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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Mecklenburger ZVelfen.

modernen Heilungsversuche aus dem Grunde für absolut aussichtslos halten
müssen, weil dieselben ohne Ausnahme Wurzel und Sitz des Leidens an falscher
Stelle suchen; welche deshalb . . . nach wie vor für das gute deutsche Recht
wider den Strom einer sogenannten öffentlichen Meinung um ihres deutschen
Gewissens willen unentwegt eintreten/' Man sieht, der Wurm blickt scharf,
er hat medizinische und juristische Kenntnisse, und er ist gewissenhaft und uner¬
schrocken. Schade nur, daß er nicht größer ist!

Aber lesen wir weiter. Da wird die Reichstagskandidatur des Herzogs
Johann Albrecht bemängelt, der Hoffnung Ausdruck gegeben, dieselbe werde
noch rechtzeitig zurückgezogen werden, und für den Fall des Gegenteils der
"dringende" Wunsch ausgesprochen, der Kandidat möge "eine totale Niederlage
erleiden." Daß der Herzog die Kandidatur angenommen hat, findet der be¬
treffende Artikel selbstverständlich; denn "so ein Ding wie der Reichstag und
vollends die Wahlen zu demselben sehen aus der Vogelperspektive ganz anders
aus, wie wenn man auf ebener Erde steht." Ernster ist und schwerer fällt bei
Herrn Prittwitz und seinen Leuten ins Gewicht, daß der Großherzog selbst seine
Zustimmung zu dem Entschlüsse seines Bruders gegeben hat, namentlich, wenn
er dies nicht in seiner Eigenschaft als Haupt der Familie, sondern als Landes¬
herr gethan haben sollte. Das "eröffnet sehr trübe Aussichten in bezug auf die
Politik, welche unsre Regierung dem Reiche gegenüber einzuschlagen willens
scheint. Die Räte der Krone haben dann . . . ihre politischen Prinzipien be¬
deutend modifizirt. . . . Das wäre ein schwerer Schlag für die Sache des
guten deutschen Rechts, und das Beste wäre, wir zögen gleich morgen die einzig
richtige und dann ja doch unausbleibliche Konsequenz und ließen uns -- poly-
phemisiren." Dazu kommt nach unserm Politikus noch ein Punkt. "Es kann
wahrlich für einen mecklenburgischen Fürstensohn keine besondre Ehre sein, in
den Dienst der jeweiligen Tagespolitik eines obendrein so rücksichtslosen Mannes
zu treten, wie es der Reichskanzler ist. Ja, hätten wir im Reich ein Ober¬
haus sauch noch neben dem Bundesrates ... so läge die Sache anders: da
wäre der rechte Platz für den Bruder unsers Großherzogs. Aber von so¬
genannten Volkes Gnaden auf dem schlammigen Wege der Reichstagswahlwüh¬
lerei sich seinen Platz anweisen lassen, um cultu mit andern guten Leuten als
Marionette zu figuriren, das ist eine Zumutung, welche wirklich konservative
Mecklenburger einem Gliede ihres Fürstenhauses nicht stellen können."

Ganz besonders interessant ist endlich der Schlußartikel des Blattes, in
welchem es u. a. heißt: "Ein krasser geschichtlicher Irrtum ruht wohlvermauert
im Grundsteine des Reichstagsgebäudes. Die Urkunde, welche man hineingelegt
hat, ist von diesem Irrtum förmlich durchwirkt. Da ist die Rede von Vertretern
des deutschen Volkes, von den glorreichen Waffenthaten der vereinten deut¬
schen Stämme, von Deutschland schlechtweg als identisch mit dem 1870 ge¬
gründeten neudeutschen Reiche, von den verflossenen Jahren Unseres Kaiserlichen


Mecklenburger ZVelfen.

modernen Heilungsversuche aus dem Grunde für absolut aussichtslos halten
müssen, weil dieselben ohne Ausnahme Wurzel und Sitz des Leidens an falscher
Stelle suchen; welche deshalb . . . nach wie vor für das gute deutsche Recht
wider den Strom einer sogenannten öffentlichen Meinung um ihres deutschen
Gewissens willen unentwegt eintreten/' Man sieht, der Wurm blickt scharf,
er hat medizinische und juristische Kenntnisse, und er ist gewissenhaft und uner¬
schrocken. Schade nur, daß er nicht größer ist!

