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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Die Presse im Gerichtssaal.

Presse sich um das, was in unsern Gerichtssälen vorgeht, bekümmert, in welchen
nicht, so ist es keineswegs die Fürsorge für das Prinzip der Öffentlichkeit,
sondern ein von diesem allgemeinen Gesichtspunkte völlig geschiedenes, gesondert
journalistisches Interesse, das die Redaktionen und Reporter bei ihrer Auswahl
leitet. Und dieses Interesse entspricht bei einem großen Teil unsrer Presse ganz
und gar nicht jenen idealen Forderungen, sondern es richtet sich mit Vorliebe
auf das "sensationelle" oder Unterhaltende, und am liebsten auf den Skandal.
Der Journalist hat also nicht schlechthin Anspruch ans die Würde eines Dieners
für das allgemeine Interesse der Öffentlichkeit; er geht als Geschäftsmann seinem
privaten Geschäft nach und macht sich die Vorgänge des Gerichtssaals ebenso
zu nutze, wie diejenigen im Parlament, auf der Bühne u. f. w. Daß dabei
zugleich im großen und ganzen in dankenswerter Weise dem Prinzip der Öffent¬
lichkeit unsers Gerichtsverfahrens Vorschub geleistet wird, ist wohl richtig, aber
nur die Pflicht der Presse, diesen Dienst zu leisten, würde gestatten, besondre
Würden und Rechte für den Journalisten daraus abzuleiten. Eine solche be¬
steht nicht, wie es denn überhaupt keine staatliche Einrichtung giebt, welche aus¬
drücklich und eingestandenermaßen in ihren Wirkungen auf die Unterstützung der
Presse angewiesen wäre. Wollten Staat und Gesetzgebung einmal die Notwendig¬
keit dieser Hilfe in dem Umfange, wie sie hier gedacht wird, anerkennen, so wäre
es auch mit der so hochgehaltenen "Unabhängigkeit" derselben vorbei; das freie
Ermessen der Presse, in den Kreis ihrer Besprechungen zu ziehen, was sie will,
und zu ignoriren, was sie will, könnte nicht fortbestehen, das gesonderte jour¬
nalistische Interesse müßte sich dem Dienst für das Allgemeine, dem "Prinzip
der Öffentlichkeit" nach Regel und Vorschrift unterordnen.

Sehen wir einmal zu, wie die Dinge praktisch liegen. Es ist in Stutt¬
gart notorisch und wird anderswo nicht viel anders sich verhalten, daß in juri¬
stischen Kreisen über die mangelhafte und oft völlig schiefe und irreführende
Berichterstattung aus dem Gerichtssaal Klage geführt wird, und es ist nicht
erst in dem "Falle Fischer" die Frage aufgetaucht, welche Mittel die Gerichte
anwenden können, um dem durch die Presse angerichteten Schaden abzuhelfen.
Dabei können wir unumwunden zugestehen, daß der vorliegende Fall nicht eben
der geeignetste war, um ein Exempel zu statuiren, und daß jene von dem Prä¬
sidenten gerügten "Unrichtigkeiten und Entstellungen" verhältnismäßig nicht
von der Bedeutung waren, um mit einer so drastischen, unsers Wissens
seit Einführung des öffentlichen Verfahrens überhaupt noch nie angewandten
Maßregel vorzugehen. Ebensowenig wollen wir verkennen, daß in unsrer Ju¬
ristenwelt ein gewisses gesteigertes Machtbewußtsein aufkommt und derartige
Kollisionen einzelner seiner Vertreter mit den gesetzlichen Grenzen der richter¬
lichen Befugnisse ihre symptomatische Bedeutung haben.

Aber ebenso unbedingt erkennen wir auf der andern Seite das Bedürfnis
an, daß den Organen der Justiz Mittel an die Hand gegeben sein sollten, um


Grenzboten IV. 1884. 21
Die Presse im Gerichtssaal.

Presse sich um das, was in unsern Gerichtssälen vorgeht, bekümmert, in welchen
nicht, so ist es keineswegs die Fürsorge für das Prinzip der Öffentlichkeit,
sondern ein von diesem allgemeinen Gesichtspunkte völlig geschiedenes, gesondert
journalistisches Interesse, das die Redaktionen und Reporter bei ihrer Auswahl
leitet. Und dieses Interesse entspricht bei einem großen Teil unsrer Presse ganz
und gar nicht jenen idealen Forderungen, sondern es richtet sich mit Vorliebe
auf das „sensationelle" oder Unterhaltende, und am liebsten auf den Skandal.
Der Journalist hat also nicht schlechthin Anspruch ans die Würde eines Dieners
für das allgemeine Interesse der Öffentlichkeit; er geht als Geschäftsmann seinem
privaten Geschäft nach und macht sich die Vorgänge des Gerichtssaals ebenso
zu nutze, wie diejenigen im Parlament, auf der Bühne u. f. w. Daß dabei
zugleich im großen und ganzen in dankenswerter Weise dem Prinzip der Öffent¬
lichkeit unsers Gerichtsverfahrens Vorschub geleistet wird, ist wohl richtig, aber
nur die Pflicht der Presse, diesen Dienst zu leisten, würde gestatten, besondre
Würden und Rechte für den Journalisten daraus abzuleiten. Eine solche be¬
steht nicht, wie es denn überhaupt keine staatliche Einrichtung giebt, welche aus¬
drücklich und eingestandenermaßen in ihren Wirkungen auf die Unterstützung der
Presse angewiesen wäre. Wollten Staat und Gesetzgebung einmal die Notwendig¬
keit dieser Hilfe in dem Umfange, wie sie hier gedacht wird, anerkennen, so wäre
es auch mit der so hochgehaltenen „Unabhängigkeit" derselben vorbei; das freie
Ermessen der Presse, in den Kreis ihrer Besprechungen zu ziehen, was sie will,
und zu ignoriren, was sie will, könnte nicht fortbestehen, das gesonderte jour¬
nalistische Interesse müßte sich dem Dienst für das Allgemeine, dem „Prinzip
der Öffentlichkeit" nach Regel und Vorschrift unterordnen.

