, die ich seit
manchem widerwärtigen Jahr gefeiert habe. Den Wind im Rücken auf der
Landstraße, Abenddämmerung, Nacht und Nebel auf den Feldern rundum, und
in seiner Mühle der Vater Pfister: Christine, da kommen sie! Brenne die Lichter
an der Tanne an! — Das wäre wahrhaft eine Sünde, ihm seinen Wunsch nicht
zu erfüllen. Bis auf das letzte Atom soll ers wissen, wie viele Teile Ammoniak
und Schwefelwasserstoff der Mensch dem lieben Nachbar zuliebe einatmen kann,
ohne rein des Teufels zu werden ob der Blüte des nationalen Wohlstandes
und lieber alle Viere von sich zu strecken, als noch länger in diese Blume
zu riechen. Guten Abend, Ebert.

Er nahm hiermit nach seiner Art einen kurzen Abschied, und ich sah ihn
wirklich nicht eher wieder als bis am Tage Adam und Eva, und ließ ihn bis
dahin ungestört bei seinen mysteriösen Studien und Arbeiten. Der vierund¬
zwanzigste Dezember dämmerte dann ganz wie ein Tag nach seinem Wunsche —
dunkel und windig vom ersten grauen Schein — über den Dächern an; nur daß
wir den Wind, einen recht wackern Nordost, nicht im Rücken, sondern geradaus
im Gesicht und nur hie und da an einer Wendung der Chaussee scharf in der
Seite haben sollten.

Ich holte ihn ab und hatte das Vergnügen, ihm beim Packen seines Neise-
bündels behilflich zu sein und auch sonst für die Tage, seiner Abwesenheit sein
städtisches Heimwesen zu einem Abschluß bringen zu helfen, was auch nicht
ohne seine drolligen Schwierigkeiten war. Er, der behauptete, einer der freiesten
Menschen zu sein, war nach so vielen und verschiedenen Richtungen hin ge¬
bunden und so hilflos den kuriosen Einzelheiten seiner Existenz gegenüber, daß es
einem Normalphilisterkopf ein wahres Übermaaß der Schadenfreude gewähren
mußte, ihn sich in seinen Verlegenheiten abzappeln zu sehen. schadenfroh war
ich nicht, aber daß ich bei seinen Versuchen, die Bande und Knoten, welche ihn
an die Schlehengasse fesselten, möglichst ohne arges Gezeter und sonstige Ärger¬
nisse zu lösen, in Mitleid und Wehmut verging, kann ich auch nicht sagen.

Er hatte, als ich kam, seiner Mietsherrin bereits mitgeteilt, daß er für
einige Zeit vom Hanse abwesend sein werde, und ich traf mehrere bei ihm an¬
wesend, die dringend genügende Garantie für sein Wiederkommen verlangten,
ehe sie ihn losließen. Merkwürdigerweise hatten die Gewerbtreibenden im Hause
sämtlich ihre Frauen oder Töchter geschickt und warteten selber lieber auf ihrem
Schusterschemel oder Schneidertisch das Resultat ihrer Verhandlungen ab. Und
Meister Bvrstling hatte Weib und Kind gesendet. Mit Madam lag Fräulein
Olga dem unseligen gelehrten chemischen Wäscher auf dem Halse, und Olga hatte
ganz intime Stücke weiblicher Garderobe mitgebracht und hielt sie dem Haus¬
genossen unter die Nase:


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[0247] pfisters Mühle. Tage Adam und Eva, am vierundzwanzigsten Dezember, so um vier Uhr nach¬ mittags und holst mich ab nach Pfisters Mühle. Das soll übrigens allem Erdenstank und Drang zum Trotz die gemütlichste Weihnacht werden, die ich seit manchem widerwärtigen Jahr gefeiert habe. Den Wind im Rücken auf der Landstraße, Abenddämmerung, Nacht und Nebel auf den Feldern rundum, und in seiner Mühle der Vater Pfister: Christine, da kommen sie! Brenne die Lichter an der Tanne an! — Das wäre wahrhaft eine Sünde, ihm seinen Wunsch nicht zu erfüllen. Bis auf das letzte Atom soll ers wissen, wie viele Teile Ammoniak und Schwefelwasserstoff der Mensch dem lieben Nachbar zuliebe einatmen kann, ohne rein des Teufels zu werden ob der Blüte des nationalen Wohlstandes und lieber alle Viere von sich zu strecken, als noch länger in diese Blume zu riechen. Guten Abend, Ebert. Er nahm hiermit nach seiner Art einen kurzen Abschied, und ich sah ihn wirklich nicht eher wieder als bis am Tage Adam und Eva, und ließ ihn bis dahin ungestört bei seinen mysteriösen Studien und Arbeiten. Der vierund¬ zwanzigste Dezember dämmerte dann ganz wie ein Tag nach seinem Wunsche — dunkel und windig vom ersten grauen Schein — über den Dächern an; nur daß wir den Wind, einen recht wackern Nordost, nicht im Rücken, sondern geradaus im Gesicht und nur hie und da an einer Wendung der Chaussee scharf in der Seite haben sollten. Ich holte ihn ab und hatte das Vergnügen, ihm beim Packen seines Neise- bündels behilflich zu sein und auch sonst für die Tage, seiner Abwesenheit sein städtisches Heimwesen zu einem Abschluß bringen zu helfen, was auch nicht ohne seine drolligen Schwierigkeiten war. Er, der behauptete, einer der freiesten Menschen zu sein, war nach so vielen und verschiedenen Richtungen hin ge¬ bunden und so hilflos den kuriosen Einzelheiten seiner Existenz gegenüber, daß es einem Normalphilisterkopf ein wahres Übermaaß der Schadenfreude gewähren mußte, ihn sich in seinen Verlegenheiten abzappeln zu sehen. schadenfroh war ich nicht, aber daß ich bei seinen Versuchen, die Bande und Knoten, welche ihn an die Schlehengasse fesselten, möglichst ohne arges Gezeter und sonstige Ärger¬ nisse zu lösen, in Mitleid und Wehmut verging, kann ich auch nicht sagen. Er hatte, als ich kam, seiner Mietsherrin bereits mitgeteilt, daß er für einige Zeit vom Hanse abwesend sein werde, und ich traf mehrere bei ihm an¬ wesend, die dringend genügende Garantie für sein Wiederkommen verlangten, ehe sie ihn losließen. Merkwürdigerweise hatten die Gewerbtreibenden im Hause sämtlich ihre Frauen oder Töchter geschickt und warteten selber lieber auf ihrem Schusterschemel oder Schneidertisch das Resultat ihrer Verhandlungen ab. Und Meister Bvrstling hatte Weib und Kind gesendet. Mit Madam lag Fräulein Olga dem unseligen gelehrten chemischen Wäscher auf dem Halse, und Olga hatte ganz intime Stücke weiblicher Garderobe mitgebracht und hielt sie dem Haus¬ genossen unter die Nase:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/247>, abgerufen am 29.12.2024.