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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Englische Politik und deutsche Interessen.

Bei der erstens Unterredung, die Bismarck mit Favre (in Häute Maison)
hatte, spielte diakritische Diplomatie die Vermittlerrolle, und am 20. Januar 1371
nahm das Londoner Kabinet sich Frankreichs von neuem an, indem es den
deutschen^Kanzler durch Odo Russell fragen ließ, ob er zu Friedensverhandlungen
geneigt sei, und um Mitteilung seiner Bedingungen bat. Später ^während der
Verhandlungen mit Thiers, muß Bismarck Nachrichten über bedenkliche Absichten
der Neutralen erhalten haben, und es wird erlaubt sein, anzunehmen, daß
England hierbei vorzugsweise oder allein in Frage stand. Moritz Busch berichtet
hierüber (Unser Reichskanzler, Bd. 2, S. 97 ff.): "Der Kanzler war nach seinen
damaligen Äußerungen gegen seine Umgebung sehr in Sorge, daß jede Ver¬
zögerung des Abschlusses ^des Präliminarfriedens^ und namentlich eine etwaige
Verweigerung der Ratifikation durch die Nationalversammlung in Bordeaux den
neutralen Mächten Anlaß zur^Einmischung in die Friedensverhandlungen bieten
und Deutschland entweder um^die Früchte seiner Siege bringen oder zu neuen
Kriegen nötigen? könne. Er sagte einmal nach Unterzeichnung der Präliminarien:
"Ich bin, bei jeder Post in der Sorge gewesen, eine Eröffnung irgendeiner der
neutralen Mächte zu erhalten, ähnlich wie die in Horsitz 1866 von Napoleon;
es braucht nur eine davon der Katze die Schelle anzuhängen, und wir haben
sie alle auf dem Halse." Als dann Thiers erklärte, wenn er weder Metz noch
Belfort erhalte und den Franzosen wiederbringe, so könne er die Verantwortung
nicht tragen, sondern müsse nach Bordeaux zurück, um die Entschließung der
Volksvertretung herbeizuführen, holte Bismarck von neuem die Ansicht der
militärischen Autoritäten ein, und da diese auf Belfort im Vergleiche mit Metz
nur? geringen Wert^ legten, so verzichtete er auf Belfort und erlangte dadurch
den Abschluß. Nach demselben fühlte er sich freier von der Befürchtung vor
Einmischung der übrigen Großmächte -- einer Befürchtung, unter deren Eindruck
er schon über die lange Dauer der Belagerung von Paris wiederholt seine
Unruhe und Besorgnis zu erkennen gegeben hatte. An Kriegsentschädigung
forderte der Kanzler ursprunglich acht Milliarden, während Thiers sich nur zu
zweien verstehen wollte. Die Einigung erfolgte bekanntlich anf fünf Milliarden,
nachdem die von^Frankreich angerufene englische Vermittlung erfolglos geblieben
war. Der Kanzler war für Odo Russell, der von seinem Kabinet beauftragt
war, Vorstellungen zu gunsten Frankreichs zu machen, solange unsichtbar, bis
Thiers in das deutsche Verlangen gewilligt hatte."

Als der letzte Krieg zwischen Rußland und der Pforte auszubrechen drohte,
bewahrte Deutschland im Gegensatz zu dem Verhalten Englands im Sommer
und Herbst 1870 eine strenge und gewissenhafte Neutralität, und der Kanzler
sprach sich am 5. Dezember 1876 im Reichstage über seine Ansichten folgender¬
maßen aus: "Jedenfalls wird unser Bestreben dahin gerichtet sein, in erster
Linie, daß wir uns den Frieden und die Freundschaft mit unsern bisherigen
Freunden bewahren; in zweiter Linie werden wir, soweit es durch freundschaft-'


Englische Politik und deutsche Interessen.

Bei der erstens Unterredung, die Bismarck mit Favre (in Häute Maison)
hatte, spielte diakritische Diplomatie die Vermittlerrolle, und am 20. Januar 1371
nahm das Londoner Kabinet sich Frankreichs von neuem an, indem es den
deutschen^Kanzler durch Odo Russell fragen ließ, ob er zu Friedensverhandlungen
geneigt sei, und um Mitteilung seiner Bedingungen bat. Später ^während der
Verhandlungen mit Thiers, muß Bismarck Nachrichten über bedenkliche Absichten
der Neutralen erhalten haben, und es wird erlaubt sein, anzunehmen, daß
England hierbei vorzugsweise oder allein in Frage stand. Moritz Busch berichtet
hierüber (Unser Reichskanzler, Bd. 2, S. 97 ff.): „Der Kanzler war nach seinen
damaligen Äußerungen gegen seine Umgebung sehr in Sorge, daß jede Ver¬
zögerung des Abschlusses ^des Präliminarfriedens^ und namentlich eine etwaige
Verweigerung der Ratifikation durch die Nationalversammlung in Bordeaux den
neutralen Mächten Anlaß zur^Einmischung in die Friedensverhandlungen bieten
und Deutschland entweder um^die Früchte seiner Siege bringen oder zu neuen
Kriegen nötigen? könne. Er sagte einmal nach Unterzeichnung der Präliminarien:
»Ich bin, bei jeder Post in der Sorge gewesen, eine Eröffnung irgendeiner der
neutralen Mächte zu erhalten, ähnlich wie die in Horsitz 1866 von Napoleon;
es braucht nur eine davon der Katze die Schelle anzuhängen, und wir haben
sie alle auf dem Halse.« Als dann Thiers erklärte, wenn er weder Metz noch
Belfort erhalte und den Franzosen wiederbringe, so könne er die Verantwortung
nicht tragen, sondern müsse nach Bordeaux zurück, um die Entschließung der
Volksvertretung herbeizuführen, holte Bismarck von neuem die Ansicht der
militärischen Autoritäten ein, und da diese auf Belfort im Vergleiche mit Metz
nur? geringen Wert^ legten, so verzichtete er auf Belfort und erlangte dadurch
den Abschluß. Nach demselben fühlte er sich freier von der Befürchtung vor
Einmischung der übrigen Großmächte — einer Befürchtung, unter deren Eindruck
er schon über die lange Dauer der Belagerung von Paris wiederholt seine
Unruhe und Besorgnis zu erkennen gegeben hatte. An Kriegsentschädigung
forderte der Kanzler ursprunglich acht Milliarden, während Thiers sich nur zu
zweien verstehen wollte. Die Einigung erfolgte bekanntlich anf fünf Milliarden,
nachdem die von^Frankreich angerufene englische Vermittlung erfolglos geblieben
war. Der Kanzler war für Odo Russell, der von seinem Kabinet beauftragt
war, Vorstellungen zu gunsten Frankreichs zu machen, solange unsichtbar, bis
Thiers in das deutsche Verlangen gewilligt hatte."

