Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite

bei dem nächsten Wahlgänge einzubüßen, in dein unablässigen Bestreben,
Unzufriedenheit und Mißtrauen zu verbreiten, jede positive Arbeit zu stören,
die Männer der Regierung zu verdächtigen und zu beschimpfen, mögen sie
thun, was sie wollen. Das ist der Inhalt eines Menschenlebens in den
Jahren der besten Manneskraft, und so verkörpert sich in ihm das Ideal jenes
Parlamentarismus, welchen die gedankenlose liberale Menge im Munde führt.
Vergeblich spähen wir nach irgendeinem schöpferischen Gedanken. Zu dem Ja
des Reichskanzlers Nein sagen, das ist das ganze Programm des Politikers,
durch dreiste Behauptungen verblüffen, sich nie durch Gründe und Beweise be¬
irren lassen, das zehnmal Widerlegte zum elftenmal migescheut vorbringen,
zanken, ärgern, reizen, beleidigen, das ist seine Taktik. Welche Persönlichkeiten
dnrch eine Revolution zu Einfluß und Macht gelangen können, das lehrt uns
jedes Blatt der französischen Geschichte von 1789 bis 1795; heute ist in
Deutschland noch dafür gesorgt, daß die Desmoulins, Collot d'Herbois,
Barere u. s. w. nicht das Staatsruder in die Hände bekommen, allein die Köpfe
zu verwirren, die Gesinnung zu demoralisircn, dazu bieten Tribüne und Presse
ihnen reichliche und emsig benutzte Gelegenheit. Und nichts kann geeigneter sein,
um Bethörten die Augen zu öffnen, als eine aktenmäßige Darstellung einer in
Wahlagitation und Parteihetze völlig aufgehenden Existenz: Skandal mache", um
gewählt zu werden, und gewählt werden, um Skandal zu mache"!

Den Hauptmann der Freisinnigen nannten wir Herr" Richter, auch ist
schon von der Richterschcn Kompagnie gesprochen worden. Natürlich soll sein
Anhang nicht mit einem regulären Truppenkörper verglichen werden, und er selbst
erinnert in seinem Verhalten als Anführer eher an diejenigen, welche gelegent¬
lich "fürchterliche Musterung" angemessen finden. Von seinein Stäbe führt die
obengenannte Schrift acht vor: Rickert, Hänel, Virchow, Forckenbeck, Stauffen-
berg, Bamberger, Löwe und endlich Mommsen. Eine bunt zusaimuengewürfelte
Gesellschaft! Jeder dieser Größen ist die ihrer Bedeutung entsprechende Seitenzahl
zugewiesen; Richter erhielt deren 116, Stauffenberg, der nominelle Parteichef, nur
noch 22, der arme Mommsen gar nur 11 -- wäre er doch demande der Ehre
verlustig gegangen, unter Richter zu dienen! Für einzelne von den andern mag noch
oft die Genosfenschafr etwas Beklemmendes haben. So kennt ja niemand Art, Kunst
und Ziele Richters besser als Rickert, der ihm so manchmal im schärfsten Einzel¬
kampfe gegenübergestanden hat, und an seiiier nationalen Gesinnung ist nicht zu
zweifeln. Richter ist kein andrer geworden, aber manchesterliche Verranntheit,
vielleicht auch unbefriedigter Ehrgeiz haben Rickert soweit getrieben, daß er als
dritter Triumvir mit auszog, um Süddeutschland unter das Joch des Fort¬
schritts zu beugen und sich durch Leidenschaftlichkeit des neuen Freundes wert
zu zeigen. Ein Zurück wird es nunmehr schwerlich für ihn geben, er ist der
Kraft verfallen, die stets das Böse will und nie etwas Gutes schafft. Wer in
dem Bunde den Antonius und wer den Octavianus darstellen wird, darüber


bei dem nächsten Wahlgänge einzubüßen, in dein unablässigen Bestreben,
Unzufriedenheit und Mißtrauen zu verbreiten, jede positive Arbeit zu stören,
die Männer der Regierung zu verdächtigen und zu beschimpfen, mögen sie
thun, was sie wollen. Das ist der Inhalt eines Menschenlebens in den
Jahren der besten Manneskraft, und so verkörpert sich in ihm das Ideal jenes
Parlamentarismus, welchen die gedankenlose liberale Menge im Munde führt.