Sehen wir einmal zu, wie die Dinge praktisch liegen. Es ist in Stutt¬
gart notorisch und wird anderswo nicht viel anders sich verhalten, daß in juri¬
stischen Kreisen über die mangelhafte und oft völlig schiefe und irreführende
Berichterstattung aus dem Gerichtssaal Klage geführt wird, und es ist nicht
erst in dem „Falle Fischer" die Frage aufgetaucht, welche Mittel die Gerichte
anwenden können, um dem durch die Presse angerichteten Schaden abzuhelfen.
Dabei können wir unumwunden zugestehen, daß der vorliegende Fall nicht eben
der geeignetste war, um ein Exempel zu statuiren, und daß jene von dem Prä¬
sidenten gerügten „Unrichtigkeiten und Entstellungen" verhältnismäßig nicht
von der Bedeutung waren, um mit einer so drastischen, unsers Wissens
seit Einführung des öffentlichen Verfahrens überhaupt noch nie angewandten
Maßregel vorzugehen. Ebensowenig wollen wir verkennen, daß in unsrer Ju¬
ristenwelt ein gewisses gesteigertes Machtbewußtsein aufkommt und derartige
Kollisionen einzelner seiner Vertreter mit den gesetzlichen Grenzen der richter¬
lichen Befugnisse ihre symptomatische Bedeutung haben.

Aber ebenso unbedingt erkennen wir auf der andern Seite das Bedürfnis
an, daß den Organen der Justiz Mittel an die Hand gegeben sein sollten, um


Grenzboten IV. 1884. 21
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[0169] Die Presse im Gerichtssaal. Presse sich um das, was in unsern Gerichtssälen vorgeht, bekümmert, in welchen nicht, so ist es keineswegs die Fürsorge für das Prinzip der Öffentlichkeit, sondern ein von diesem allgemeinen Gesichtspunkte völlig geschiedenes, gesondert journalistisches Interesse, das die Redaktionen und Reporter bei ihrer Auswahl leitet. Und dieses Interesse entspricht bei einem großen Teil unsrer Presse ganz und gar nicht jenen idealen Forderungen, sondern es richtet sich mit Vorliebe auf das „sensationelle" oder Unterhaltende, und am liebsten auf den Skandal. Der Journalist hat also nicht schlechthin Anspruch ans die Würde eines Dieners für das allgemeine Interesse der Öffentlichkeit; er geht als Geschäftsmann seinem privaten Geschäft nach und macht sich die Vorgänge des Gerichtssaals ebenso zu nutze, wie diejenigen im Parlament, auf der Bühne u. f. w. Daß dabei zugleich im großen und ganzen in dankenswerter Weise dem Prinzip der Öffent¬ lichkeit unsers Gerichtsverfahrens Vorschub geleistet wird, ist wohl richtig, aber nur die Pflicht der Presse, diesen Dienst zu leisten, würde gestatten, besondre Würden und Rechte für den Journalisten daraus abzuleiten. Eine solche be¬ steht nicht, wie es denn überhaupt keine staatliche Einrichtung giebt, welche aus¬ drücklich und eingestandenermaßen in ihren Wirkungen auf die Unterstützung der Presse angewiesen wäre. Wollten Staat und Gesetzgebung einmal die Notwendig¬ keit dieser Hilfe in dem Umfange, wie sie hier gedacht wird, anerkennen, so wäre es auch mit der so hochgehaltenen „Unabhängigkeit" derselben vorbei; das freie Ermessen der Presse, in den Kreis ihrer Besprechungen zu ziehen, was sie will, und zu ignoriren, was sie will, könnte nicht fortbestehen, das gesonderte jour¬ nalistische Interesse müßte sich dem Dienst für das Allgemeine, dem „Prinzip der Öffentlichkeit" nach Regel und Vorschrift unterordnen. Sehen wir einmal zu, wie die Dinge praktisch liegen. Es ist in Stutt¬ gart notorisch und wird anderswo nicht viel anders sich verhalten, daß in juri¬ stischen Kreisen über die mangelhafte und oft völlig schiefe und irreführende Berichterstattung aus dem Gerichtssaal Klage geführt wird, und es ist nicht erst in dem „Falle Fischer" die Frage aufgetaucht, welche Mittel die Gerichte anwenden können, um dem durch die Presse angerichteten Schaden abzuhelfen. Dabei können wir unumwunden zugestehen, daß der vorliegende Fall nicht eben der geeignetste war, um ein Exempel zu statuiren, und daß jene von dem Prä¬ sidenten gerügten „Unrichtigkeiten und Entstellungen" verhältnismäßig nicht von der Bedeutung waren, um mit einer so drastischen, unsers Wissens seit Einführung des öffentlichen Verfahrens überhaupt noch nie angewandten Maßregel vorzugehen. Ebensowenig wollen wir verkennen, daß in unsrer Ju¬ ristenwelt ein gewisses gesteigertes Machtbewußtsein aufkommt und derartige Kollisionen einzelner seiner Vertreter mit den gesetzlichen Grenzen der richter¬ lichen Befugnisse ihre symptomatische Bedeutung haben. Aber ebenso unbedingt erkennen wir auf der andern Seite das Bedürfnis an, daß den Organen der Justiz Mittel an die Hand gegeben sein sollten, um Grenzboten IV. 1884. 21

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/169>, abgerufen am 29.12.2024.