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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Der Aufruhr im Sudan.

entfremden könne. Nachdem Scherif Pascha infolge seiner Weigerung, die eng¬
lischen Ratschläge zu befolgen, seine Entlassung gegeben hatte, erging eine neue
Anfrage von feiten des britischen Kabinets, ob unter den veränderten Umständen
Gordon der ägyptischen Regierung von Nutzen sein könne. Aber auch Nubar
Pascha, der Nachfolger Scherifs, gab eine verneinende Antwort. Erst als
Abd-el-Kader, der eben zum Kriegsminister ernannte bisherige Generalgouvemeur
des Sudan, es ablehnte, sich nach Chartum zu begeben, bat die ägyptische Re¬
gierung um einen britischen Offizier für die Mission dorthin. Gladstone designirte
Gordon. Seine Instruktion gab ihm auf, über die Maßregeln zu berichten, welche
zur Sicherheit der ägyptischen Garnisonen im Sudan und der europäischen
Bevölkerung von Chartum sowie behufs Räumung des innern Sudan und zur
Sicherung einer guten Verwaltung in den Häfen des Roten Meeres zu treffen
sein möchten. Er sollte seine spezielle Aufmerksamkeit der Frage zuwenden, wie
dem erneuten Umsichgreifen des Sklavenhandels vorgebeugt werden könne. Es
ward ihm gestattet, von der ägyptischen Regierung alle Aufträge, welche ihm
durch den englischen Agenten Sir E. Baring zugehen würden, anzunehmen.
Gordon eilte nach Ägypten, beriet in Kairo mit der dortigen Regierung und
kam am 18. Februar 1384 in Chartum an.

Bevor wir ihm dorthin folgen, ist noch eines militärischen Jntermezzos
zu gedenken. Die öffentliche Meinung in England billigte Gladstones zurück¬
haltende Politik nicht. Zwar wurden die wiederholt von den Tories ein¬
gebrachten Tadeisvoten abgelehnt, dies geschah aber wesentlich aus Erwägungen
der innern Politik; eine unbedingte Zustimmung zu der Haltung Gladstones
in der Sudanfrage lag darin offenbar nicht. Dieser ließ sich denn auch endlich
dazu herbei, militärisch einzugreifen. Nachdem Tinkal am 10. Februar 1884
von den Sudanesen eingenommen und seine Garnison unter dem tapfern Tewsik
Bey niedergemacht worden war, entschloß er sich, "aus Menschlichkeitsrücksichten"
die in Ägypten stehenden englischen Truppen thätig eingreifen zu lassen. Zunächst
wurde die Entsetzung Tokars ins Auge gefaßt. Die zu diesem Behufe nach
der Hafenstadt Trinkitat gesendeten Truppen unter General Graham kamön
aber zu spät. Tokar ergab sich den Aufständischen am 21. Februar. Obwohl
nun ein weiterer Vormarsch der Engländer ins Innere gegenstandslos geworden
war, so stellte die englische Regierung es doch in das Ermessen Gradaus, ob
er ein Engagement mit den Insurgenten herbeiführen wolle. Die englische
Regierung -- sagte man ihm -- habe ihrerseits nicht die Absicht, die militärischen
Operationen weiter auszudehnen, da dieselben nur den Zweck hätten, Succkin
gegen einen Angriff zu verteidige". Grnham benutzte die ihm gewordene Voll¬
macht, rückte vor und schlug die mit größtem Mut kämpfenden Feinde am
24. Februar bei El Teb, dem Schauplatz der Bakerschen Niederlage, worauf
Tokar ohne Kampf von den Aufständischen verlassen wurde. Der Mcchdi selbst
war in diesen Gegenden nicht anwesend. Sein Vezier Osman Digmci, ein


Der Aufruhr im Sudan.

entfremden könne. Nachdem Scherif Pascha infolge seiner Weigerung, die eng¬
lischen Ratschläge zu befolgen, seine Entlassung gegeben hatte, erging eine neue
Anfrage von feiten des britischen Kabinets, ob unter den veränderten Umständen
Gordon der ägyptischen Regierung von Nutzen sein könne. Aber auch Nubar
Pascha, der Nachfolger Scherifs, gab eine verneinende Antwort. Erst als
Abd-el-Kader, der eben zum Kriegsminister ernannte bisherige Generalgouvemeur
des Sudan, es ablehnte, sich nach Chartum zu begeben, bat die ägyptische Re¬
gierung um einen britischen Offizier für die Mission dorthin. Gladstone designirte
Gordon. Seine Instruktion gab ihm auf, über die Maßregeln zu berichten, welche
zur Sicherheit der ägyptischen Garnisonen im Sudan und der europäischen
Bevölkerung von Chartum sowie behufs Räumung des innern Sudan und zur
Sicherung einer guten Verwaltung in den Häfen des Roten Meeres zu treffen
sein möchten. Er sollte seine spezielle Aufmerksamkeit der Frage zuwenden, wie
dem erneuten Umsichgreifen des Sklavenhandels vorgebeugt werden könne. Es
ward ihm gestattet, von der ägyptischen Regierung alle Aufträge, welche ihm
durch den englischen Agenten Sir E. Baring zugehen würden, anzunehmen.
Gordon eilte nach Ägypten, beriet in Kairo mit der dortigen Regierung und
kam am 18. Februar 1384 in Chartum an.

Bevor wir ihm dorthin folgen, ist noch eines militärischen Jntermezzos
zu gedenken. Die öffentliche Meinung in England billigte Gladstones zurück¬
haltende Politik nicht. Zwar wurden die wiederholt von den Tories ein¬
gebrachten Tadeisvoten abgelehnt, dies geschah aber wesentlich aus Erwägungen
der innern Politik; eine unbedingte Zustimmung zu der Haltung Gladstones
in der Sudanfrage lag darin offenbar nicht. Dieser ließ sich denn auch endlich
dazu herbei, militärisch einzugreifen. Nachdem Tinkal am 10. Februar 1884
von den Sudanesen eingenommen und seine Garnison unter dem tapfern Tewsik
Bey niedergemacht worden war, entschloß er sich, „aus Menschlichkeitsrücksichten"
die in Ägypten stehenden englischen Truppen thätig eingreifen zu lassen. Zunächst
wurde die Entsetzung Tokars ins Auge gefaßt. Die zu diesem Behufe nach
der Hafenstadt Trinkitat gesendeten Truppen unter General Graham kamön
aber zu spät. Tokar ergab sich den Aufständischen am 21. Februar. Obwohl
nun ein weiterer Vormarsch der Engländer ins Innere gegenstandslos geworden
war, so stellte die englische Regierung es doch in das Ermessen Gradaus, ob
er ein Engagement mit den Insurgenten herbeiführen wolle. Die englische
Regierung — sagte man ihm — habe ihrerseits nicht die Absicht, die militärischen
Operationen weiter auszudehnen, da dieselben nur den Zweck hätten, Succkin
gegen einen Angriff zu verteidige«. Grnham benutzte die ihm gewordene Voll¬
macht, rückte vor und schlug die mit größtem Mut kämpfenden Feinde am
24. Februar bei El Teb, dem Schauplatz der Bakerschen Niederlage, worauf
Tokar ohne Kampf von den Aufständischen verlassen wurde. Der Mcchdi selbst
war in diesen Gegenden nicht anwesend. Sein Vezier Osman Digmci, ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/20>, abgerufen am 29.12.2024.