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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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polnische "Offenherzigkeiten.

Landsmann-Minister, welcher auf seine Stelle verzichten müßte, sobald es
zwischen ihm und dem Klub zu einer prinzipiellen Meinungsverschiedenheit
kommen sollte. Nur ein Vorbehalt wird gemacht: die übrigens unerbittliche
Disziplin kann nämlich nicht "slavischen Gehorsam und Unterordnung unter den
Willen der Regierungsgewaltigen fordern." Das ist nicht anders zu verstehen,
als daß der einzelne Abgeordnete, welcher findet, daß der Klub der Regierung
des Gesamtstaates einen Dienst leisten wolle, ohne sofort baare Zahlung dafür
zu empfangen, sich gegen den Klubbeschluß auflehnen dürfe. Das wäre keine
Verletzung der Disziplin, und es fehlt nur noch die Wiederherstellung des
Uberv.ni vsto, welches jeden Beschluß ungiltig machen und welchem dann die
Mehrheit wohl als Korrektiv den ebenfalls altehrwürdigen Gebrauch, den
Opponenten niederzuhauen, entgegensetzen würde. Daß zwischen dem Landtage
und dem Ministerium lediglich eine Geschäftsverbindung bestehe, der erstere das
letztere im Prinzip nur unterstütze, weil er befürchten muß, jedes andre werde
weniger willfährig und koulcmt sein, daß er aber in jedem konkreten Falle auf
einer Gegenleistung bestehe, wird wiederholt ganz unumwunden ausgesprochen,
und der offenherzige Redner bezieht sich sogar ausdrücklich auf derartige Ab¬
kommen. Und der Landtag hat noch einen langen Wunschzettel. "Unser Land
hat unendlich vieles zu fordern. Es bedarf einer entsprechenderen Forstkultur,
günstigerer Bedingungen für die Entwicklung des Gewerbes, günstigerer Tarifsätze
für die landwirtschaftlichen Produkte, besserer Kommunikationen, Regulirung der
Flüsse, Abschreibung der Grundentlastuugsschuld, reichlicherer Dotirung der Lehr¬
anstalten, strengerer Gerechtigkeit zur Sicherstellung günstigerer sozialer und
wirtschaftlicher Zustände, größerer Berücksichtigung des polnischen Elements bei
Besetzung der Ämter in den Wiener Zentralbehörden und Erweiterung der
gesetzgebenden Autonomie des Landtages." Mit andern Worten: die finanziell
aktiven Länder Österreichs, und das sind wesentlich die deutschen, solle" die Ehre
haben, Galizien mit allem, was diesem dienlich sein kann, auszustatten, dürfen
aber in die Verhältnisse des Landes, in den Gebrauch, welchen es von den
gespendeten Mitteln macht, nicht dreinreden, wogegen die polnischen Abgeordneten
die slavische Majorität in der Vertretung eben jener Länder herstellen!

Billig kann man die Forderungen der Herren Polen freilich in keinem Sinne
nennen, allein sie können es wirklich nicht billiger thun. Denn Österreich muß
ein slavischer Staat werden, da er seit der Einigung Deutschlands und Italiens
"keine panhistorische Rolle mehr im Westen Europas spielen kann." Und um in
seiner neuen Rolle die Konkurrenz Rußlands zu besiegen, muß es den slavischen
Völkerschaften mehr bieten als jenes. "Will sonach Österreich als Großmacht fort¬
bestehen, so muß es sich der alten jagellvnischen Tradition wieder annehmen."
Doch mißverstehe man den Redner nicht! Das Endziel der polnischen Politik ist nicht
etwa ein Österreich, in welchem Gnlizien aufgeht, um darin die Führerschaft zu haben.
Er spricht nur von einem "Bündnis mit Österreich," der österreichische Reichsrat ist


polnische «Offenherzigkeiten.

Landsmann-Minister, welcher auf seine Stelle verzichten müßte, sobald es
zwischen ihm und dem Klub zu einer prinzipiellen Meinungsverschiedenheit
kommen sollte. Nur ein Vorbehalt wird gemacht: die übrigens unerbittliche
Disziplin kann nämlich nicht „slavischen Gehorsam und Unterordnung unter den
Willen der Regierungsgewaltigen fordern." Das ist nicht anders zu verstehen,
als daß der einzelne Abgeordnete, welcher findet, daß der Klub der Regierung
des Gesamtstaates einen Dienst leisten wolle, ohne sofort baare Zahlung dafür
zu empfangen, sich gegen den Klubbeschluß auflehnen dürfe. Das wäre keine
Verletzung der Disziplin, und es fehlt nur noch die Wiederherstellung des
Uberv.ni vsto, welches jeden Beschluß ungiltig machen und welchem dann die
Mehrheit wohl als Korrektiv den ebenfalls altehrwürdigen Gebrauch, den
Opponenten niederzuhauen, entgegensetzen würde. Daß zwischen dem Landtage
und dem Ministerium lediglich eine Geschäftsverbindung bestehe, der erstere das
letztere im Prinzip nur unterstütze, weil er befürchten muß, jedes andre werde
weniger willfährig und koulcmt sein, daß er aber in jedem konkreten Falle auf
einer Gegenleistung bestehe, wird wiederholt ganz unumwunden ausgesprochen,
und der offenherzige Redner bezieht sich sogar ausdrücklich auf derartige Ab¬
kommen. Und der Landtag hat noch einen langen Wunschzettel. „Unser Land
hat unendlich vieles zu fordern. Es bedarf einer entsprechenderen Forstkultur,
günstigerer Bedingungen für die Entwicklung des Gewerbes, günstigerer Tarifsätze
für die landwirtschaftlichen Produkte, besserer Kommunikationen, Regulirung der
Flüsse, Abschreibung der Grundentlastuugsschuld, reichlicherer Dotirung der Lehr¬
anstalten, strengerer Gerechtigkeit zur Sicherstellung günstigerer sozialer und
wirtschaftlicher Zustände, größerer Berücksichtigung des polnischen Elements bei
Besetzung der Ämter in den Wiener Zentralbehörden und Erweiterung der
gesetzgebenden Autonomie des Landtages." Mit andern Worten: die finanziell
aktiven Länder Österreichs, und das sind wesentlich die deutschen, solle» die Ehre
haben, Galizien mit allem, was diesem dienlich sein kann, auszustatten, dürfen
aber in die Verhältnisse des Landes, in den Gebrauch, welchen es von den
gespendeten Mitteln macht, nicht dreinreden, wogegen die polnischen Abgeordneten
die slavische Majorität in der Vertretung eben jener Länder herstellen!

