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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die große Kunstausstellung in Berlin.

als Porträtmaler von hervorragender Bedeutung ausgewiesen haben, von
F. Keller in Karlsruhe und F. A. Kaulbach in München. Sie sind auch auf
unsrer Ausstellung durch zwei Dameubildnisse vertreten, deren malerische Voll¬
endung mit der seinen Beseelung der Gesichtszüge gleichen Schritt hält. Ihrer
hohen technischen Virtuosität wird auch in Zukunft ab und zu ein glücklicher
Wurf gelingen. Damit sie sich aber längere Zeit hindurch auf gleicher Höhe
erhalten können, dazu fehlt ihnen die wesentlichste Bedingung der Porträtkunst,
das Leben in einer Großstadt. Wie unerläßlich diese Bedingung ist, hat uns
früher das Beispiel van Dhcks, der sich doch erst in London zu vollster Kraft
entfalten konnte, haben uns in unsern Tagen H. von Angeli, der auch erst in
Berlin und London das richtige Feld seiner Thätigkeit fand, und Lenbach ge¬
lehrt. Und am Ende kann man von einer wirklich lebenskräftigen und weit¬
verzweigten Porträtmalerei in Deutschland doch nur in bezug auf Berlin reden,
welches schon lange vor seiner Erhebung zur Reichshauptstadt jene Bedingungen
dargeboten hat, vielleicht weil der Hof und die Gesellschaft in bestündigem, gegen¬
seitig anregendem Zusammenhang blieben.

Daß auch im Zeitalter der Photographie die Porträtmalerei ihre alte
kulturgeschichtliche Bedeutung für die Nachwelt behalten wird, bedarf keines um¬
ständlichen Beweises. Man braucht nur auf die holländische Bildnismalerei
hinzuweisen, welche sich trotz der umfassenden Übung des Kupferstichs für Por¬
trätzwecke so lebenskräftig erhielt, daß man aus ihr eine Geschichte des Landes
konstruiren könnte, wenn es keine Annalen und Urkunden gäbe. Selbst die
beste Photographie weiß aus dem Gesichte des Dargestellten nicht die Quint¬
essenz seines Geistes und Wesens herauszuziehen, und am Ende vergilbt und
schwindet sie nach wenigen Dezennien, gleich wie heute die Dciguerreotypien aus
den dreißiger und vierziger Jahren schon bis zur Unkenntlichkeit erloschen sind.

Kraus, der im vorigen Jahre in Berlin wie in München die höchsten
Ehren davongetragen, hat zwar die diesjährige Ausstellung beschickt, leider aber
mit zwei Genrebildern, die, offenbar auf Bestellung eines Kunsthändlers gemalt,
des berühmten Namens unwürdig sind. "Der Witwe Trost" sowohl -- ein
lebhafter Knabe, der auf einem Wiegenpserde reitet -- als die Heimkehr des
von schmissen arg entstellten Studiosus in das mütterliche Haus sind ebenso
lahm in der Erfindung wie in der koloristischen Durchführung. Ein Meister,
welcher mit vollkommener Virtuosität über alle Reize des Helldunkels verfügt,
wie Kraus, sollte sich so trockene und erdfahle Malereien nicht zu Schulden
kommen lassen. Auch Bokelmcmn hat mit seiner Spielbank in Monte Carlo
keinen Schritt vorwärts gethan und sich streng genommen nicht einmal auf
derjenigen Höhe erhalten, an welche er uns gewöhnt hat. Wir blicken in einen
wie raffinirtem Luxus ausgestatteten, von Gold und Marmor strotzenden Saal,
dessen Mitte zwei Tafeln aufgestellt sind, um welche sich eine große Zahl
. von elegant gekleideten Herren und Damen stehend oder sitzend herumdrängt.


Die große Kunstausstellung in Berlin.

als Porträtmaler von hervorragender Bedeutung ausgewiesen haben, von
F. Keller in Karlsruhe und F. A. Kaulbach in München. Sie sind auch auf
unsrer Ausstellung durch zwei Dameubildnisse vertreten, deren malerische Voll¬
endung mit der seinen Beseelung der Gesichtszüge gleichen Schritt hält. Ihrer
hohen technischen Virtuosität wird auch in Zukunft ab und zu ein glücklicher
Wurf gelingen. Damit sie sich aber längere Zeit hindurch auf gleicher Höhe
erhalten können, dazu fehlt ihnen die wesentlichste Bedingung der Porträtkunst,
das Leben in einer Großstadt. Wie unerläßlich diese Bedingung ist, hat uns
früher das Beispiel van Dhcks, der sich doch erst in London zu vollster Kraft
entfalten konnte, haben uns in unsern Tagen H. von Angeli, der auch erst in
Berlin und London das richtige Feld seiner Thätigkeit fand, und Lenbach ge¬
lehrt. Und am Ende kann man von einer wirklich lebenskräftigen und weit¬
verzweigten Porträtmalerei in Deutschland doch nur in bezug auf Berlin reden,
welches schon lange vor seiner Erhebung zur Reichshauptstadt jene Bedingungen
dargeboten hat, vielleicht weil der Hof und die Gesellschaft in bestündigem, gegen¬
seitig anregendem Zusammenhang blieben.

Daß auch im Zeitalter der Photographie die Porträtmalerei ihre alte
kulturgeschichtliche Bedeutung für die Nachwelt behalten wird, bedarf keines um¬
ständlichen Beweises. Man braucht nur auf die holländische Bildnismalerei
hinzuweisen, welche sich trotz der umfassenden Übung des Kupferstichs für Por¬
trätzwecke so lebenskräftig erhielt, daß man aus ihr eine Geschichte des Landes
konstruiren könnte, wenn es keine Annalen und Urkunden gäbe. Selbst die
beste Photographie weiß aus dem Gesichte des Dargestellten nicht die Quint¬
essenz seines Geistes und Wesens herauszuziehen, und am Ende vergilbt und
schwindet sie nach wenigen Dezennien, gleich wie heute die Dciguerreotypien aus
den dreißiger und vierziger Jahren schon bis zur Unkenntlichkeit erloschen sind.

Kraus, der im vorigen Jahre in Berlin wie in München die höchsten
Ehren davongetragen, hat zwar die diesjährige Ausstellung beschickt, leider aber
mit zwei Genrebildern, die, offenbar auf Bestellung eines Kunsthändlers gemalt,
des berühmten Namens unwürdig sind. „Der Witwe Trost" sowohl — ein
lebhafter Knabe, der auf einem Wiegenpserde reitet — als die Heimkehr des
von schmissen arg entstellten Studiosus in das mütterliche Haus sind ebenso
lahm in der Erfindung wie in der koloristischen Durchführung. Ein Meister,
welcher mit vollkommener Virtuosität über alle Reize des Helldunkels verfügt,
wie Kraus, sollte sich so trockene und erdfahle Malereien nicht zu Schulden
kommen lassen. Auch Bokelmcmn hat mit seiner Spielbank in Monte Carlo
keinen Schritt vorwärts gethan und sich streng genommen nicht einmal auf
derjenigen Höhe erhalten, an welche er uns gewöhnt hat. Wir blicken in einen
wie raffinirtem Luxus ausgestatteten, von Gold und Marmor strotzenden Saal,
dessen Mitte zwei Tafeln aufgestellt sind, um welche sich eine große Zahl
. von elegant gekleideten Herren und Damen stehend oder sitzend herumdrängt.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/571>, abgerufen am 27.09.2024.