Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.Das Lüde einer weltgeschichtlichen Legende. Zweifels über die Identität der Leiche. Sie erkannten die Züge ohne Mühe Wie die Herzogin von Tonrzel erzählt, hatte Pelletan, der berühmteste Der Sektionsbefund ergab nicht das geringste Anzeichen sür eine Ver¬ Bevor die Ärzte ihre Untersuchung beschlossen, wurden noch sechs andre Das Lüde einer weltgeschichtlichen Legende. Zweifels über die Identität der Leiche. Sie erkannten die Züge ohne Mühe Wie die Herzogin von Tonrzel erzählt, hatte Pelletan, der berühmteste Der Sektionsbefund ergab nicht das geringste Anzeichen sür eine Ver¬ Bevor die Ärzte ihre Untersuchung beschlossen, wurden noch sechs andre <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0526" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/156797"/> <fw type="header" place="top"> Das Lüde einer weltgeschichtlichen Legende.</fw><lb/> <p xml:id="ID_2367" prev="#ID_2366"> Zweifels über die Identität der Leiche. Sie erkannten die Züge ohne Mühe<lb/> wieder.</p><lb/> <p xml:id="ID_2368"> Wie die Herzogin von Tonrzel erzählt, hatte Pelletan, der berühmteste<lb/> Chirurg seiner Zeit, den Frankreich besaß, zu verschiedenen Personen später ge¬<lb/> äußert (die Herzogin nennt u. a. die Historiker Eckart und Lafond d'Ausonne,<lb/> angesehene Pariser Schriftsteller), daß er den Prinzen früher oft im Tnilerien-<lb/> garten, auf der längs dem Flusse sich hinziehenden Terrasse, auf der Tribüne<lb/> der Schloßkapelle, in der königlichen Equipage und mitunter auch mit seiner<lb/> Kammerfrau auf der Promenade gesehen habe, ja daß er sogar, als er die bei<lb/> dem Straßenkampfe am 10. Angust Verwundeten verbunden, aus der Hand des<lb/> kleine» Prinzen Charpie erhalten habe, die er und seine Schwester an die Ver¬<lb/> wundeten verteilten. (I^tout ä'^u8onus, Nvoimres ssvrst«). Die Herzogin de<lb/> Tonrzel fügt dieser Angabe noch die hinzu: Pelletan habe, als er sie einmal<lb/> ärztlich behandelte und eine Büste des kleinen Prinzen auf dem Kamin erblickte,<lb/> ausgerufen: „Ah, das ist ja der Dauphin! Wie ähnlich!" Außerdem soll<lb/> Pelletan erwähnt haben, die Todesschatten Hütten die hübschen Züge des<lb/> Kindes nicht im mindesten entstellt.</p><lb/> <p xml:id="ID_2369"> Der Sektionsbefund ergab nicht das geringste Anzeichen sür eine Ver¬<lb/> giftung. Dagegen fand man in den Eingeweiden skrophulöse Geschwüre in<lb/> Meuge und auch am Knie und am Handgelenk große eitrige Geschwülste der¬<lb/> selben Art, deren erste Spuren sich schon zur Zeit Simons gezeigt hatten.<lb/> Außerdem zeigte die ganze Beschaffenheit der Glieder und des Oberkörpers die<lb/> unzweifelhaften Merkmale einer starken skrophulösen Entartung. Das Gehirn<lb/> und die mit demselben verbundenen Organe waren vollständig gesund. Das<lb/> Gutachten erklärte demgemäß ein bereits seit langer Zeit dem Körper inne¬<lb/> wohnendes skrophulöses Leiden als die Todesursache, ein Ergebnis, welches<lb/> umsoweniger auffällig erscheinen konnte, als skrophulöse Übel in der königlichen<lb/> Familie bereits zuvor konstatirt worden waren, sogar mit dem gleichen ver¬<lb/> hängnisvollen Ausgange. War doch der ältere Bruder des Prinzen eben¬<lb/> falls dieser Krankheit erlegen.</p><lb/> <p xml:id="ID_2370"> Bevor die Ärzte ihre Untersuchung beschlossen, wurden noch sechs andre<lb/> Zeugen zur Besichtigung der Leiche hinzugezogen. Drei sind bereits öfter ge¬<lb/> nannt worden: die beiden Wächter Gomin und Lahne und der Zivilkommissar<lb/> Dämone; außer diesen rief man noch den Oberkoch des Temple, einen gewissen<lb/> Meunier, herbei, der früher oberster Mundkoch des Königs in den Tuilerien<lb/> gewesen war und für die königliche Familie während ihrer Haft im Temple<lb/> die Speisen zubereitet hatte, endlich die beiden Schließer Gourlet und Baron,<lb/> die den kleinen Gefangenen drei Jahre lang täglich mehreremale gesehen hatten.<lb/> Keiner hat auch nur die leiseste Andeutung eines Argwohnes, daß der Tote nicht<lb/> der Prinz sein könnte, wahrnehmen lassen. Und sicherlich kannte Meunier den<lb/> kleinen Prinzen noch weit genauer, als die meisten andern Personen, die bei<lb/> der Leichenschau seine Identität bezeugten.</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0526]
Das Lüde einer weltgeschichtlichen Legende.