Als der letzte Krieg zwischen Rußland und der Pforte auszubrechen drohte,
bewahrte Deutschland im Gegensatz zu dem Verhalten Englands im Sommer
und Herbst 1870 eine strenge und gewissenhafte Neutralität, und der Kanzler
sprach sich am 5. Dezember 1876 im Reichstage über seine Ansichten folgender¬
maßen aus: „Jedenfalls wird unser Bestreben dahin gerichtet sein, in erster
Linie, daß wir uns den Frieden und die Freundschaft mit unsern bisherigen
Freunden bewahren; in zweiter Linie werden wir, soweit es durch freundschaft-'


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[0556] Englische Politik und deutsche Interessen. Bei der erstens Unterredung, die Bismarck mit Favre (in Häute Maison) hatte, spielte diakritische Diplomatie die Vermittlerrolle, und am 20. Januar 1371 nahm das Londoner Kabinet sich Frankreichs von neuem an, indem es den deutschen^Kanzler durch Odo Russell fragen ließ, ob er zu Friedensverhandlungen geneigt sei, und um Mitteilung seiner Bedingungen bat. Später ^während der Verhandlungen mit Thiers, muß Bismarck Nachrichten über bedenkliche Absichten der Neutralen erhalten haben, und es wird erlaubt sein, anzunehmen, daß England hierbei vorzugsweise oder allein in Frage stand. Moritz Busch berichtet hierüber (Unser Reichskanzler, Bd. 2, S. 97 ff.): „Der Kanzler war nach seinen damaligen Äußerungen gegen seine Umgebung sehr in Sorge, daß jede Ver¬ zögerung des Abschlusses ^des Präliminarfriedens^ und namentlich eine etwaige Verweigerung der Ratifikation durch die Nationalversammlung in Bordeaux den neutralen Mächten Anlaß zur^Einmischung in die Friedensverhandlungen bieten und Deutschland entweder um^die Früchte seiner Siege bringen oder zu neuen Kriegen nötigen? könne. Er sagte einmal nach Unterzeichnung der Präliminarien: »Ich bin, bei jeder Post in der Sorge gewesen, eine Eröffnung irgendeiner der neutralen Mächte zu erhalten, ähnlich wie die in Horsitz 1866 von Napoleon; es braucht nur eine davon der Katze die Schelle anzuhängen, und wir haben sie alle auf dem Halse.« Als dann Thiers erklärte, wenn er weder Metz noch Belfort erhalte und den Franzosen wiederbringe, so könne er die Verantwortung nicht tragen, sondern müsse nach Bordeaux zurück, um die Entschließung der Volksvertretung herbeizuführen, holte Bismarck von neuem die Ansicht der militärischen Autoritäten ein, und da diese auf Belfort im Vergleiche mit Metz nur? geringen Wert^ legten, so verzichtete er auf Belfort und erlangte dadurch den Abschluß. Nach demselben fühlte er sich freier von der Befürchtung vor Einmischung der übrigen Großmächte — einer Befürchtung, unter deren Eindruck er schon über die lange Dauer der Belagerung von Paris wiederholt seine Unruhe und Besorgnis zu erkennen gegeben hatte. An Kriegsentschädigung forderte der Kanzler ursprunglich acht Milliarden, während Thiers sich nur zu zweien verstehen wollte. Die Einigung erfolgte bekanntlich anf fünf Milliarden, nachdem die von^Frankreich angerufene englische Vermittlung erfolglos geblieben war. Der Kanzler war für Odo Russell, der von seinem Kabinet beauftragt war, Vorstellungen zu gunsten Frankreichs zu machen, solange unsichtbar, bis Thiers in das deutsche Verlangen gewilligt hatte." Als der letzte Krieg zwischen Rußland und der Pforte auszubrechen drohte, bewahrte Deutschland im Gegensatz zu dem Verhalten Englands im Sommer und Herbst 1870 eine strenge und gewissenhafte Neutralität, und der Kanzler sprach sich am 5. Dezember 1876 im Reichstage über seine Ansichten folgender¬ maßen aus: „Jedenfalls wird unser Bestreben dahin gerichtet sein, in erster Linie, daß wir uns den Frieden und die Freundschaft mit unsern bisherigen Freunden bewahren; in zweiter Linie werden wir, soweit es durch freundschaft-'

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/556>, abgerufen am 27.09.2024.