Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.Marie von Glfers. der Zeit, verfolgt. Und darin liegt der eigentümliche Reiz ihrer Novellen: in Diese Menschen kennt sie durch und durch und begleitet sie am liebsten Grenzten IV. 1334. 17
Marie von Glfers. der Zeit, verfolgt. Und darin liegt der eigentümliche Reiz ihrer Novellen: in Diese Menschen kennt sie durch und durch und begleitet sie am liebsten Grenzten IV. 1334. 17
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Marie von Glfers.
der Zeit, verfolgt. Und darin liegt der eigentümliche Reiz ihrer Novellen: in
der Fülle und Innigkeit des Gemütslebens. Ihre Phantasie ist ungemein
konkret, sie ist auch nichts weniger als hochfliegcnd, sie erhebt sich durchaus
nicht mittelst literarischer Bildung über die Sphäre des bürgerlichen Klein¬
lebens und seiner Konflikte. Sie schildert in dem Juwel „Frau Evchen" ein
Ehepaar mit ganz märchenhaft unbestimmter Zeit und Ortsumgebung, das
lange glücklich lebt, wobei das zarte, aber arbeitsfrohe Frau Evchen ganz in
dienstbarer Liebesthätigkeit für ihren großen, starken, aber außer seiner Berufs¬
arbeit unbeholfenen Mann und die ihm nachgeratenen Kinder aufgeht, bis sie
durch Einblick in ein andres Familienleben zum Bewußtsein ihrer fast sklavischen
Dienstbarkeit kommt. Sie will sich dann ihr Verhältnis ändern, das Leben
erleichtern, wodurch sie aber nach allerlei Schmerzen zu der Einsicht kommt,
daß ihr früheres Leben die einzige Form eiues für sie glücklichen Daseins ist.
„Man kann es sich hier nicht aussuchen — heißt es zum Schluß —, wie man
geliebt sein will; es giebt von der Liebe soviele Arten, wie Sterne am Himmel
oder Blumen auf Erden. Zwei davon sind: die eine, nach der alle Seelen
dürsten und sich sehnen, wie nach dein Manna in der Wüste, die wie ein warmes
Klima uns umgiebt, mit ewig blauem Himmel und Blüten und Früchten,
wonnige Tage schenkend; die andre nordisch grau, herb, ja oft ungenießbar,
aber dann hervorbrechend zur Zeit der Not, wie ein Strahl vom Himmel."
Die Darstellung dieser verschiednen „Arten der Liebe" möchte man als das
Programm der Olfers hinstellen, mag sie nun die Jungfer Modeste schildern,
die glücklich ist, wenn sie nur recht viele Kinder um sich hat, für die sie, so
fremd sie auch sein mögen, in mütterlichen Sorgen aufgeht; mag sie in „Frost
in Blüten" die unheilvollen Folgen der verkehrten Liebe eines Vaters zu seinen
Kindern darstellen, welche das ganze Haus zu gründe richtet. Aber die Haupt¬
sache bleibt ihr immer der Mensch, alles Innerliche; Nebensache die Umgebung
sowohl zeitlich als räumlich; und uicht abstrakt, nach einer konstruirten Idee
schaut sie den Menschen, sondern — bei allem Typischen, das sich auch oft in
der Namengebung bekundet — offenbar so, wie sie ihn aus der eignen Er¬
fahrung, der unmittelbaren Betrachtung ihrer häuslichen, groß- oder klein¬
städtischen, bürgerlichen oder eidlichen, bescheidnen oder geldstolzen Kreise kennen
gelernt hat.
Diese Menschen kennt sie durch und durch und begleitet sie am liebsten
von der Wiege bis zum Grabe; darum erschöpfen sich ihre Geschichten nicht
auf ein einzelnes Motiv, sondern so reich, als das Leben selbst, sind sie an
kleinen Beziehungen innerhalb des großen Rahmens, der allerdings künstlerisch
dadurch geschädigt wird. Es sind kleine Romane, wie Spielhagen richtig be¬
merkt, und doch sind sie wieder zu skizzenhaft für den wirklichen Roman. Von
den Männern liebt sie die starken, zuversichtlichen, an sinnlicher oder geistiger
Energie überquellenden Naturen, Männer, deren Sein in stetig froher Arbeit
Grenzten IV. 1334. 17
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