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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die große Runstausstellung in Berlin.

einer Zeusbüste gelegt hat und die Linke dozirend vorstreckt, als wollte er seiner
erlauchten Zuhörerschaft die Schönheiten der Antike vordemonstrireu, sieht man
Tieck, Jean Paul, Fichte, Hegel, H. v, Kleist, Voß, Schlosser, Oken. Cornelius,
Pestasozzi, Klopstock und Blumenbach, zur Linken Goethes die beiden Humboldt,
Schleiermacher, Gauß, A. W. von Schlegel, Gleim, Schiller, Klinger, Wieland,
Niebuhr, Herder und Jffland. Wir verkennen die Schwierigkeiten keineswegs,
welche die Wahl richtiger Männer dem Künstler verursacht hat. Trotzdem dürfen
wir billig fragen: Wie kommen Gleim und Klinger in diese Gesellschaft, in
welcher ein Winckelmann fehlt, zumal da doch der Künstler ausdrücklich auf
die neue Renaissance des klassischen Altertums hingewiesen hat, welche eine der
Hauptbedingungen der Weimarischen Glanzepoche gewesen ist? Und ebensowenig
Hütte Lessing fehlen dürfen. Mur kann freilich einwenden, daß weder er noch
Winckelmann zu dein Weimarischen Kreise gehört haben. Aber waren Hegel,
Schleiermacher, Alexander und Wilhelm von Humboldt, Niebuhr nicht ebenso¬
wenig Mitglieder dieses Kreises? Zudem hatte sich der Künstler ans den frühern
Friesen bereits gewisse, durchaus erlaubte Freiheiten genommen, indem er z. B.
Hütten zu Luther nach Wittenberg ziehen ließ. Indessen verschwinden die sach¬
lichen Einwendungen, die wir gegen die Wahl der dargestellten Personen zu
machen haben, hinter denjenigen, welche der künstlerischen Gestaltung gelten.
In den beiden dem Mittelalter und der Renaissance gewidmeten Friesen war
die Komposition von dramatischer Bewegung und von einheitlicher Geschlossen¬
heit. Das symbolische war mit dem Realistisch-Gegenständlichen so glücklich
verschmolzen, daß der frostige Gedanke nirgends die Oberhand über die sinn¬
liche Erscheinung gewann. Der letzte Fries wirkt dagegen nüchtern und kalt.
Wir haben nichts weiter vor uus als eine Galerie mehr oder minder gelungener
Pvrträtfiguren, deren geistige Bedeutung dnrch die gänzlich unmalerische Tracht
erheblich abgeschwächt wird. Mau würde vielleicht den Eindruck gewinnen, als
wäre hier eine interessante Thecgesellschaft beisammen, vor welcher ein besonders
erleuchteter Geist ein Gedicht deklamirt, wenn nicht am Fußgestell der Zeus¬
büste eine antike Muse mit ihrer Leier süße, welche mit schwärmerischer Be¬
geisterung zu Goethe emporblickt. Die Einfügung dieses allegorischen Wesens
ist ein bedauerlicher Mißgriff. Kuille Hütte hier nicht dem abschüssigen Wege,
den Delaroche mit seinem Hemieycle und Ingres in seiner Apotheose Homers
gewandelt sind, sondern dem ewigen Beispiele folgen sollen, welches Naffael für
solche Versammlungen berühmter Männer in seiner Schule von Athen aufge¬
stellt hat. Wir müssen dabei freilich die Frage offen lassen, ob es nicht noch
ein größerer Mißgriff war, von dem Künstler die Darstellung eines solchen
Themas zu verlangen! Selbst wenn sie ihm besser gelungen wäre, als es in
der That der Fall ist, würde doch nur ein müßiges Spiel zustande gekommen
sein. Welcher Bildungsstufe ist mit einer Zusammenstellung berühmter Männer
gedient, deren Brustbilder und Büsten sich jedermann für weniges Geld ver-


