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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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iLornelius und das Weltgericht,

Verhüllt sich; am unerwartetsten ist das erste Paar betroffen, durch dessen
Schuld die Sünde in die Welt gekommen ist und das jetzt die "Wohlthat
Christi," den Vcrsöhunngstod. durch welchen alle Schuld gesühnt sein sollte,
aufgehoben und zunichte gemacht sieht. Michelangelo mußte das Gericht malen,
aber er malte es so, daß der unerbittliche Richter im Widerspruch mit all
den Zeugen der Milde und Barmherzigkeit, ja mit dem eignen Versvhnungstode
steht. Gerade dieser erfüllte Michelangelo aufs tiefste; sein letztes, höchstes
Ideal war Christus am Kreuze, das untrüglichste Zeugnis für die Erlösung.
Springer schildert dies (a. a. O., S. 450) sehr schön: "In der göttlichen Liebe
findet er jetzt allein das Heil, auf welches ihn die Nähe des Todes dringend
hinweist. Den Glauben brennt er zu erlangen, der ihm durch eigne Schuld
fast entschwunden, auf die Gnade setzt er seine einzige Hoffnung, denn:


Durch eignes Wohl kann niemand dir sich weihen,
Giebst du ihm nicht von deiner Gnade Kunde.

Sein Auge wendet sich immer und immer wieder zu Christus am Kreuze, dessen
Blut die verheißene Erlösung gebracht und die menschliche Schuld getilgt:


Wie keine Marter deiner gleich erschien,
So sei auch deine Grube ohne Masten."

Und in einem andern Sonette sagt Michelangelo:


Mein Herz erfreut nicht Meisteln mehr und Malen,
Dase es sich nur zur Gottesliebe wende,
Die ausgespannt am Kreuz die Hand uns reichet.

War das der Gedankenkreis und die religiöse Stimmung, welche der seit 1534
eintretende Verkehr mit Vittoria Colonna bewirkte oder doch zu lebendigeren
Bewußtsein brachte, so muß mit ihm das seit 153S begonnene große Werk,
zumal bei einem Meister, der wie Michelangelo stets seine eigenste Empfindung
in seinen Schöpfungen wiedergab, in innerm Zusammenhange stehen. Dieser
aber ist der der Opposition gegen eine Anschauung, die zwar die Kirche lehrte,
die aber einer tiefern und reinern christlichen, in der heiligen Schrift sehr wohl
begründete,! Auffassung widerstreiten muß. Diesem Gefühle des Widerspruchs
ist denn auch die Darstellung der Auferstehenden entsprungen. Einerseits werden
die Guten emporgezogen, und nicht zum wenigsten durch das gläubige Gebet,
wie es die Gruppe lehrt, in welcher der Auferstehende am Rosenkranz empor-
gezogen wird -- eine charakteristische Hindeutung auf die Rechtfertigung durch
den Glauben. Andrerseits aber wenden sich die Verworfenen in stürmender Ver¬
zweiflung aufwärts; auch in ihnen lebt das Bewußtsein, daß der Versöhnungs-
tod stattgefunden habe, daß er in erster Linie gerade den Sündern gelte, daß
es ein Widerspruch mit dem Wesen des Versöhnuugstodes sei, wenn dessen
Wohlthat nicht auch ihnen zu gute kommen solle. Nur so läßt sich der hier zum
erstenmale so mächtig auftretende und durch deu Zusammenhang nur dieses einzige


iLornelius und das Weltgericht,

Verhüllt sich; am unerwartetsten ist das erste Paar betroffen, durch dessen
Schuld die Sünde in die Welt gekommen ist und das jetzt die „Wohlthat
Christi," den Vcrsöhunngstod. durch welchen alle Schuld gesühnt sein sollte,
aufgehoben und zunichte gemacht sieht. Michelangelo mußte das Gericht malen,
aber er malte es so, daß der unerbittliche Richter im Widerspruch mit all
den Zeugen der Milde und Barmherzigkeit, ja mit dem eignen Versvhnungstode
steht. Gerade dieser erfüllte Michelangelo aufs tiefste; sein letztes, höchstes
Ideal war Christus am Kreuze, das untrüglichste Zeugnis für die Erlösung.
Springer schildert dies (a. a. O., S. 450) sehr schön: „In der göttlichen Liebe
findet er jetzt allein das Heil, auf welches ihn die Nähe des Todes dringend
hinweist. Den Glauben brennt er zu erlangen, der ihm durch eigne Schuld
fast entschwunden, auf die Gnade setzt er seine einzige Hoffnung, denn:


Durch eignes Wohl kann niemand dir sich weihen,
Giebst du ihm nicht von deiner Gnade Kunde.

Sein Auge wendet sich immer und immer wieder zu Christus am Kreuze, dessen
Blut die verheißene Erlösung gebracht und die menschliche Schuld getilgt:


Wie keine Marter deiner gleich erschien,
So sei auch deine Grube ohne Masten."

Und in einem andern Sonette sagt Michelangelo:


Mein Herz erfreut nicht Meisteln mehr und Malen,
Dase es sich nur zur Gottesliebe wende,
Die ausgespannt am Kreuz die Hand uns reichet.

