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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal.

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Gin Franzose über Bismarcks Politik.

reine Instinkt spielt, die Einfachheit der Mittel, die er anwendet, den wunderbaren
gesunden Menschenverstand, mit dem er, sich losmachend von allem eiteln Aber¬
glauben, die Politik als die vornehmste Anwendung der Kunst, Handel zu treiben
und gute Geschäfte zu macheu, betrachtet hat. Dieser große Mann ist im letzten
Grunde ein Dorfjunker (Qoosrss.u) der Mark Brandenburg, der im höchsten Grade
mit dem Sinn für Geschäfte begabt ist. Wir glauben an seine leidenschaftliche
Liebe für das Haidekraut und den Wald. Er hat eines Tages sagen können: "Am
wohlsten ist mir in Schmierstiefeln, weit weg von der Zivilisation. Am besten
ist mir da zu Mute, wo man nur den Specht hört." Aber wir glauben auch den
Zeugen, welche uns versichern, daß er sich vortrefflich auf die Bebauung seiner
Felder und die Ausnutzung seiner Kiefernforsten verstehe, daß er ein tüchtiger
Landwirt, ein guter Forstmann, ein umsichtiger Industrieller sei, daß seine
Brauereien, seine Spiritusbrennereien, seine Dampfsägemühlen nach Wunsch pros-
periren, und daß sein Holzpapier, wenn er einmal solches fabriziren sollte, ihm
schönen Gewinn abwerfen würde. Außerdem glauben wir, daß er sich niemals
selbst besser gemalt hat, als da, wo er sagte, er habe "immer nach Gründen ge¬
handelt, die sich nicht auf dem grünen Tische, sondern draußen auf dem grünen
Lande finden." .

Man kann -- fährt unser Franzose fort, und nun geraten ihm Haß und
Vorurteil für eine Weile vor die Augen und in die Feder -- man kann sich
den Fall denken, daß seinem Genie die Gelegenheiten gefehlt hätten. Er würde es
dann dazu verwendet haben, seinen Besitz zu verwalten, sein Grundeigentum abzu¬
runden, sein Haus und seine Bauern zu regieren, die geriebensten Roßtäuscher übers
Ohr zu hauen und mit seinen Nachbarn vorteilhafte Geschäfte abzuschließen. Er würde,
seine Klugheit unter der Maske der Einfalt verbergend, vor ihren Ohren die Schellen
seiner Narrenkappe haben erklingen lassen, sie durch seine Aufschneidereien in Erstaunen
versetzt, sie durch seine Prahlereien ergötzt, sie durch seine Versprechungen verlockt
und sie einen nach dem andern anmutig getäuscht und grob und derb enttäuscht
haben. Ein unvergleichlicher Menschenkenner, würde er sich zu seinem persönlichen
Vorteil jenes Versuchertalents bedient haben, das er wie niemand außer ihm besitzt.
Er würde sich nicht gelangweilt haben; die Jagd, das Reiten, der Fischfang würden seine
Mußestunden ausgefüllt und er würde damit das Vergnügen verbunden haben,
seine Freunde wie seine Feinde zu mystisiziren, ein Zeitvertreib, der einem echten
Preußen baß behagt, und seine Feinde wie seine Freunde würden von ihm gesagt
haben, was die Stammgäste des Auerbachschcn Kellers von Mephistopheles sagten:
Ach, das sind Taschenspielersachen. Aber es kamen die Gelegenheiten. Statt seine
Güter zu verwalten, hatte er fortan einen Staat zu regieren, ein Deutschland zu
gründen, Reiche zu schaffen und zu zerstören, und Europa wurde sein Garten.
Das Verfahren, dessen sich der Politiker bediente, war dasselbe, welches der Guts¬
besitzer angewendet hätte. Es ist, wenn man den Dingen auf den Grund blickt,
sicher, daß die Kunst, seinen Landbesitz abzurunden und sich eines spatigen oder
halbblinden Pferdes für einen guten Preis zu entledigen, dieselbe ist, die man
nötig hat, wenn es ein Königreich zu vergrößern oder Souveräne zu täuschen gilt,
die man sich zu berauben vorgenommen hat. Die großen und die kleinen Dinge
unterscheiden sich lediglich durch ihre Wichtigkeit; die Methode, bei ihnen Erfolg
zu erzielen, ist die gleiche, die einfachsten Kunstgriffe sind oft die wirksamsten, die
listigen Anschläge des Bauern sind die besten. Gerade durch die Einfachheit seiner
Mittel hat Herr von Bismarck so viele gewagte Partien gewonnen. Die naiven
erkannten in dem Taschenspieler vom Lande den Mephistopheles nicht; die einen