Grenzbvtm III. 1884. 72
Die große Runstausstellung in Berlin.

einer Zeusbüste gelegt hat und die Linke dozirend vorstreckt, als wollte er seiner
erlauchten Zuhörerschaft die Schönheiten der Antike vordemonstrireu, sieht man
Tieck, Jean Paul, Fichte, Hegel, H. v, Kleist, Voß, Schlosser, Oken. Cornelius,
Pestasozzi, Klopstock und Blumenbach, zur Linken Goethes die beiden Humboldt,
Schleiermacher, Gauß, A. W. von Schlegel, Gleim, Schiller, Klinger, Wieland,
Niebuhr, Herder und Jffland. Wir verkennen die Schwierigkeiten keineswegs,
welche die Wahl richtiger Männer dem Künstler verursacht hat. Trotzdem dürfen
wir billig fragen: Wie kommen Gleim und Klinger in diese Gesellschaft, in
welcher ein Winckelmann fehlt, zumal da doch der Künstler ausdrücklich auf
die neue Renaissance des klassischen Altertums hingewiesen hat, welche eine der
Hauptbedingungen der Weimarischen Glanzepoche gewesen ist? Und ebensowenig
Hütte Lessing fehlen dürfen. Mur kann freilich einwenden, daß weder er noch
Winckelmann zu dein Weimarischen Kreise gehört haben. Aber waren Hegel,
Schleiermacher, Alexander und Wilhelm von Humboldt, Niebuhr nicht ebenso¬
wenig Mitglieder dieses Kreises? Zudem hatte sich der Künstler ans den frühern
Friesen bereits gewisse, durchaus erlaubte Freiheiten genommen, indem er z. B.
Hütten zu Luther nach Wittenberg ziehen ließ. Indessen verschwinden die sach¬
lichen Einwendungen, die wir gegen die Wahl der dargestellten Personen zu
machen haben, hinter denjenigen, welche der künstlerischen Gestaltung gelten.
In den beiden dem Mittelalter und der Renaissance gewidmeten Friesen war
die Komposition von dramatischer Bewegung und von einheitlicher Geschlossen¬
heit. Das symbolische war mit dem Realistisch-Gegenständlichen so glücklich
verschmolzen, daß der frostige Gedanke nirgends die Oberhand über die sinn¬
liche Erscheinung gewann. Der letzte Fries wirkt dagegen nüchtern und kalt.
Wir haben nichts weiter vor uus als eine Galerie mehr oder minder gelungener
Pvrträtfiguren, deren geistige Bedeutung dnrch die gänzlich unmalerische Tracht
erheblich abgeschwächt wird. Mau würde vielleicht den Eindruck gewinnen, als
wäre hier eine interessante Thecgesellschaft beisammen, vor welcher ein besonders
erleuchteter Geist ein Gedicht deklamirt, wenn nicht am Fußgestell der Zeus¬
büste eine antike Muse mit ihrer Leier süße, welche mit schwärmerischer Be¬
geisterung zu Goethe emporblickt. Die Einfügung dieses allegorischen Wesens
ist ein bedauerlicher Mißgriff. Kuille Hütte hier nicht dem abschüssigen Wege,
den Delaroche mit seinem Hemieycle und Ingres in seiner Apotheose Homers
gewandelt sind, sondern dem ewigen Beispiele folgen sollen, welches Naffael für
solche Versammlungen berühmter Männer in seiner Schule von Athen aufge¬
stellt hat. Wir müssen dabei freilich die Frage offen lassen, ob es nicht noch
ein größerer Mißgriff war, von dem Künstler die Darstellung eines solchen
Themas zu verlangen! Selbst wenn sie ihm besser gelungen wäre, als es in
der That der Fall ist, würde doch nur ein müßiges Spiel zustande gekommen
sein. Welcher Bildungsstufe ist mit einer Zusammenstellung berühmter Männer
gedient, deren Brustbilder und Büsten sich jedermann für weniges Geld ver-


