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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die Parole.

Von Fabriken und Fabriksgcgenden, in welchen durch verständige Fürsorge für
das materielle Wohlergehen der Arbeiter und Pflege der edleren Anlagen in
ihnen den sozialdemokratischen Sendungen der Boden entzogen worden ist, ge¬
statten zu hoffen, daß die Sozialpolitik des Kanzlers auch im großen solche
Früchte tragen werde.

In der katholischen Bevölkerung zeigen sich bereits die Symptome einer
Bewegung, welche nicht ausbleiben konnte. So lange die Ausstreuungen, daß
unter dem protestantischen Kaisertum die Gewissensfreiheit unterdrückt werden
solle, sich auf Vorgänge berufen konnten, die ihnen wenigstens einen Schein
von Berechtigung gaben, war die Stellung der deutschen Patrioten katholischer
Konfession unleugbar schwierig, war es ihnen kaum möglich, sich zu einer un¬
befangenen Beurteilung des Konflikts zu bekennen. Gegenwärtig kann nur noch
böser Wille an dem guten Willen der Regierung zweifeln, und zu offenkundig
wird von den Zentrumsmünnern die angeblich bedrängte Kirche zu Parteizwecken
bedenklichster Natur ausgenutzt. Jene Richtung, welche beispielsweise Knoodt
vertritt, hat immer zahlreiche Anhänger gehabt, viel mehr, als mit ihm zum
Altkatholizismus übergetreten sind; und mit Freuden sehen wir, daß sie an¬
fangen, sich zu rühren. Sie wollen nicht aufhören, gute Katholiken zu sein,
jedoch auch gute Deutsche bleiben, und lehnen daher die Gemeinschaft mit Feinden
des Deutschtums überhaupt oder doch des deutschen Reiches ab. Weshalb sollte
denn auch gerade in Deutschland ein nationalgesinnter Klerus unmöglich sein,
während sonst überall die Geistlichkeit zu ihrem Volke steht, in Deutschösterreich
wenigstens teilweise? Mögen doch die ihren Namen mit so viel Würde tragende
"Germania" und Konsorten mit ungeschwächtem Eifer fortfahren, die Geschäfte
der Welsen, Polen und Franzosen zu besorgen, umso eher werden vielen die
Augen aufgehen.

Hoffentlich auch auf der äußersten Rechten. Die vorwiegende Betonung
des Wortes christlich in ihrem politischen Glaubensbekenntnis ist ja kein Hindernis
der Verständigung mit der nationalen Partei. Im Gegenteil stehen die Wider¬
strebenden dem Judentum viel näher. Ihr Gott ist der starke, eifrige Gott,
welcher ihnen befiehlt, keinen andern Glauben zu dulden, diejenigen am heftigsten
zu verfolgen, welche ihnen am nächsten stehen, und lieber mit jenen zu Pallirer,
die täglich die Gelegenheit vom Zaune brechen, um ihren giftigen Haß auf
Luther und Luthertum auszuspritzen. Auch in der Partei der Rechten muß
und wird sich eine Scheidung vollziehen. Sie nennt sich dentschkonservativ,
und es wird sich zeigen, wer in ihren Reihen es mit dieser Bezeichnung ernst
meint, und die Übrigbleibenden werden dann die in keinem Parlamente fehlende
Schattirung der Politiker vorstellen, welche nichts lernen und nichts vergessen
wollen. Oder vielmehr die eine Hälfte dieser Schattirung, die andre steht ihnen
auf dem andern äußersten Flügel gegenüber. Auch der Stolz des Fortschritts
lst es ja, daß er nie über das politische ABC-Buch der dreißiger Jahre hinaus¬
kommt, sol tiÄows Mg.wor orbis.


Die Parole.

Von Fabriken und Fabriksgcgenden, in welchen durch verständige Fürsorge für
das materielle Wohlergehen der Arbeiter und Pflege der edleren Anlagen in
ihnen den sozialdemokratischen Sendungen der Boden entzogen worden ist, ge¬
statten zu hoffen, daß die Sozialpolitik des Kanzlers auch im großen solche
Früchte tragen werde.

In der katholischen Bevölkerung zeigen sich bereits die Symptome einer
Bewegung, welche nicht ausbleiben konnte. So lange die Ausstreuungen, daß
unter dem protestantischen Kaisertum die Gewissensfreiheit unterdrückt werden
solle, sich auf Vorgänge berufen konnten, die ihnen wenigstens einen Schein
von Berechtigung gaben, war die Stellung der deutschen Patrioten katholischer
Konfession unleugbar schwierig, war es ihnen kaum möglich, sich zu einer un¬
befangenen Beurteilung des Konflikts zu bekennen. Gegenwärtig kann nur noch
böser Wille an dem guten Willen der Regierung zweifeln, und zu offenkundig
wird von den Zentrumsmünnern die angeblich bedrängte Kirche zu Parteizwecken
bedenklichster Natur ausgenutzt. Jene Richtung, welche beispielsweise Knoodt
vertritt, hat immer zahlreiche Anhänger gehabt, viel mehr, als mit ihm zum
Altkatholizismus übergetreten sind; und mit Freuden sehen wir, daß sie an¬
fangen, sich zu rühren. Sie wollen nicht aufhören, gute Katholiken zu sein,
jedoch auch gute Deutsche bleiben, und lehnen daher die Gemeinschaft mit Feinden
des Deutschtums überhaupt oder doch des deutschen Reiches ab. Weshalb sollte
denn auch gerade in Deutschland ein nationalgesinnter Klerus unmöglich sein,
während sonst überall die Geistlichkeit zu ihrem Volke steht, in Deutschösterreich
wenigstens teilweise? Mögen doch die ihren Namen mit so viel Würde tragende
„Germania" und Konsorten mit ungeschwächtem Eifer fortfahren, die Geschäfte
der Welsen, Polen und Franzosen zu besorgen, umso eher werden vielen die
Augen aufgehen.

Hoffentlich auch auf der äußersten Rechten. Die vorwiegende Betonung
des Wortes christlich in ihrem politischen Glaubensbekenntnis ist ja kein Hindernis
der Verständigung mit der nationalen Partei. Im Gegenteil stehen die Wider¬
strebenden dem Judentum viel näher. Ihr Gott ist der starke, eifrige Gott,
welcher ihnen befiehlt, keinen andern Glauben zu dulden, diejenigen am heftigsten
zu verfolgen, welche ihnen am nächsten stehen, und lieber mit jenen zu Pallirer,
die täglich die Gelegenheit vom Zaune brechen, um ihren giftigen Haß auf
Luther und Luthertum auszuspritzen. Auch in der Partei der Rechten muß
und wird sich eine Scheidung vollziehen. Sie nennt sich dentschkonservativ,
und es wird sich zeigen, wer in ihren Reihen es mit dieser Bezeichnung ernst
meint, und die Übrigbleibenden werden dann die in keinem Parlamente fehlende
Schattirung der Politiker vorstellen, welche nichts lernen und nichts vergessen
wollen. Oder vielmehr die eine Hälfte dieser Schattirung, die andre steht ihnen
auf dem andern äußersten Flügel gegenüber. Auch der Stolz des Fortschritts
lst es ja, daß er nie über das politische ABC-Buch der dreißiger Jahre hinaus¬
kommt, sol tiÄows Mg.wor orbis.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/595>, abgerufen am 28.09.2024.