Billig kann man die Forderungen der Herren Polen freilich in keinem Sinne
nennen, allein sie können es wirklich nicht billiger thun. Denn Österreich muß
ein slavischer Staat werden, da er seit der Einigung Deutschlands und Italiens
»keine panhistorische Rolle mehr im Westen Europas spielen kann." Und um in
seiner neuen Rolle die Konkurrenz Rußlands zu besiegen, muß es den slavischen
Völkerschaften mehr bieten als jenes. „Will sonach Österreich als Großmacht fort¬
bestehen, so muß es sich der alten jagellvnischen Tradition wieder annehmen."
Doch mißverstehe man den Redner nicht! Das Endziel der polnischen Politik ist nicht
etwa ein Österreich, in welchem Gnlizien aufgeht, um darin die Führerschaft zu haben.
Er spricht nur von einem „Bündnis mit Österreich," der österreichische Reichsrat ist


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[0547] polnische «Offenherzigkeiten. Landsmann-Minister, welcher auf seine Stelle verzichten müßte, sobald es zwischen ihm und dem Klub zu einer prinzipiellen Meinungsverschiedenheit kommen sollte. Nur ein Vorbehalt wird gemacht: die übrigens unerbittliche Disziplin kann nämlich nicht „slavischen Gehorsam und Unterordnung unter den Willen der Regierungsgewaltigen fordern." Das ist nicht anders zu verstehen, als daß der einzelne Abgeordnete, welcher findet, daß der Klub der Regierung des Gesamtstaates einen Dienst leisten wolle, ohne sofort baare Zahlung dafür zu empfangen, sich gegen den Klubbeschluß auflehnen dürfe. Das wäre keine Verletzung der Disziplin, und es fehlt nur noch die Wiederherstellung des Uberv.ni vsto, welches jeden Beschluß ungiltig machen und welchem dann die Mehrheit wohl als Korrektiv den ebenfalls altehrwürdigen Gebrauch, den Opponenten niederzuhauen, entgegensetzen würde. Daß zwischen dem Landtage und dem Ministerium lediglich eine Geschäftsverbindung bestehe, der erstere das letztere im Prinzip nur unterstütze, weil er befürchten muß, jedes andre werde weniger willfährig und koulcmt sein, daß er aber in jedem konkreten Falle auf einer Gegenleistung bestehe, wird wiederholt ganz unumwunden ausgesprochen, und der offenherzige Redner bezieht sich sogar ausdrücklich auf derartige Ab¬ kommen. Und der Landtag hat noch einen langen Wunschzettel. „Unser Land hat unendlich vieles zu fordern. Es bedarf einer entsprechenderen Forstkultur, günstigerer Bedingungen für die Entwicklung des Gewerbes, günstigerer Tarifsätze für die landwirtschaftlichen Produkte, besserer Kommunikationen, Regulirung der Flüsse, Abschreibung der Grundentlastuugsschuld, reichlicherer Dotirung der Lehr¬ anstalten, strengerer Gerechtigkeit zur Sicherstellung günstigerer sozialer und wirtschaftlicher Zustände, größerer Berücksichtigung des polnischen Elements bei Besetzung der Ämter in den Wiener Zentralbehörden und Erweiterung der gesetzgebenden Autonomie des Landtages." Mit andern Worten: die finanziell aktiven Länder Österreichs, und das sind wesentlich die deutschen, solle» die Ehre haben, Galizien mit allem, was diesem dienlich sein kann, auszustatten, dürfen aber in die Verhältnisse des Landes, in den Gebrauch, welchen es von den gespendeten Mitteln macht, nicht dreinreden, wogegen die polnischen Abgeordneten die slavische Majorität in der Vertretung eben jener Länder herstellen! Billig kann man die Forderungen der Herren Polen freilich in keinem Sinne nennen, allein sie können es wirklich nicht billiger thun. Denn Österreich muß ein slavischer Staat werden, da er seit der Einigung Deutschlands und Italiens »keine panhistorische Rolle mehr im Westen Europas spielen kann." Und um in seiner neuen Rolle die Konkurrenz Rußlands zu besiegen, muß es den slavischen Völkerschaften mehr bieten als jenes. „Will sonach Österreich als Großmacht fort¬ bestehen, so muß es sich der alten jagellvnischen Tradition wieder annehmen." Doch mißverstehe man den Redner nicht! Das Endziel der polnischen Politik ist nicht etwa ein Österreich, in welchem Gnlizien aufgeht, um darin die Führerschaft zu haben. Er spricht nur von einem „Bündnis mit Österreich," der österreichische Reichsrat ist

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/547>, abgerufen am 27.09.2024.