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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Das Lüde einer weltgeschichtlichen Legende.

seine Abkunft und Heimat bis jetzt völlig ungewiß seien; 2. daß die bedeut¬
samsten Umstände sich vereinigten, um den Glauben, er sei der Herzog von
der Normandie, zu begründen; 3. daß sein Klient infolge seiner 25 Jahre
lang vergebens geltend gemachten Ansprüche das Opfer aller gegen ihn und
seine Familie gerichteten Verfolgungen sei; 4. daß er völlig widerrechtlich aus
Frankreich ausgewiesen worden sei ^dies geschah infolge seines beständigen
Querulirens im Jahre 1836j; 3. daß die gegen ihn nach seiner Ausweisung
angestellte Untersuchung wegen Betruges nur den Zweck gehabt habe, jenen
Gewaltakt zu bemänteln, und daß die Untersuchungsbehörde, die damit seit drei
Jahren beschäftigt sei, ohne zu einem Ziele zu gelangen, sich nicht dazu ver¬
stehen wolle, der Ratskammer des Seinetribunals einen Bericht vorzulegen und
eine gerichtliche Entscheidung zu erwirken. Im weiteren bezeichnet Jules Favre
es als eine Ungerechtigkeit, daß man Naundorff verwehre, seine Sache vor die
Gerichte zu bringen und dadurch ihn nötige, ganz Europa mit seinen Be¬
schwerden in Aufruhr zu versetzen, statt ihn als Betrüger zu entlarven. In
einigen an Gruau gerichteten Privatbriefen spricht sich Favre noch unzwei¬
deutiger zu Gunsten Naundorffs aus. Es geht aus der energischen Form
derselben unzweifelhaft hervor, daß er von der Echtheit seines Schützlings völlig
überzeugt war und daß er die feste Zuversicht in den endlichen Sieg seiner
gerechten Sache setzte. (Brief vom 26. März 1841.)

Jules Favre hat sich später überzeugen müssen, daß seine Hoffnungen
durchaus unerfüllbar waren. Als im Jahre 1851 die Witwe Naundorffs als
Erbin ihres Gatten dessen Rechten vor Gericht Anerkennung zu verschaffen
bemüht war und hierbei deu Beistand des berühmten Anwaltes hatte, wurde
ebenso wie später, im Jahre 1874, von Naundorffs Sohne, Leutnant in der
holländischen Armee, ein vollständiger Mißerfolg erzielt. Trotzdem gab es
damals wie heute noch hochgestellte Personen, die auch ferner noch auf die
Legitimität der Naundorffschen Sache schwuren und durch ihren Einfluß der
aus acht Kindern bestehenden Familie mancherlei Vergünstigungen auswirkten.
So u. a. einige mit dem bourbonischen Hofe in naher Verbindung stehende
Dresdener Damen, die schon früher die Aufnahme des ältesten Naundorff in
Dresdener Militärakademie veranlaßt hatten, wo er erzogen und zum Offizier
herangebildet wurde. Es wurde, wie es scheint, auch durch ihre Bürgschaft die
Dresdener Behörde bewogen, ihm den vollen Titel und den Namen Bourbon
zuzugestehen, unter dem er, wie versichert wird, in den amtlichen Listen geführt
wurde, zumal da schon die holländische Regierung mit einer gleichen Vergünstigung
vorangegangen war.

Immer noch suchen die Nachkommen jenes falschen Ludwig XVII. die
Täuschung aufrecht zu erhalten, als seien sie die Opfer einer weltgeschichtlichen
Rechtsbeugung. Da, wie ein altes Sprichwort sagt, die Dummen "nicht alle"
werden, so wird dieses Taschenspiclerkunststück wohl auch ferner noch auf eine


Das Lüde einer weltgeschichtlichen Legende.

seine Abkunft und Heimat bis jetzt völlig ungewiß seien; 2. daß die bedeut¬
samsten Umstände sich vereinigten, um den Glauben, er sei der Herzog von
der Normandie, zu begründen; 3. daß sein Klient infolge seiner 25 Jahre
lang vergebens geltend gemachten Ansprüche das Opfer aller gegen ihn und
seine Familie gerichteten Verfolgungen sei; 4. daß er völlig widerrechtlich aus
Frankreich ausgewiesen worden sei ^dies geschah infolge seines beständigen
Querulirens im Jahre 1836j; 3. daß die gegen ihn nach seiner Ausweisung
angestellte Untersuchung wegen Betruges nur den Zweck gehabt habe, jenen
Gewaltakt zu bemänteln, und daß die Untersuchungsbehörde, die damit seit drei
Jahren beschäftigt sei, ohne zu einem Ziele zu gelangen, sich nicht dazu ver¬
stehen wolle, der Ratskammer des Seinetribunals einen Bericht vorzulegen und
eine gerichtliche Entscheidung zu erwirken. Im weiteren bezeichnet Jules Favre
es als eine Ungerechtigkeit, daß man Naundorff verwehre, seine Sache vor die
Gerichte zu bringen und dadurch ihn nötige, ganz Europa mit seinen Be¬
schwerden in Aufruhr zu versetzen, statt ihn als Betrüger zu entlarven. In
einigen an Gruau gerichteten Privatbriefen spricht sich Favre noch unzwei¬
deutiger zu Gunsten Naundorffs aus. Es geht aus der energischen Form
derselben unzweifelhaft hervor, daß er von der Echtheit seines Schützlings völlig
überzeugt war und daß er die feste Zuversicht in den endlichen Sieg seiner
gerechten Sache setzte. (Brief vom 26. März 1841.)

