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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Cornelius und das Weltgericht.

Anzahl dankbarer Zuschauer rechnen dürfen. Alle Verständigen aber, die das
Buch von Chantelauze gelesen haben, werden, wie ich glaube, keinen Augenblick
daran zweifeln, daß mit der Naundorff-Komödie nur allzulange ein großartiger
Humbug getrieben worden ist.


Gugen Sierke.


Cornelius und das Weltgericht.
von Veit Valentin.

oren Jahre waren es hundert Jahre, daß Cornelius in Düsseldorf
geboren wurde. Weder in seiner Geburtsstadt, wo er später als
erster Direktor der dortigen Kunstakademie gewirkt hat, noch in
Frankfurt, wo er sein erstes epochemachendes Werk zu schaffen
begann, noch in München, wo er die besten Mannesjahre in
rüstigem Schaffen zugebracht hat, wurde der hundertjährige Geburtstag des
Meisters gefeiert. Nur die Nationalgalerie zu Berlin, welche außer der Mehr¬
zahl der Kartons zu den Glyptothekfresken das letzte große Werk des Meisters,
die Kartons zu der geplanten Friedhofshalle in Berlin, besitzt, veranstaltete eine
Feier, welche Zeugnis davon ablegen sollte, daß der Schöpfer der neuen deut¬
schen Kunst noch unvergessen sei. Diese Thatsache ist umso auffallender, als
sonst unser Jahrhundert sich durch eine ganz besondre Freude an Erinnerungs¬
feiern auszeichnet und unser Volk an solchen Feiern selbst dann gern Anteil
nimmt, wenn das Interesse auch kein nationales, sondern nur ein allgemein
menschliches ist, wie es sich bei der vierhundertjährigen Geburtsfeier Raffaels
gezeigt hat. Vielleicht galt die hundertjährige von Cornelius noch nicht für
bedeutend genug, und spätere Zeiten werden, wenn die wachsenden Zahlen auch
die Ehrfurcht in weitern Kreisen zum Durchbruch bringen werden, das jetzt
nicht für notwendig Gehaltene nachholen und gutmachen. Für uns aber bleibt
die Frage bestehen, wie es kommt, daß der Meister, welcher die Kunst durch
Hebung ihrer innern Bedeutung nicht nur mit neuem Gehalt erfüllen, sondern
sie auch zum Ausdruck des nationalen Wesens machen und ihr außer dem all¬
gemein menschlich nachfühlbaren auch ein volkstümliches Gepräge aufdrücken
wollte, dennoch zu einer eigentlichen Volkstümlichkeit nicht hat gelangen können,
ja daß gerade in künstlerischen Kreisen die Einwirkung dieses schöpferischen
Geistes rasch, ja man möchte der immer mehr zur Herrschaft gelangenden rea¬
listischen und koloristischen Richtung gegenüber sagen, spurlos vorübergegangen


Cornelius und das Weltgericht.

Anzahl dankbarer Zuschauer rechnen dürfen. Alle Verständigen aber, die das
Buch von Chantelauze gelesen haben, werden, wie ich glaube, keinen Augenblick
daran zweifeln, daß mit der Naundorff-Komödie nur allzulange ein großartiger
Humbug getrieben worden ist.


Gugen Sierke.


Cornelius und das Weltgericht.
von Veit Valentin.

