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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Pfisters Mühle.

Wir standen nämlich jetzt in seinem absonderlichen Daheim, Schlchengasse
Numero Eins, im Odfelde, und selbst hier nicht im ersten Stockmerk. Es war
aber ein ziemlich umfangreiches Gelaß, in dem er jetzt noch, in Erwartung alles
bessern, sich und seine kuriosen wissenschaftlich-industriellen Studien und Bestre¬
bungen untergebracht hatte. Und Vater Pfister kam noch einmal aus einem
Übeln Dunst in den andern und hatte Grund, von neuem sich die Nase zuzu¬
halten und nach Atem zu schnappen.

Ein überheißer, rotglühender Kanonenofen bösartigster Konstruktion war
von einem Gegitter von allen vier Wänden her durch den Raum ausgespannter
Bindfaden und Wäschleiuen umgeben. Was aber auf den Fäden und Stricken
zum Trocknen aufgehängt war, das entzog sich jeglicher genaueren Beschreibung.
Ich brauche nur mitzuteilen, daß jede Familie im Hause ein Stück ihrer Gar¬
derobe dazu geliefert zu haben schien und daß Doktor Adam Asche Olgas Ge¬
wand eben auch dazu hing, und darf hoffen, genug gesagt zu haben.

Und nun, Kinder, setzt Euch, rief der Doktor im vollsten Behagen sich
die Hände reibend und in überquellender Gastfreundlichkeit unter und zwischen
seinen Leinen und Lumpen und Fetzen männlicher und weiblicher Bekleidungs¬
und Hausratsstücke nach Sitzgelegenheiten hinund herfahrend, auf- und ab¬
tauchend. Das ist ja reizend von Ihnen, Vater Pfister. Ein Abend, ganz danach
angethan, wie in Pfisters Mühle beim Schneetreiben und einem Glase Punsch
zusammenzurücken! Nur einen Moment, meine Herren; kochendes Wasser stets
vorhanden! Störe mir meine Kreise nicht, das heißt, reiß mir meine Feigen¬
blätter menschlicher Eitelkeit und Bedürftigkeit nicht von der Linie, Ebert, sondern
greif behutsam hin und drüber weg: die Zigarrenkiste steht auf dem Schranke
gerade hinter dir. Vater Pfister --

Jetzt will ich Ihnen 'mal was sagen, Asche, und zwar am liebsten gleich
wieder draußen vor der Thüre, sprach mein Vater und zwar mit einer wütenden
Gehaltenheit in Ton und Ausdruck, die nur selten bei ihn, zum Vorschein kam.
Sie werden sich doch nicht einbilden, Adam, daß ich, der ich gerade wegen
ziemlich gleichem Geruch und noch dazu bei dieser Tages- und Jahreszeit als
älterer Mann mich auf meinen weichen Füßen zu Ihnen heraufbemüht habe,
hier, jetzt in diesem infamen Odörs, ein pläserlich Konvivinm bei Ihnen halten
will? Behalte deine Mütze auf dem Kopfe, Junge; das haben wir zu Hause
auch. Komm wieder mit; ich sehe ein, es ist nicht anders und soll nicht anders
sein. Die Welt will einmal im Stank und Undank verderben, und wir Pfister
von Pfisters Mühle ändern nichts daran. Bringe mich mit möglichst heilen Knochen
wieder hin nach dem blauen Bock. saufe mag sofort wiederanspannen; wir
fahren nach Hause. Es ist wohl uicht das letztemal, daß dein Vater sich in
das Unabänderliche geschickt hat, Ebert.

Holla! Halt da. Nur noch fünf Minuten Aufenthalt, rief der Doktor.
Was ist es denn eigentlich, Vater Pfister? Das klingt ja verflucht tragisch.


Pfisters Mühle.

Wir standen nämlich jetzt in seinem absonderlichen Daheim, Schlchengasse
Numero Eins, im Odfelde, und selbst hier nicht im ersten Stockmerk. Es war
aber ein ziemlich umfangreiches Gelaß, in dem er jetzt noch, in Erwartung alles
bessern, sich und seine kuriosen wissenschaftlich-industriellen Studien und Bestre¬
bungen untergebracht hatte. Und Vater Pfister kam noch einmal aus einem
Übeln Dunst in den andern und hatte Grund, von neuem sich die Nase zuzu¬
halten und nach Atem zu schnappen.

Ein überheißer, rotglühender Kanonenofen bösartigster Konstruktion war
von einem Gegitter von allen vier Wänden her durch den Raum ausgespannter
Bindfaden und Wäschleiuen umgeben. Was aber auf den Fäden und Stricken
zum Trocknen aufgehängt war, das entzog sich jeglicher genaueren Beschreibung.
Ich brauche nur mitzuteilen, daß jede Familie im Hause ein Stück ihrer Gar¬
derobe dazu geliefert zu haben schien und daß Doktor Adam Asche Olgas Ge¬
wand eben auch dazu hing, und darf hoffen, genug gesagt zu haben.

Und nun, Kinder, setzt Euch, rief der Doktor im vollsten Behagen sich
die Hände reibend und in überquellender Gastfreundlichkeit unter und zwischen
seinen Leinen und Lumpen und Fetzen männlicher und weiblicher Bekleidungs¬
und Hausratsstücke nach Sitzgelegenheiten hinund herfahrend, auf- und ab¬
tauchend. Das ist ja reizend von Ihnen, Vater Pfister. Ein Abend, ganz danach
angethan, wie in Pfisters Mühle beim Schneetreiben und einem Glase Punsch
zusammenzurücken! Nur einen Moment, meine Herren; kochendes Wasser stets
vorhanden! Störe mir meine Kreise nicht, das heißt, reiß mir meine Feigen¬
blätter menschlicher Eitelkeit und Bedürftigkeit nicht von der Linie, Ebert, sondern
greif behutsam hin und drüber weg: die Zigarrenkiste steht auf dem Schranke
gerade hinter dir. Vater Pfister —

Jetzt will ich Ihnen 'mal was sagen, Asche, und zwar am liebsten gleich
wieder draußen vor der Thüre, sprach mein Vater und zwar mit einer wütenden
Gehaltenheit in Ton und Ausdruck, die nur selten bei ihn, zum Vorschein kam.
Sie werden sich doch nicht einbilden, Adam, daß ich, der ich gerade wegen
ziemlich gleichem Geruch und noch dazu bei dieser Tages- und Jahreszeit als
älterer Mann mich auf meinen weichen Füßen zu Ihnen heraufbemüht habe,
hier, jetzt in diesem infamen Odörs, ein pläserlich Konvivinm bei Ihnen halten
will? Behalte deine Mütze auf dem Kopfe, Junge; das haben wir zu Hause
auch. Komm wieder mit; ich sehe ein, es ist nicht anders und soll nicht anders
sein. Die Welt will einmal im Stank und Undank verderben, und wir Pfister
von Pfisters Mühle ändern nichts daran. Bringe mich mit möglichst heilen Knochen
wieder hin nach dem blauen Bock. saufe mag sofort wiederanspannen; wir
fahren nach Hause. Es ist wohl uicht das letztemal, daß dein Vater sich in
das Unabänderliche geschickt hat, Ebert.

Holla! Halt da. Nur noch fünf Minuten Aufenthalt, rief der Doktor.
Was ist es denn eigentlich, Vater Pfister? Das klingt ja verflucht tragisch.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/200>, abgerufen am 29.12.2024.