War das der Gedankenkreis und die religiöse Stimmung, welche der seit 1534
eintretende Verkehr mit Vittoria Colonna bewirkte oder doch zu lebendigeren
Bewußtsein brachte, so muß mit ihm das seit 153S begonnene große Werk,
zumal bei einem Meister, der wie Michelangelo stets seine eigenste Empfindung
in seinen Schöpfungen wiedergab, in innerm Zusammenhange stehen. Dieser
aber ist der der Opposition gegen eine Anschauung, die zwar die Kirche lehrte,
die aber einer tiefern und reinern christlichen, in der heiligen Schrift sehr wohl
begründete,! Auffassung widerstreiten muß. Diesem Gefühle des Widerspruchs
ist denn auch die Darstellung der Auferstehenden entsprungen. Einerseits werden
die Guten emporgezogen, und nicht zum wenigsten durch das gläubige Gebet,
wie es die Gruppe lehrt, in welcher der Auferstehende am Rosenkranz empor-
gezogen wird — eine charakteristische Hindeutung auf die Rechtfertigung durch
den Glauben. Andrerseits aber wenden sich die Verworfenen in stürmender Ver¬
zweiflung aufwärts; auch in ihnen lebt das Bewußtsein, daß der Versöhnungs-
tod stattgefunden habe, daß er in erster Linie gerade den Sündern gelte, daß
es ein Widerspruch mit dem Wesen des Versöhnuugstodes sei, wenn dessen
Wohlthat nicht auch ihnen zu gute kommen solle. Nur so läßt sich der hier zum
erstenmale so mächtig auftretende und durch deu Zusammenhang nur dieses einzige


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[0603] iLornelius und das Weltgericht, Verhüllt sich; am unerwartetsten ist das erste Paar betroffen, durch dessen Schuld die Sünde in die Welt gekommen ist und das jetzt die „Wohlthat Christi," den Vcrsöhunngstod. durch welchen alle Schuld gesühnt sein sollte, aufgehoben und zunichte gemacht sieht. Michelangelo mußte das Gericht malen, aber er malte es so, daß der unerbittliche Richter im Widerspruch mit all den Zeugen der Milde und Barmherzigkeit, ja mit dem eignen Versvhnungstode steht. Gerade dieser erfüllte Michelangelo aufs tiefste; sein letztes, höchstes Ideal war Christus am Kreuze, das untrüglichste Zeugnis für die Erlösung. Springer schildert dies (a. a. O., S. 450) sehr schön: „In der göttlichen Liebe findet er jetzt allein das Heil, auf welches ihn die Nähe des Todes dringend hinweist. Den Glauben brennt er zu erlangen, der ihm durch eigne Schuld fast entschwunden, auf die Gnade setzt er seine einzige Hoffnung, denn: Durch eignes Wohl kann niemand dir sich weihen, Giebst du ihm nicht von deiner Gnade Kunde. Sein Auge wendet sich immer und immer wieder zu Christus am Kreuze, dessen Blut die verheißene Erlösung gebracht und die menschliche Schuld getilgt: Wie keine Marter deiner gleich erschien, So sei auch deine Grube ohne Masten." Und in einem andern Sonette sagt Michelangelo: Mein Herz erfreut nicht Meisteln mehr und Malen, Dase es sich nur zur Gottesliebe wende, Die ausgespannt am Kreuz die Hand uns reichet. War das der Gedankenkreis und die religiöse Stimmung, welche der seit 1534 eintretende Verkehr mit Vittoria Colonna bewirkte oder doch zu lebendigeren Bewußtsein brachte, so muß mit ihm das seit 153S begonnene große Werk, zumal bei einem Meister, der wie Michelangelo stets seine eigenste Empfindung in seinen Schöpfungen wiedergab, in innerm Zusammenhange stehen. Dieser aber ist der der Opposition gegen eine Anschauung, die zwar die Kirche lehrte, die aber einer tiefern und reinern christlichen, in der heiligen Schrift sehr wohl begründete,! Auffassung widerstreiten muß. Diesem Gefühle des Widerspruchs ist denn auch die Darstellung der Auferstehenden entsprungen. Einerseits werden die Guten emporgezogen, und nicht zum wenigsten durch das gläubige Gebet, wie es die Gruppe lehrt, in welcher der Auferstehende am Rosenkranz empor- gezogen wird — eine charakteristische Hindeutung auf die Rechtfertigung durch den Glauben. Andrerseits aber wenden sich die Verworfenen in stürmender Ver¬ zweiflung aufwärts; auch in ihnen lebt das Bewußtsein, daß der Versöhnungs- tod stattgefunden habe, daß er in erster Linie gerade den Sündern gelte, daß es ein Widerspruch mit dem Wesen des Versöhnuugstodes sei, wenn dessen Wohlthat nicht auch ihnen zu gute kommen solle. Nur so läßt sich der hier zum erstenmale so mächtig auftretende und durch deu Zusammenhang nur dieses einzige

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/603>, abgerufen am 27.09.2024.