Zweifels über die Identität der Leiche. Sie erkannten die Züge ohne Mühe
wieder.
Wie die Herzogin von Tonrzel erzählt, hatte Pelletan, der berühmteste
Chirurg seiner Zeit, den Frankreich besaß, zu verschiedenen Personen später ge¬
äußert (die Herzogin nennt u. a. die Historiker Eckart und Lafond d'Ausonne,
angesehene Pariser Schriftsteller), daß er den Prinzen früher oft im Tnilerien-
garten, auf der längs dem Flusse sich hinziehenden Terrasse, auf der Tribüne
der Schloßkapelle, in der königlichen Equipage und mitunter auch mit seiner
Kammerfrau auf der Promenade gesehen habe, ja daß er sogar, als er die bei
dem Straßenkampfe am 10. Angust Verwundeten verbunden, aus der Hand des
kleine» Prinzen Charpie erhalten habe, die er und seine Schwester an die Ver¬
wundeten verteilten. (I^tout ä'^u8onus, Nvoimres ssvrst«). Die Herzogin de
Tonrzel fügt dieser Angabe noch die hinzu: Pelletan habe, als er sie einmal
ärztlich behandelte und eine Büste des kleinen Prinzen auf dem Kamin erblickte,
ausgerufen: „Ah, das ist ja der Dauphin! Wie ähnlich!" Außerdem soll
Pelletan erwähnt haben, die Todesschatten Hütten die hübschen Züge des
Kindes nicht im mindesten entstellt.
Der Sektionsbefund ergab nicht das geringste Anzeichen sür eine Ver¬
giftung. Dagegen fand man in den Eingeweiden skrophulöse Geschwüre in
Meuge und auch am Knie und am Handgelenk große eitrige Geschwülste der¬
selben Art, deren erste Spuren sich schon zur Zeit Simons gezeigt hatten.
Außerdem zeigte die ganze Beschaffenheit der Glieder und des Oberkörpers die
unzweifelhaften Merkmale einer starken skrophulösen Entartung. Das Gehirn
und die mit demselben verbundenen Organe waren vollständig gesund. Das
Gutachten erklärte demgemäß ein bereits seit langer Zeit dem Körper inne¬
wohnendes skrophulöses Leiden als die Todesursache, ein Ergebnis, welches
umsoweniger auffällig erscheinen konnte, als skrophulöse Übel in der königlichen
Familie bereits zuvor konstatirt worden waren, sogar mit dem gleichen ver¬
hängnisvollen Ausgange. War doch der ältere Bruder des Prinzen eben¬
falls dieser Krankheit erlegen.
Bevor die Ärzte ihre Untersuchung beschlossen, wurden noch sechs andre
Zeugen zur Besichtigung der Leiche hinzugezogen. Drei sind bereits öfter ge¬
nannt worden: die beiden Wächter Gomin und Lahne und der Zivilkommissar
Dämone; außer diesen rief man noch den Oberkoch des Temple, einen gewissen
Meunier, herbei, der früher oberster Mundkoch des Königs in den Tuilerien
gewesen war und für die königliche Familie während ihrer Haft im Temple
die Speisen zubereitet hatte, endlich die beiden Schließer Gourlet und Baron,
die den kleinen Gefangenen drei Jahre lang täglich mehreremale gesehen hatten.
Keiner hat auch nur die leiseste Andeutung eines Argwohnes, daß der Tote nicht
der Prinz sein könnte, wahrnehmen lassen. Und sicherlich kannte Meunier den
kleinen Prinzen noch weit genauer, als die meisten andern Personen, die bei
der Leichenschau seine Identität bezeugten.
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |