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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Polnische Offenherzigkeiten.

ihm ein "fremdes Parlament," an welchem eine polnische "Delegation" teilnimmt,
die zu den "Delegationen andrer Länder und Nationalitäten in fast diplomatischen
Beziehungen steht." Und dieses eigentümliche Verhältnis wird wahrscheinlich
noch längere Zeit aufrechterhalten werden müssen. Denn die Polen sind sehr
nüchterne Politiker geworden. "Sie haben bereits (!) die trügerische Hoffnung
aufgegeben, daß die Völker des Westens ihnen aus Sentimentalität zu Hilfe
kommen werden; sie glauben auch uicht mehr, daß sie sich Rußland intellektuell
geradeso unterthänig machen werden, wie sie einst das heidnische Littauer er¬
obert haben; sie haben im Gegenteil die Überzeugung gewonnen, daß Rußland,
dank seiner materiellen Übermacht, ihnen immer entschiedener auf den Leib rückt.
Ebensowenig rechnen sie darauf, daß ein augenblicklicher Umsturz ihnen wieder
zu ihren verlorenen Rechten verhelfen werde." Worauf sie rechnen, das ist,
daß ein slavisches Österreich die Jagellonenidee aufnehme" werde. Leider läßt
sich nicht annehmen, "Österreich werde in Bälde irgendeinen Krieg im Name"
der polnischen Sache führen." Die Polen müssen daher Geduld haben, auf
Grund ihres merkwürdigen "Bündnisses" mit Österreich "den Zeitpunkt zu be¬
schleunigen, in welchem die Vergewaltigung der nichtösterreichischen Polen ihr
Ende erreichen wird."

Wie sich Graf Dzieduszycki und seine Freunde die Gestaltung der Dinge
denken, nachdem Österreich die beiden andern Teilungsmächte gezwungen haben
wird, ihren Anteil an Polen herauszugeben, und die wiederhergestellte Republik
selbständig die Durchführung der jagellonischen Idee auf sich genommen haben
wird, ob dann Österreich wieder sich selbst überlassen werden oder ob die Be¬
wohner der deutsch-slavischen Länder dasselbe Glück, wie jetzt die Ruthenen, ge¬
nießen sollen -- darüber bewahrt er vorläufig noch Schweigen. Wozu sollte
er sich als künftiger Kanzler des polnischen Reiches binden? Die Deutschöster¬
reicher, die Deutschen in Posen u. s. w. werden immer noch früh genug erfahren,
was über sie verhängt wird.

Die österreichischen Zeitungen beschäftigen sich bei der Besprechung dieser
Programmrede insbesondre mit der Frage, welche Haltung die österreichische
Regierung gegenüber dieser beispiellos dreisten Herausforderung beobachten werde.
Und mit Recht heben sie die Absichtlichkeit hervor, mit welcher ein namhaftes
Mitglied der Regierungspartei gerade in dem Augenblicke gegen Deutschland und
Rußland zu Hetzen wagt, wo zwischen den drei Kaiserreichen und deren Regenten
die erfreulichsten Beziehungen hergestellt sind und der Welt dargethan werden.
Uns drängt sich noch eine andre Frage auf. In Österreich wie in Deutschland ist
der politische Katholizismus ein offenes Bündnis mit dem Polentum eingegangen.
Kann dies ferner Bestand haben? Können Deutsche es vor sich verantworten, eine
Fraktion zu unterstützen, welche darauf ausgeht, Komplikationen herbeizuführen,
welche den Bestand der Reiche gefährden? Vielleicht wird man versuchen, den
Redner als einen nicht ernst zu nehmenden Phantasten hinzustellen; aber dieser


Polnische Offenherzigkeiten.

ihm ein „fremdes Parlament," an welchem eine polnische „Delegation" teilnimmt,
die zu den „Delegationen andrer Länder und Nationalitäten in fast diplomatischen
Beziehungen steht." Und dieses eigentümliche Verhältnis wird wahrscheinlich
noch längere Zeit aufrechterhalten werden müssen. Denn die Polen sind sehr
nüchterne Politiker geworden. „Sie haben bereits (!) die trügerische Hoffnung
aufgegeben, daß die Völker des Westens ihnen aus Sentimentalität zu Hilfe
kommen werden; sie glauben auch uicht mehr, daß sie sich Rußland intellektuell
geradeso unterthänig machen werden, wie sie einst das heidnische Littauer er¬
obert haben; sie haben im Gegenteil die Überzeugung gewonnen, daß Rußland,
dank seiner materiellen Übermacht, ihnen immer entschiedener auf den Leib rückt.
Ebensowenig rechnen sie darauf, daß ein augenblicklicher Umsturz ihnen wieder
zu ihren verlorenen Rechten verhelfen werde." Worauf sie rechnen, das ist,
daß ein slavisches Österreich die Jagellonenidee aufnehme» werde. Leider läßt
sich nicht annehmen, „Österreich werde in Bälde irgendeinen Krieg im Name»
der polnischen Sache führen." Die Polen müssen daher Geduld haben, auf
Grund ihres merkwürdigen „Bündnisses" mit Österreich „den Zeitpunkt zu be¬
schleunigen, in welchem die Vergewaltigung der nichtösterreichischen Polen ihr
Ende erreichen wird."

Wie sich Graf Dzieduszycki und seine Freunde die Gestaltung der Dinge
denken, nachdem Österreich die beiden andern Teilungsmächte gezwungen haben
wird, ihren Anteil an Polen herauszugeben, und die wiederhergestellte Republik
selbständig die Durchführung der jagellonischen Idee auf sich genommen haben
wird, ob dann Österreich wieder sich selbst überlassen werden oder ob die Be¬
wohner der deutsch-slavischen Länder dasselbe Glück, wie jetzt die Ruthenen, ge¬
nießen sollen — darüber bewahrt er vorläufig noch Schweigen. Wozu sollte
er sich als künftiger Kanzler des polnischen Reiches binden? Die Deutschöster¬
reicher, die Deutschen in Posen u. s. w. werden immer noch früh genug erfahren,
was über sie verhängt wird.

Die österreichischen Zeitungen beschäftigen sich bei der Besprechung dieser
Programmrede insbesondre mit der Frage, welche Haltung die österreichische
Regierung gegenüber dieser beispiellos dreisten Herausforderung beobachten werde.
Und mit Recht heben sie die Absichtlichkeit hervor, mit welcher ein namhaftes
Mitglied der Regierungspartei gerade in dem Augenblicke gegen Deutschland und
Rußland zu Hetzen wagt, wo zwischen den drei Kaiserreichen und deren Regenten
die erfreulichsten Beziehungen hergestellt sind und der Welt dargethan werden.
Uns drängt sich noch eine andre Frage auf. In Österreich wie in Deutschland ist
der politische Katholizismus ein offenes Bündnis mit dem Polentum eingegangen.
Kann dies ferner Bestand haben? Können Deutsche es vor sich verantworten, eine
Fraktion zu unterstützen, welche darauf ausgeht, Komplikationen herbeizuführen,
welche den Bestand der Reiche gefährden? Vielleicht wird man versuchen, den
Redner als einen nicht ernst zu nehmenden Phantasten hinzustellen; aber dieser


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[0548] Polnische Offenherzigkeiten. ihm ein „fremdes Parlament," an welchem eine polnische „Delegation" teilnimmt, die zu den „Delegationen andrer Länder und Nationalitäten in fast diplomatischen Beziehungen steht." Und dieses eigentümliche Verhältnis wird wahrscheinlich noch längere Zeit aufrechterhalten werden müssen. Denn die Polen sind sehr nüchterne Politiker geworden. „Sie haben bereits (!) die trügerische Hoffnung aufgegeben, daß die Völker des Westens ihnen aus Sentimentalität zu Hilfe kommen werden; sie glauben auch uicht mehr, daß sie sich Rußland intellektuell geradeso unterthänig machen werden, wie sie einst das heidnische Littauer er¬ obert haben; sie haben im Gegenteil die Überzeugung gewonnen, daß Rußland, dank seiner materiellen Übermacht, ihnen immer entschiedener auf den Leib rückt. Ebensowenig rechnen sie darauf, daß ein augenblicklicher Umsturz ihnen wieder zu ihren verlorenen Rechten verhelfen werde." Worauf sie rechnen, das ist, daß ein slavisches Österreich die Jagellonenidee aufnehme» werde. Leider läßt sich nicht annehmen, „Österreich werde in Bälde irgendeinen Krieg im Name» der polnischen Sache führen." Die Polen müssen daher Geduld haben, auf Grund ihres merkwürdigen „Bündnisses" mit Österreich „den Zeitpunkt zu be¬ schleunigen, in welchem die Vergewaltigung der nichtösterreichischen Polen ihr Ende erreichen wird." Wie sich Graf Dzieduszycki und seine Freunde die Gestaltung der Dinge denken, nachdem Österreich die beiden andern Teilungsmächte gezwungen haben wird, ihren Anteil an Polen herauszugeben, und die wiederhergestellte Republik selbständig die Durchführung der jagellonischen Idee auf sich genommen haben wird, ob dann Österreich wieder sich selbst überlassen werden oder ob die Be¬ wohner der deutsch-slavischen Länder dasselbe Glück, wie jetzt die Ruthenen, ge¬ nießen sollen — darüber bewahrt er vorläufig noch Schweigen. Wozu sollte er sich als künftiger Kanzler des polnischen Reiches binden? Die Deutschöster¬ reicher, die Deutschen in Posen u. s. w. werden immer noch früh genug erfahren, was über sie verhängt wird. Die österreichischen Zeitungen beschäftigen sich bei der Besprechung dieser Programmrede insbesondre mit der Frage, welche Haltung die österreichische Regierung gegenüber dieser beispiellos dreisten Herausforderung beobachten werde. Und mit Recht heben sie die Absichtlichkeit hervor, mit welcher ein namhaftes Mitglied der Regierungspartei gerade in dem Augenblicke gegen Deutschland und Rußland zu Hetzen wagt, wo zwischen den drei Kaiserreichen und deren Regenten die erfreulichsten Beziehungen hergestellt sind und der Welt dargethan werden. Uns drängt sich noch eine andre Frage auf. In Österreich wie in Deutschland ist der politische Katholizismus ein offenes Bündnis mit dem Polentum eingegangen. Kann dies ferner Bestand haben? Können Deutsche es vor sich verantworten, eine Fraktion zu unterstützen, welche darauf ausgeht, Komplikationen herbeizuführen, welche den Bestand der Reiche gefährden? Vielleicht wird man versuchen, den Redner als einen nicht ernst zu nehmenden Phantasten hinzustellen; aber dieser

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/548>, abgerufen am 28.09.2024.