Gin Franzose über Bismarcks Politik.

reine Instinkt spielt, die Einfachheit der Mittel, die er anwendet, den wunderbaren
gesunden Menschenverstand, mit dem er, sich losmachend von allem eiteln Aber¬
glauben, die Politik als die vornehmste Anwendung der Kunst, Handel zu treiben
und gute Geschäfte zu macheu, betrachtet hat. Dieser große Mann ist im letzten
Grunde ein Dorfjunker (Qoosrss.u) der Mark Brandenburg, der im höchsten Grade
mit dem Sinn für Geschäfte begabt ist. Wir glauben an seine leidenschaftliche
Liebe für das Haidekraut und den Wald. Er hat eines Tages sagen können: „Am
wohlsten ist mir in Schmierstiefeln, weit weg von der Zivilisation. Am besten
ist mir da zu Mute, wo man nur den Specht hört." Aber wir glauben auch den
Zeugen, welche uns versichern, daß er sich vortrefflich auf die Bebauung seiner
Felder und die Ausnutzung seiner Kiefernforsten verstehe, daß er ein tüchtiger
Landwirt, ein guter Forstmann, ein umsichtiger Industrieller sei, daß seine
Brauereien, seine Spiritusbrennereien, seine Dampfsägemühlen nach Wunsch pros-
periren, und daß sein Holzpapier, wenn er einmal solches fabriziren sollte, ihm
schönen Gewinn abwerfen würde. Außerdem glauben wir, daß er sich niemals
selbst besser gemalt hat, als da, wo er sagte, er habe „immer nach Gründen ge¬
handelt, die sich nicht auf dem grünen Tische, sondern draußen auf dem grünen
Lande finden." .

Man kann — fährt unser Franzose fort, und nun geraten ihm Haß und
Vorurteil für eine Weile vor die Augen und in die Feder — man kann sich
den Fall denken, daß seinem Genie die Gelegenheiten gefehlt hätten. Er würde es
dann dazu verwendet haben, seinen Besitz zu verwalten, sein Grundeigentum abzu¬
runden, sein Haus und seine Bauern zu regieren, die geriebensten Roßtäuscher übers
Ohr zu hauen und mit seinen Nachbarn vorteilhafte Geschäfte abzuschließen. Er würde,
seine Klugheit unter der Maske der Einfalt verbergend, vor ihren Ohren die Schellen
seiner Narrenkappe haben erklingen lassen, sie durch seine Aufschneidereien in Erstaunen
versetzt, sie durch seine Prahlereien ergötzt, sie durch seine Versprechungen verlockt
und sie einen nach dem andern anmutig getäuscht und grob und derb enttäuscht
haben. Ein unvergleichlicher Menschenkenner, würde er sich zu seinem persönlichen
Vorteil jenes Versuchertalents bedient haben, das er wie niemand außer ihm besitzt.
Er würde sich nicht gelangweilt haben; die Jagd, das Reiten, der Fischfang würden seine
Mußestunden ausgefüllt und er würde damit das Vergnügen verbunden haben,
seine Freunde wie seine Feinde zu mystisiziren, ein Zeitvertreib, der einem echten
Preußen baß behagt, und seine Feinde wie seine Freunde würden von ihm gesagt
haben, was die Stammgäste des Auerbachschcn Kellers von Mephistopheles sagten:
Ach, das sind Taschenspielersachen. Aber es kamen die Gelegenheiten. Statt seine
Güter zu verwalten, hatte er fortan einen Staat zu regieren, ein Deutschland zu
gründen, Reiche zu schaffen und zu zerstören, und Europa wurde sein Garten.
Das Verfahren, dessen sich der Politiker bediente, war dasselbe, welches der Guts¬
besitzer angewendet hätte. Es ist, wenn man den Dingen auf den Grund blickt,
sicher, daß die Kunst, seinen Landbesitz abzurunden und sich eines spatigen oder
halbblinden Pferdes für einen guten Preis zu entledigen, dieselbe ist, die man
nötig hat, wenn es ein Königreich zu vergrößern oder Souveräne zu täuschen gilt,
die man sich zu berauben vorgenommen hat. Die großen und die kleinen Dinge
unterscheiden sich lediglich durch ihre Wichtigkeit; die Methode, bei ihnen Erfolg
zu erzielen, ist die gleiche, die einfachsten Kunstgriffe sind oft die wirksamsten, die
listigen Anschläge des Bauern sind die besten. Gerade durch die Einfachheit seiner
Mittel hat Herr von Bismarck so viele gewagte Partien gewonnen. Die naiven
erkannten in dem Taschenspieler vom Lande den Mephistopheles nicht; die einen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156924/10>, abgerufen am 29.12.2024.