oren Jahre waren es hundert Jahre, daß Cornelius in Düsseldorf
geboren wurde. Weder in seiner Geburtsstadt, wo er später als
erster Direktor der dortigen Kunstakademie gewirkt hat, noch in
Frankfurt, wo er sein erstes epochemachendes Werk zu schaffen
begann, noch in München, wo er die besten Mannesjahre in
rüstigem Schaffen zugebracht hat, wurde der hundertjährige Geburtstag des
Meisters gefeiert. Nur die Nationalgalerie zu Berlin, welche außer der Mehr¬
zahl der Kartons zu den Glyptothekfresken das letzte große Werk des Meisters,
die Kartons zu der geplanten Friedhofshalle in Berlin, besitzt, veranstaltete eine
Feier, welche Zeugnis davon ablegen sollte, daß der Schöpfer der neuen deut¬
schen Kunst noch unvergessen sei. Diese Thatsache ist umso auffallender, als
sonst unser Jahrhundert sich durch eine ganz besondre Freude an Erinnerungs¬
feiern auszeichnet und unser Volk an solchen Feiern selbst dann gern Anteil
nimmt, wenn das Interesse auch kein nationales, sondern nur ein allgemein
menschliches ist, wie es sich bei der vierhundertjährigen Geburtsfeier Raffaels
gezeigt hat. Vielleicht galt die hundertjährige von Cornelius noch nicht für
bedeutend genug, und spätere Zeiten werden, wenn die wachsenden Zahlen auch
die Ehrfurcht in weitern Kreisen zum Durchbruch bringen werden, das jetzt
nicht für notwendig Gehaltene nachholen und gutmachen. Für uns aber bleibt
die Frage bestehen, wie es kommt, daß der Meister, welcher die Kunst durch
Hebung ihrer innern Bedeutung nicht nur mit neuem Gehalt erfüllen, sondern
sie auch zum Ausdruck des nationalen Wesens machen und ihr außer dem all¬
gemein menschlich nachfühlbaren auch ein volkstümliches Gepräge aufdrücken
wollte, dennoch zu einer eigentlichen Volkstümlichkeit nicht hat gelangen können,
ja daß gerade in künstlerischen Kreisen die Einwirkung dieses schöpferischen
Geistes rasch, ja man möchte der immer mehr zur Herrschaft gelangenden rea¬
listischen und koloristischen Richtung gegenüber sagen, spurlos vorübergegangen


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[0531] Cornelius und das Weltgericht. Anzahl dankbarer Zuschauer rechnen dürfen. Alle Verständigen aber, die das Buch von Chantelauze gelesen haben, werden, wie ich glaube, keinen Augenblick daran zweifeln, daß mit der Naundorff-Komödie nur allzulange ein großartiger Humbug getrieben worden ist. Gugen Sierke. Cornelius und das Weltgericht. von Veit Valentin. oren Jahre waren es hundert Jahre, daß Cornelius in Düsseldorf geboren wurde. Weder in seiner Geburtsstadt, wo er später als erster Direktor der dortigen Kunstakademie gewirkt hat, noch in Frankfurt, wo er sein erstes epochemachendes Werk zu schaffen begann, noch in München, wo er die besten Mannesjahre in rüstigem Schaffen zugebracht hat, wurde der hundertjährige Geburtstag des Meisters gefeiert. Nur die Nationalgalerie zu Berlin, welche außer der Mehr¬ zahl der Kartons zu den Glyptothekfresken das letzte große Werk des Meisters, die Kartons zu der geplanten Friedhofshalle in Berlin, besitzt, veranstaltete eine Feier, welche Zeugnis davon ablegen sollte, daß der Schöpfer der neuen deut¬ schen Kunst noch unvergessen sei. Diese Thatsache ist umso auffallender, als sonst unser Jahrhundert sich durch eine ganz besondre Freude an Erinnerungs¬ feiern auszeichnet und unser Volk an solchen Feiern selbst dann gern Anteil nimmt, wenn das Interesse auch kein nationales, sondern nur ein allgemein menschliches ist, wie es sich bei der vierhundertjährigen Geburtsfeier Raffaels gezeigt hat. Vielleicht galt die hundertjährige von Cornelius noch nicht für bedeutend genug, und spätere Zeiten werden, wenn die wachsenden Zahlen auch die Ehrfurcht in weitern Kreisen zum Durchbruch bringen werden, das jetzt nicht für notwendig Gehaltene nachholen und gutmachen. Für uns aber bleibt die Frage bestehen, wie es kommt, daß der Meister, welcher die Kunst durch Hebung ihrer innern Bedeutung nicht nur mit neuem Gehalt erfüllen, sondern sie auch zum Ausdruck des nationalen Wesens machen und ihr außer dem all¬ gemein menschlich nachfühlbaren auch ein volkstümliches Gepräge aufdrücken wollte, dennoch zu einer eigentlichen Volkstümlichkeit nicht hat gelangen können, ja daß gerade in künstlerischen Kreisen die Einwirkung dieses schöpferischen Geistes rasch, ja man möchte der immer mehr zur Herrschaft gelangenden rea¬ listischen und koloristischen Richtung gegenüber sagen, spurlos vorübergegangen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/531>, abgerufen am 27.09.2024.