Vergeblich spähen wir nach irgendeinem schöpferischen Gedanken. Zu dem Ja
des Reichskanzlers Nein sagen, das ist das ganze Programm des Politikers,
durch dreiste Behauptungen verblüffen, sich nie durch Gründe und Beweise be¬
irren lassen, das zehnmal Widerlegte zum elftenmal migescheut vorbringen,
zanken, ärgern, reizen, beleidigen, das ist seine Taktik. Welche Persönlichkeiten
dnrch eine Revolution zu Einfluß und Macht gelangen können, das lehrt uns
jedes Blatt der französischen Geschichte von 1789 bis 1795; heute ist in
Deutschland noch dafür gesorgt, daß die Desmoulins, Collot d'Herbois,
Barere u. s. w. nicht das Staatsruder in die Hände bekommen, allein die Köpfe
zu verwirren, die Gesinnung zu demoralisircn, dazu bieten Tribüne und Presse
ihnen reichliche und emsig benutzte Gelegenheit. Und nichts kann geeigneter sein,
um Bethörten die Augen zu öffnen, als eine aktenmäßige Darstellung einer in
Wahlagitation und Parteihetze völlig aufgehenden Existenz: Skandal mache», um
gewählt zu werden, und gewählt werden, um Skandal zu mache»!

Den Hauptmann der Freisinnigen nannten wir Herr» Richter, auch ist
schon von der Richterschcn Kompagnie gesprochen worden. Natürlich soll sein
Anhang nicht mit einem regulären Truppenkörper verglichen werden, und er selbst
erinnert in seinem Verhalten als Anführer eher an diejenigen, welche gelegent¬
lich „fürchterliche Musterung" angemessen finden. Von seinein Stäbe führt die
obengenannte Schrift acht vor: Rickert, Hänel, Virchow, Forckenbeck, Stauffen-
berg, Bamberger, Löwe und endlich Mommsen. Eine bunt zusaimuengewürfelte
Gesellschaft! Jeder dieser Größen ist die ihrer Bedeutung entsprechende Seitenzahl
zugewiesen; Richter erhielt deren 116, Stauffenberg, der nominelle Parteichef, nur
noch 22, der arme Mommsen gar nur 11 — wäre er doch demande der Ehre
verlustig gegangen, unter Richter zu dienen! Für einzelne von den andern mag noch
oft die Genosfenschafr etwas Beklemmendes haben. So kennt ja niemand Art, Kunst
und Ziele Richters besser als Rickert, der ihm so manchmal im schärfsten Einzel¬
kampfe gegenübergestanden hat, und an seiiier nationalen Gesinnung ist nicht zu
zweifeln. Richter ist kein andrer geworden, aber manchesterliche Verranntheit,
vielleicht auch unbefriedigter Ehrgeiz haben Rickert soweit getrieben, daß er als
dritter Triumvir mit auszog, um Süddeutschland unter das Joch des Fort¬
schritts zu beugen und sich durch Leidenschaftlichkeit des neuen Freundes wert
zu zeigen. Ein Zurück wird es nunmehr schwerlich für ihn geben, er ist der
Kraft verfallen, die stets das Böse will und nie etwas Gutes schafft. Wer in
dem Bunde den Antonius und wer den Octavianus darstellen wird, darüber


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0066" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/156337"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_218" prev="#ID_217"> bei dem nächsten Wahlgänge einzubüßen, in dein unablässigen Bestreben,<lb/>
Unzufriedenheit und Mißtrauen zu verbreiten, jede positive Arbeit zu stören,<lb/>
die Männer der Regierung zu verdächtigen und zu beschimpfen, mögen sie<lb/>
thun, was sie wollen. Das ist der Inhalt eines Menschenlebens in den<lb/>
