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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Cornelius und das Weltgericht.

und Erzieherin, zu läutern und auf den rechten Weg zu weisen habe. Dies
mit vollem Bewußtsein gefordert und die Kunst auf diese Bahn gelenkt zu
haben, ist das unvergängliche Verdienst von Cornelius. In dieser Beziehung
wird er immer am Beginne unsrer neudeutschen Malerei wie der getreue Eckhard
stehen, und seine Werke werden ihre warnende Stimme immer von neuem er¬
heben, wenn die junge Generation in allzuseligem Vertrauen auf ihr wahrheits¬
getreues Schaffen in diesem bereits das Ziel, statt eines der Mittel der Malerei
betrachten will. In der entschiedensten Weise haben nach dieser Richtung
Cornelius' erste große Schüpfnngen gewirkt, sein Faust, seine Nibelungen,
und in höherm Grade hätte es sein Romeo gethan, wenn dieses Werk in der
Vollendung zur Durchführung gekommen wäre, wie die Aufänge sie erkennen
lassen. So hatten seine Glyptothekfresken gewirkt, und so, hoffte er, sollten
auch seine Fresken der Ludwigskirche wirken, zumal da er hier den höchsten,
den heiligsten Stoff ergriffen hatte. Aber gerade dieser Umstand wurde die
Schranke seiner Wirksamkeit. Dieser heilige Stoff verlangte den Glauben an
die entsprechende reale Wahrheit, und reale Wahrheit, der Darstellung ent¬
sprechend, war dnrch die Art der Darstellung von vornherein ausgeschlossen.
In seiner symbolisch andeutenden Weise schuf Cornelius Werke, welche in großen
Zügen den Zusammenhang des "christlichen Epos" darlegen sollten, und eben-
damit trat er in Widerspruch zu der eigentlichen Aufgabe seiner Bilder, die
reale Wahrheit des Geschehens zu schildern. An der nördlichen Wand des Quer¬
schiffes läßt er zu dem Kinde, welches von der Mutter gehalten wird und über
welchem Gott Vater und der heilige Geist als Taube schweben, außer den Hirten
auch die Könige kommen. Freilich wird dadurch der Gedanke, daß alle Stände
und alle Völker dem Erlöser huldigen und der Erlösung teilhaftig werden
sollen, sehr schön zum Ausdruck gebracht; aber die Darstellung entspricht
in ihrer Gesamtheit keinem geschichtlich denkbaren Ereignisse, wie es hier not¬
wendig war; erst der geschichtlich erschienene Erlöser, die ganz bestimmte, be¬
glaubigte Thatsache hat die glaubenerweckende Kraft und kann mit vernehmlicher
Stimme ihre Predigt anheben. An der Wand des südlichen Querschiffes harren
Engel und Teufel darauf, die Seelen des guten und des bösen Schachers in
Empfang zu nehmen -- eine Auffassung, die in der Tradition sehr Wohl be¬
gründet ist, aber einer Zeit entstammt, in welcher die kindliche Kunst noch kein
andres Mittel der Charakteristik anzuwenden imstande war, um den reuelosen
von dem reuebereiten Sünder zu unterscheiden. Auf einer Stufe der Kunst-
entwicklung, wie sie Cornelius repräsentirt, ist das möglich, ein solches Hilfs¬
mittel ist daher überflüssig und stößt eher zurück, als daß es zum Glauben
hinzieht. An der Altarwand aber offenbart sich das gewaltige "Jüngste
Gericht," um als mächtigster Akkord in dieser Symphonie das Herz zu er¬
schüttern und zu erheben. Aber in den zweihundert Jahren, welche seit der
letzten wirklich großen und bedeutenden Darstellung des Weltgerichts verflossen


Cornelius und das Weltgericht.

und Erzieherin, zu läutern und auf den rechten Weg zu weisen habe. Dies
mit vollem Bewußtsein gefordert und die Kunst auf diese Bahn gelenkt zu
haben, ist das unvergängliche Verdienst von Cornelius. In dieser Beziehung
wird er immer am Beginne unsrer neudeutschen Malerei wie der getreue Eckhard
stehen, und seine Werke werden ihre warnende Stimme immer von neuem er¬
heben, wenn die junge Generation in allzuseligem Vertrauen auf ihr wahrheits¬
getreues Schaffen in diesem bereits das Ziel, statt eines der Mittel der Malerei
betrachten will. In der entschiedensten Weise haben nach dieser Richtung
Cornelius' erste große Schüpfnngen gewirkt, sein Faust, seine Nibelungen,
und in höherm Grade hätte es sein Romeo gethan, wenn dieses Werk in der
Vollendung zur Durchführung gekommen wäre, wie die Aufänge sie erkennen
lassen. So hatten seine Glyptothekfresken gewirkt, und so, hoffte er, sollten
auch seine Fresken der Ludwigskirche wirken, zumal da er hier den höchsten,
den heiligsten Stoff ergriffen hatte. Aber gerade dieser Umstand wurde die
Schranke seiner Wirksamkeit. Dieser heilige Stoff verlangte den Glauben an
die entsprechende reale Wahrheit, und reale Wahrheit, der Darstellung ent¬
sprechend, war dnrch die Art der Darstellung von vornherein ausgeschlossen.
In seiner symbolisch andeutenden Weise schuf Cornelius Werke, welche in großen
Zügen den Zusammenhang des „christlichen Epos" darlegen sollten, und eben-
damit trat er in Widerspruch zu der eigentlichen Aufgabe seiner Bilder, die
reale Wahrheit des Geschehens zu schildern. An der nördlichen Wand des Quer¬
schiffes läßt er zu dem Kinde, welches von der Mutter gehalten wird und über
welchem Gott Vater und der heilige Geist als Taube schweben, außer den Hirten
auch die Könige kommen. Freilich wird dadurch der Gedanke, daß alle Stände
und alle Völker dem Erlöser huldigen und der Erlösung teilhaftig werden
sollen, sehr schön zum Ausdruck gebracht; aber die Darstellung entspricht
in ihrer Gesamtheit keinem geschichtlich denkbaren Ereignisse, wie es hier not¬
wendig war; erst der geschichtlich erschienene Erlöser, die ganz bestimmte, be¬
glaubigte Thatsache hat die glaubenerweckende Kraft und kann mit vernehmlicher
Stimme ihre Predigt anheben. An der Wand des südlichen Querschiffes harren
Engel und Teufel darauf, die Seelen des guten und des bösen Schachers in
Empfang zu nehmen — eine Auffassung, die in der Tradition sehr Wohl be¬
gründet ist, aber einer Zeit entstammt, in welcher die kindliche Kunst noch kein
andres Mittel der Charakteristik anzuwenden imstande war, um den reuelosen
von dem reuebereiten Sünder zu unterscheiden. Auf einer Stufe der Kunst-
entwicklung, wie sie Cornelius repräsentirt, ist das möglich, ein solches Hilfs¬
mittel ist daher überflüssig und stößt eher zurück, als daß es zum Glauben
hinzieht. An der Altarwand aber offenbart sich das gewaltige „Jüngste
Gericht," um als mächtigster Akkord in dieser Symphonie das Herz zu er¬
schüttern und zu erheben. Aber in den zweihundert Jahren, welche seit der
letzten wirklich großen und bedeutenden Darstellung des Weltgerichts verflossen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/606>, abgerufen am 27.09.2024.