Grenzbvtm III. 1884. 72
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[0577] Die große Runstausstellung in Berlin. einer Zeusbüste gelegt hat und die Linke dozirend vorstreckt, als wollte er seiner erlauchten Zuhörerschaft die Schönheiten der Antike vordemonstrireu, sieht man Tieck, Jean Paul, Fichte, Hegel, H. v, Kleist, Voß, Schlosser, Oken. Cornelius, Pestasozzi, Klopstock und Blumenbach, zur Linken Goethes die beiden Humboldt, Schleiermacher, Gauß, A. W. von Schlegel, Gleim, Schiller, Klinger, Wieland, Niebuhr, Herder und Jffland. Wir verkennen die Schwierigkeiten keineswegs, welche die Wahl richtiger Männer dem Künstler verursacht hat. Trotzdem dürfen wir billig fragen: Wie kommen Gleim und Klinger in diese Gesellschaft, in welcher ein Winckelmann fehlt, zumal da doch der Künstler ausdrücklich auf die neue Renaissance des klassischen Altertums hingewiesen hat, welche eine der Hauptbedingungen der Weimarischen Glanzepoche gewesen ist? Und ebensowenig Hütte Lessing fehlen dürfen. Mur kann freilich einwenden, daß weder er noch Winckelmann zu dein Weimarischen Kreise gehört haben. Aber waren Hegel, Schleiermacher, Alexander und Wilhelm von Humboldt, Niebuhr nicht ebenso¬ wenig Mitglieder dieses Kreises? Zudem hatte sich der Künstler ans den frühern Friesen bereits gewisse, durchaus erlaubte Freiheiten genommen, indem er z. B. Hütten zu Luther nach Wittenberg ziehen ließ. Indessen verschwinden die sach¬ lichen Einwendungen, die wir gegen die Wahl der dargestellten Personen zu machen haben, hinter denjenigen, welche der künstlerischen Gestaltung gelten. In den beiden dem Mittelalter und der Renaissance gewidmeten Friesen war die Komposition von dramatischer Bewegung und von einheitlicher Geschlossen¬ heit. Das symbolische war mit dem Realistisch-Gegenständlichen so glücklich verschmolzen, daß der frostige Gedanke nirgends die Oberhand über die sinn¬ liche Erscheinung gewann. Der letzte Fries wirkt dagegen nüchtern und kalt. Wir haben nichts weiter vor uus als eine Galerie mehr oder minder gelungener Pvrträtfiguren, deren geistige Bedeutung dnrch die gänzlich unmalerische Tracht erheblich abgeschwächt wird. Mau würde vielleicht den Eindruck gewinnen, als wäre hier eine interessante Thecgesellschaft beisammen, vor welcher ein besonders erleuchteter Geist ein Gedicht deklamirt, wenn nicht am Fußgestell der Zeus¬ büste eine antike Muse mit ihrer Leier süße, welche mit schwärmerischer Be¬ geisterung zu Goethe emporblickt. Die Einfügung dieses allegorischen Wesens ist ein bedauerlicher Mißgriff. Kuille Hütte hier nicht dem abschüssigen Wege, den Delaroche mit seinem Hemieycle und Ingres in seiner Apotheose Homers gewandelt sind, sondern dem ewigen Beispiele folgen sollen, welches Naffael für solche Versammlungen berühmter Männer in seiner Schule von Athen aufge¬ stellt hat. Wir müssen dabei freilich die Frage offen lassen, ob es nicht noch ein größerer Mißgriff war, von dem Künstler die Darstellung eines solchen Themas zu verlangen! Selbst wenn sie ihm besser gelungen wäre, als es in der That der Fall ist, würde doch nur ein müßiges Spiel zustande gekommen sein. Welcher Bildungsstufe ist mit einer Zusammenstellung berühmter Männer gedient, deren Brustbilder und Büsten sich jedermann für weniges Geld ver- Grenzbvtm III. 1884. 72

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/577>, abgerufen am 27.09.2024.