Jahren der besten Manneskraft, und so verkörpert sich in ihm das Ideal jenes<lb/>
Parlamentarismus, welchen die gedankenlose liberale Menge im Munde führt.<lb/>
Vergeblich spähen wir nach irgendeinem schöpferischen Gedanken. Zu dem Ja<lb/>
des Reichskanzlers Nein sagen, das ist das ganze Programm des Politikers,<lb/>
durch dreiste Behauptungen verblüffen, sich nie durch Gründe und Beweise be¬<lb/>
irren lassen, das zehnmal Widerlegte zum elftenmal migescheut vorbringen,<lb/>
zanken, ärgern, reizen, beleidigen, das ist seine Taktik. Welche Persönlichkeiten<lb/>
dnrch eine Revolution zu Einfluß und Macht gelangen können, das lehrt uns<lb/>
jedes Blatt der französischen Geschichte von 1789 bis 1795; heute ist in<lb/>
Deutschland noch dafür gesorgt, daß die Desmoulins, Collot d'Herbois,<lb/>
Barere u. s. w. nicht das Staatsruder in die Hände bekommen, allein die Köpfe<lb/>
zu verwirren, die Gesinnung zu demoralisircn, dazu bieten Tribüne und Presse<lb/>
ihnen reichliche und emsig benutzte Gelegenheit. Und nichts kann geeigneter sein,<lb/>
um Bethörten die Augen zu öffnen, als eine aktenmäßige Darstellung einer in<lb/>
Wahlagitation und Parteihetze völlig aufgehenden Existenz: Skandal mache», um<lb/>
gewählt zu werden, und gewählt werden, um Skandal zu mache»!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_219" next="#ID_220"> Den Hauptmann der Freisinnigen nannten wir Herr» Richter, auch ist<lb/>
schon von der Richterschcn Kompagnie gesprochen worden. Natürlich soll sein<lb/>
Anhang nicht mit einem regulären Truppenkörper verglichen werden, und er selbst<lb/>
erinnert in seinem Verhalten als Anführer eher an diejenigen, welche gelegent¬<lb/>
lich &#x201E;fürchterliche Musterung" angemessen finden. Von seinein Stäbe führt die<lb/>
obengenannte Schrift acht vor: Rickert, Hänel, Virchow, Forckenbeck, Stauffen-<lb/>
berg, Bamberger, Löwe und endlich Mommsen. Eine bunt zusaimuengewürfelte<lb/>
Gesellschaft! Jeder dieser Größen ist die ihrer Bedeutung entsprechende Seitenzahl<lb/>
zugewiesen; Richter erhielt deren 116, Stauffenberg, der nominelle Parteichef, nur<lb/>
noch 22, der arme Mommsen gar nur 11 &#x2014; wäre er doch demande der Ehre<lb/>
verlustig gegangen, unter Richter zu dienen! Für einzelne von den andern mag noch<lb/>
oft die Genosfenschafr etwas Beklemmendes haben. So kennt ja niemand Art, Kunst<lb/>
und Ziele Richters besser als Rickert, der ihm so manchmal im schärfsten Einzel¬<lb/>
kampfe gegenübergestanden hat, und an seiiier nationalen Gesinnung ist nicht zu<lb/>
zweifeln. Richter ist kein andrer geworden, aber manchesterliche Verranntheit,<lb/>
vielleicht auch unbefriedigter Ehrgeiz haben Rickert soweit getrieben, daß er als<lb/>
dritter Triumvir mit auszog, um Süddeutschland unter das Joch des Fort¬<lb/>
schritts zu beugen und sich durch Leidenschaftlichkeit des neuen Freundes wert<lb/>
zu zeigen. Ein Zurück wird es nunmehr schwerlich für ihn geben, er ist der<lb/>
Kraft verfallen, die stets das Böse will und nie etwas Gutes schafft. Wer in<lb/>