Aber lesen wir weiter. Da wird die Reichstagskandidatur des Herzogs
Johann Albrecht bemängelt, der Hoffnung Ausdruck gegeben, dieselbe werde
noch rechtzeitig zurückgezogen werden, und für den Fall des Gegenteils der
„dringende" Wunsch ausgesprochen, der Kandidat möge „eine totale Niederlage
erleiden." Daß der Herzog die Kandidatur angenommen hat, findet der be¬
treffende Artikel selbstverständlich; denn „so ein Ding wie der Reichstag und
vollends die Wahlen zu demselben sehen aus der Vogelperspektive ganz anders
aus, wie wenn man auf ebener Erde steht." Ernster ist und schwerer fällt bei
Herrn Prittwitz und seinen Leuten ins Gewicht, daß der Großherzog selbst seine
Zustimmung zu dem Entschlüsse seines Bruders gegeben hat, namentlich, wenn
er dies nicht in seiner Eigenschaft als Haupt der Familie, sondern als Landes¬
herr gethan haben sollte. Das „eröffnet sehr trübe Aussichten in bezug auf die
Politik, welche unsre Regierung dem Reiche gegenüber einzuschlagen willens
scheint. Die Räte der Krone haben dann . . . ihre politischen Prinzipien be¬
deutend modifizirt. . . . Das wäre ein schwerer Schlag für die Sache des
guten deutschen Rechts, und das Beste wäre, wir zögen gleich morgen die einzig
richtige und dann ja doch unausbleibliche Konsequenz und ließen uns — poly-
phemisiren." Dazu kommt nach unserm Politikus noch ein Punkt. „Es kann
wahrlich für einen mecklenburgischen Fürstensohn keine besondre Ehre sein, in
den Dienst der jeweiligen Tagespolitik eines obendrein so rücksichtslosen Mannes
zu treten, wie es der Reichskanzler ist. Ja, hätten wir im Reich ein Ober¬
haus sauch noch neben dem Bundesrates ... so läge die Sache anders: da
wäre der rechte Platz für den Bruder unsers Großherzogs. Aber von so¬
genannten Volkes Gnaden auf dem schlammigen Wege der Reichstagswahlwüh¬
lerei sich seinen Platz anweisen lassen, um cultu mit andern guten Leuten als
Marionette zu figuriren, das ist eine Zumutung, welche wirklich konservative
Mecklenburger einem Gliede ihres Fürstenhauses nicht stellen können."

Ganz besonders interessant ist endlich der Schlußartikel des Blattes, in
welchem es u. a. heißt: „Ein krasser geschichtlicher Irrtum ruht wohlvermauert
im Grundsteine des Reichstagsgebäudes. Die Urkunde, welche man hineingelegt
hat, ist von diesem Irrtum förmlich durchwirkt. Da ist die Rede von Vertretern
des deutschen Volkes, von den glorreichen Waffenthaten der vereinten deut¬
schen Stämme, von Deutschland schlechtweg als identisch mit dem 1870 ge¬
gründeten neudeutschen Reiche, von den verflossenen Jahren Unseres Kaiserlichen


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[0162] Mecklenburger ZVelfen. modernen Heilungsversuche aus dem Grunde für absolut aussichtslos halten müssen, weil dieselben ohne Ausnahme Wurzel und Sitz des Leidens an falscher Stelle suchen; welche deshalb . . . nach wie vor für das gute deutsche Recht wider den Strom einer sogenannten öffentlichen Meinung um ihres deutschen Gewissens willen unentwegt eintreten/' Man sieht, der Wurm blickt scharf, er hat medizinische und juristische Kenntnisse, und er ist gewissenhaft und uner¬ schrocken. Schade nur, daß er nicht größer ist! Aber lesen wir weiter. Da wird die Reichstagskandidatur des Herzogs Johann Albrecht bemängelt, der Hoffnung Ausdruck gegeben, dieselbe werde noch rechtzeitig zurückgezogen werden, und für den Fall des Gegenteils der „dringende" Wunsch ausgesprochen, der Kandidat möge „eine totale Niederlage erleiden." Daß der Herzog die Kandidatur angenommen hat, findet der be¬ treffende Artikel selbstverständlich; denn „so ein Ding wie der Reichstag und vollends die Wahlen zu demselben sehen aus der Vogelperspektive ganz anders aus, wie wenn man auf ebener Erde steht." Ernster ist und schwerer fällt bei Herrn Prittwitz und seinen Leuten ins Gewicht, daß der Großherzog selbst seine Zustimmung zu dem Entschlüsse seines Bruders gegeben hat, namentlich, wenn er dies nicht in seiner Eigenschaft als Haupt der Familie, sondern als Landes¬ herr gethan haben sollte. Das „eröffnet sehr trübe Aussichten in bezug auf die Politik, welche unsre Regierung dem Reiche gegenüber einzuschlagen willens scheint. Die Räte der Krone haben dann . . . ihre politischen Prinzipien be¬ deutend modifizirt. . . . Das wäre ein schwerer Schlag für die Sache des guten deutschen Rechts, und das Beste wäre, wir zögen gleich morgen die einzig richtige und dann ja doch unausbleibliche Konsequenz und ließen uns — poly- phemisiren." Dazu kommt nach unserm Politikus noch ein Punkt. „Es kann wahrlich für einen mecklenburgischen Fürstensohn keine besondre Ehre sein, in den Dienst der jeweiligen Tagespolitik eines obendrein so rücksichtslosen Mannes zu treten, wie es der Reichskanzler ist. Ja, hätten wir im Reich ein Ober¬ haus sauch noch neben dem Bundesrates ... so läge die Sache anders: da wäre der rechte Platz für den Bruder unsers Großherzogs. Aber von so¬ genannten Volkes Gnaden auf dem schlammigen Wege der Reichstagswahlwüh¬ lerei sich seinen Platz anweisen lassen, um cultu mit andern guten Leuten als Marionette zu figuriren, das ist eine Zumutung, welche wirklich konservative Mecklenburger einem Gliede ihres Fürstenhauses nicht stellen können." Ganz besonders interessant ist endlich der Schlußartikel des Blattes, in welchem es u. a. heißt: „Ein krasser geschichtlicher Irrtum ruht wohlvermauert im Grundsteine des Reichstagsgebäudes. Die Urkunde, welche man hineingelegt hat, ist von diesem Irrtum förmlich durchwirkt. Da ist die Rede von Vertretern des deutschen Volkes, von den glorreichen Waffenthaten der vereinten deut¬ schen Stämme, von Deutschland schlechtweg als identisch mit dem 1870 ge¬ gründeten neudeutschen Reiche, von den verflossenen Jahren Unseres Kaiserlichen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/162>, abgerufen am 29.12.2024.