Jules Favre hat sich später überzeugen müssen, daß seine Hoffnungen
durchaus unerfüllbar waren. Als im Jahre 1851 die Witwe Naundorffs als
Erbin ihres Gatten dessen Rechten vor Gericht Anerkennung zu verschaffen
bemüht war und hierbei deu Beistand des berühmten Anwaltes hatte, wurde
ebenso wie später, im Jahre 1874, von Naundorffs Sohne, Leutnant in der
holländischen Armee, ein vollständiger Mißerfolg erzielt. Trotzdem gab es
damals wie heute noch hochgestellte Personen, die auch ferner noch auf die
Legitimität der Naundorffschen Sache schwuren und durch ihren Einfluß der
aus acht Kindern bestehenden Familie mancherlei Vergünstigungen auswirkten.
So u. a. einige mit dem bourbonischen Hofe in naher Verbindung stehende
Dresdener Damen, die schon früher die Aufnahme des ältesten Naundorff in
Dresdener Militärakademie veranlaßt hatten, wo er erzogen und zum Offizier
herangebildet wurde. Es wurde, wie es scheint, auch durch ihre Bürgschaft die
Dresdener Behörde bewogen, ihm den vollen Titel und den Namen Bourbon
zuzugestehen, unter dem er, wie versichert wird, in den amtlichen Listen geführt
wurde, zumal da schon die holländische Regierung mit einer gleichen Vergünstigung
vorangegangen war.

Immer noch suchen die Nachkommen jenes falschen Ludwig XVII. die
Täuschung aufrecht zu erhalten, als seien sie die Opfer einer weltgeschichtlichen
Rechtsbeugung. Da, wie ein altes Sprichwort sagt, die Dummen „nicht alle"
werden, so wird dieses Taschenspiclerkunststück wohl auch ferner noch auf eine


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[0530] Das Lüde einer weltgeschichtlichen Legende. seine Abkunft und Heimat bis jetzt völlig ungewiß seien; 2. daß die bedeut¬ samsten Umstände sich vereinigten, um den Glauben, er sei der Herzog von der Normandie, zu begründen; 3. daß sein Klient infolge seiner 25 Jahre lang vergebens geltend gemachten Ansprüche das Opfer aller gegen ihn und seine Familie gerichteten Verfolgungen sei; 4. daß er völlig widerrechtlich aus Frankreich ausgewiesen worden sei ^dies geschah infolge seines beständigen Querulirens im Jahre 1836j; 3. daß die gegen ihn nach seiner Ausweisung angestellte Untersuchung wegen Betruges nur den Zweck gehabt habe, jenen Gewaltakt zu bemänteln, und daß die Untersuchungsbehörde, die damit seit drei Jahren beschäftigt sei, ohne zu einem Ziele zu gelangen, sich nicht dazu ver¬ stehen wolle, der Ratskammer des Seinetribunals einen Bericht vorzulegen und eine gerichtliche Entscheidung zu erwirken. Im weiteren bezeichnet Jules Favre es als eine Ungerechtigkeit, daß man Naundorff verwehre, seine Sache vor die Gerichte zu bringen und dadurch ihn nötige, ganz Europa mit seinen Be¬ schwerden in Aufruhr zu versetzen, statt ihn als Betrüger zu entlarven. In einigen an Gruau gerichteten Privatbriefen spricht sich Favre noch unzwei¬ deutiger zu Gunsten Naundorffs aus. Es geht aus der energischen Form derselben unzweifelhaft hervor, daß er von der Echtheit seines Schützlings völlig überzeugt war und daß er die feste Zuversicht in den endlichen Sieg seiner gerechten Sache setzte. (Brief vom 26. März 1841.) Jules Favre hat sich später überzeugen müssen, daß seine Hoffnungen durchaus unerfüllbar waren. Als im Jahre 1851 die Witwe Naundorffs als Erbin ihres Gatten dessen Rechten vor Gericht Anerkennung zu verschaffen bemüht war und hierbei deu Beistand des berühmten Anwaltes hatte, wurde ebenso wie später, im Jahre 1874, von Naundorffs Sohne, Leutnant in der holländischen Armee, ein vollständiger Mißerfolg erzielt. Trotzdem gab es damals wie heute noch hochgestellte Personen, die auch ferner noch auf die Legitimität der Naundorffschen Sache schwuren und durch ihren Einfluß der aus acht Kindern bestehenden Familie mancherlei Vergünstigungen auswirkten. So u. a. einige mit dem bourbonischen Hofe in naher Verbindung stehende Dresdener Damen, die schon früher die Aufnahme des ältesten Naundorff in Dresdener Militärakademie veranlaßt hatten, wo er erzogen und zum Offizier herangebildet wurde. Es wurde, wie es scheint, auch durch ihre Bürgschaft die Dresdener Behörde bewogen, ihm den vollen Titel und den Namen Bourbon zuzugestehen, unter dem er, wie versichert wird, in den amtlichen Listen geführt wurde, zumal da schon die holländische Regierung mit einer gleichen Vergünstigung vorangegangen war. Immer noch suchen die Nachkommen jenes falschen Ludwig XVII. die Täuschung aufrecht zu erhalten, als seien sie die Opfer einer weltgeschichtlichen Rechtsbeugung. Da, wie ein altes Sprichwort sagt, die Dummen „nicht alle" werden, so wird dieses Taschenspiclerkunststück wohl auch ferner noch auf eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/530>, abgerufen am 28.09.2024.