dem Bunde den Antonius und wer den Octavianus darstellen wird, darüber</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0066] bei dem nächsten Wahlgänge einzubüßen, in dein unablässigen Bestreben, Unzufriedenheit und Mißtrauen zu verbreiten, jede positive Arbeit zu stören, die Männer der Regierung zu verdächtigen und zu beschimpfen, mögen sie thun, was sie wollen. Das ist der Inhalt eines Menschenlebens in den Jahren der besten Manneskraft, und so verkörpert sich in ihm das Ideal jenes Parlamentarismus, welchen die gedankenlose liberale Menge im Munde führt. Vergeblich spähen wir nach irgendeinem schöpferischen Gedanken. Zu dem Ja des Reichskanzlers Nein sagen, das ist das ganze Programm des Politikers, durch dreiste Behauptungen verblüffen, sich nie durch Gründe und Beweise be¬ irren lassen, das zehnmal Widerlegte zum elftenmal migescheut vorbringen, zanken, ärgern, reizen, beleidigen, das ist seine Taktik. Welche Persönlichkeiten dnrch eine Revolution zu Einfluß und Macht gelangen können, das lehrt uns jedes Blatt der französischen Geschichte von 1789 bis 1795; heute ist in Deutschland noch dafür gesorgt, daß die Desmoulins, Collot d'Herbois, Barere u. s. w. nicht das Staatsruder in die Hände bekommen, allein die Köpfe zu verwirren, die Gesinnung zu demoralisircn, dazu bieten Tribüne und Presse ihnen reichliche und emsig benutzte Gelegenheit. Und nichts kann geeigneter sein, um Bethörten die Augen zu öffnen, als eine aktenmäßige Darstellung einer in Wahlagitation und Parteihetze völlig aufgehenden Existenz: Skandal mache», um gewählt zu werden, und gewählt werden, um Skandal zu mache»! Den Hauptmann der Freisinnigen nannten wir Herr» Richter, auch ist schon von der Richterschcn Kompagnie gesprochen worden. Natürlich soll sein Anhang nicht mit einem regulären Truppenkörper verglichen werden, und er selbst erinnert in seinem Verhalten als Anführer eher an diejenigen, welche gelegent¬ lich „fürchterliche Musterung" angemessen finden. Von seinein Stäbe führt die obengenannte Schrift acht vor: Rickert, Hänel, Virchow, Forckenbeck, Stauffen- berg, Bamberger, Löwe und endlich Mommsen. Eine bunt zusaimuengewürfelte Gesellschaft! Jeder dieser Größen ist die ihrer Bedeutung entsprechende Seitenzahl zugewiesen; Richter erhielt deren 116, Stauffenberg, der nominelle Parteichef, nur noch 22, der arme Mommsen gar nur 11 — wäre er doch demande der Ehre verlustig gegangen, unter Richter zu dienen! Für einzelne von den andern mag noch oft die Genosfenschafr etwas Beklemmendes haben. So kennt ja niemand Art, Kunst und Ziele Richters besser als Rickert, der ihm so manchmal im schärfsten Einzel¬ kampfe gegenübergestanden hat, und an seiiier nationalen Gesinnung ist nicht zu zweifeln. Richter ist kein andrer geworden, aber manchesterliche Verranntheit, vielleicht auch unbefriedigter Ehrgeiz haben Rickert soweit getrieben, daß er als dritter Triumvir mit auszog, um Süddeutschland unter das Joch des Fort¬ schritts zu beugen und sich durch Leidenschaftlichkeit des neuen Freundes wert zu zeigen. Ein Zurück wird es nunmehr schwerlich für ihn geben, er ist der Kraft verfallen, die stets das Böse will und nie etwas Gutes schafft. Wer in dem Bunde den Antonius und wer den Octavianus darstellen wird, darüber

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/66
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/66>, abgerufen am 28.09.2024.