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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Englische Politik und deutsche Interessen.

habe in England große Unzufriedenheit erregt. Preußen ergreife damit ohne
jeden Grund Partei in dem "Kriege gegen Polen." Der Gesandte solle sich
Abschrift des Vertrags erbitten. Buchanan bekam eine abschlägige Antwort,
und als er sich gegen Bismarck verwunderte, daß, während Österreich sich ge¬
neigt zeige, in der Angelegenheit mit England und Frankreich zusammenzuwirken,
Preußen sich als Verbündeter Rußlands der Unterdrückung der Polen anschließe,
und daß es doch "für Preußen besser scheine, etwas von den Sympathien
Europas, die sich Osterreich zuwendeten, für sich zu erwerben," wurde ihm er¬
wiedert, es sei Preußen nicht möglich, von seiner seit Jahren befolgten Politik
abzugehen, und Rußland, welches in dieser Zeit vor den unausbleiblichen
Folgen der Ermunterung nationaler Bestrebungen in Polen (durch Wielopolski)
gewarnt habe, jetzt das Petersburger Kabinet aufzufordern, den Polen die für
dieselben beantragte Autonomie zu gewähren.

Kehren wir zur Schleswig-holsteinischen Frage zurück. Am 29. September
richtete Russell an den deutschen Bund eine Depesche, in welcher er von der
Exekution gegen Dänemark als von einer Maßregel abmahnte, gegen welche
England sich nicht gleichgiltig verhalten könne. "Ihrer Majestät Regierung
würde, sagte er, diese militärische Okkupation nicht als eine rechtmäßige Aus¬
übung der Macht des deutscheu Bundes anerkennen, noch zulassen, daß sie mit
dem Namen einer eigentlichen Bundesexekution bezeichnet würde. Ihrer Majestät
Regierung ersucht daher die deutsche Bundesversammlung sehr ernstlich, einzu¬
halten und die Streitfrage zwischen Deutschland und Dänemark der Vermittlung
andrer Mächte zu unterwerfen, die der Streit nicht berührt, die aber bei der
Erhaltung des europäischen Friedens und der Unabhängigkeit Dänemarks tief
interessirt sind."

Die Exekution wurde dadurch uicht aufgehalten, und bald nahmen die
Dinge eine Wendung, die in London noch weniger gefiel. Bismarck bemerkte
dem von Russell nach Berlin gesandten Lord Wodehouse, die neue dänische Ver¬
fassung, welche Schleswig mit dem Königreiche Dänemark vereinigt habe, müsse
vor dem 1. Januar für nicht anwendbar auf dieses Herzogtum erklärt sein,
widrigenfalls hielten sich die deutschen Großmächte für nicht mehr an das Lon¬
doner Protokoll gebunden. Russell vernahm das "mit Erstaunen" und meinte,
Österreich und Preußen hätten sich durch Unterzeichnung des Protokolls nicht
bloß Dänemark, sondern auch den andern Vertragsmächten gegenüber verpflichtet.
Eine Nichterfüllung von feiten Dänemarks könne einen Grund zur Beschwerde
abgeben, die deutschen Mächte aber nicht von dem Vertrage befreien. Die eng¬
lische Regierung betrachte eine Lossagung derselben von letzterem als unver¬
träglich mit dem guten Glanben unter den Mächten Europas. Bismarck gab
diese Auffassung der Sache nicht zu, sondern erklärte, Preußen und Österreich
hätten sich 1852 nur Dänemark gegenüber verpflichtet und würden befugt sein,
diesem den Krieg zu erklären, wenn es seine Zusage nicht hielte, der Krieg aber /


Englische Politik und deutsche Interessen.

habe in England große Unzufriedenheit erregt. Preußen ergreife damit ohne
jeden Grund Partei in dem „Kriege gegen Polen." Der Gesandte solle sich
Abschrift des Vertrags erbitten. Buchanan bekam eine abschlägige Antwort,
und als er sich gegen Bismarck verwunderte, daß, während Österreich sich ge¬
neigt zeige, in der Angelegenheit mit England und Frankreich zusammenzuwirken,
Preußen sich als Verbündeter Rußlands der Unterdrückung der Polen anschließe,
und daß es doch „für Preußen besser scheine, etwas von den Sympathien
Europas, die sich Osterreich zuwendeten, für sich zu erwerben," wurde ihm er¬
wiedert, es sei Preußen nicht möglich, von seiner seit Jahren befolgten Politik
abzugehen, und Rußland, welches in dieser Zeit vor den unausbleiblichen
Folgen der Ermunterung nationaler Bestrebungen in Polen (durch Wielopolski)
gewarnt habe, jetzt das Petersburger Kabinet aufzufordern, den Polen die für
dieselben beantragte Autonomie zu gewähren.

Kehren wir zur Schleswig-holsteinischen Frage zurück. Am 29. September
richtete Russell an den deutschen Bund eine Depesche, in welcher er von der
Exekution gegen Dänemark als von einer Maßregel abmahnte, gegen welche
England sich nicht gleichgiltig verhalten könne. „Ihrer Majestät Regierung
würde, sagte er, diese militärische Okkupation nicht als eine rechtmäßige Aus¬
übung der Macht des deutscheu Bundes anerkennen, noch zulassen, daß sie mit
dem Namen einer eigentlichen Bundesexekution bezeichnet würde. Ihrer Majestät
Regierung ersucht daher die deutsche Bundesversammlung sehr ernstlich, einzu¬
halten und die Streitfrage zwischen Deutschland und Dänemark der Vermittlung
andrer Mächte zu unterwerfen, die der Streit nicht berührt, die aber bei der
Erhaltung des europäischen Friedens und der Unabhängigkeit Dänemarks tief
interessirt sind."

Die Exekution wurde dadurch uicht aufgehalten, und bald nahmen die
Dinge eine Wendung, die in London noch weniger gefiel. Bismarck bemerkte
dem von Russell nach Berlin gesandten Lord Wodehouse, die neue dänische Ver¬
fassung, welche Schleswig mit dem Königreiche Dänemark vereinigt habe, müsse
vor dem 1. Januar für nicht anwendbar auf dieses Herzogtum erklärt sein,
widrigenfalls hielten sich die deutschen Großmächte für nicht mehr an das Lon¬
doner Protokoll gebunden. Russell vernahm das „mit Erstaunen" und meinte,
Österreich und Preußen hätten sich durch Unterzeichnung des Protokolls nicht
bloß Dänemark, sondern auch den andern Vertragsmächten gegenüber verpflichtet.
Eine Nichterfüllung von feiten Dänemarks könne einen Grund zur Beschwerde
abgeben, die deutschen Mächte aber nicht von dem Vertrage befreien. Die eng¬
lische Regierung betrachte eine Lossagung derselben von letzterem als unver¬
träglich mit dem guten Glanben unter den Mächten Europas. Bismarck gab
diese Auffassung der Sache nicht zu, sondern erklärte, Preußen und Österreich
hätten sich 1852 nur Dänemark gegenüber verpflichtet und würden befugt sein,
diesem den Krieg zu erklären, wenn es seine Zusage nicht hielte, der Krieg aber /


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/550>, abgerufen am 27.09.2024.