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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die landwirtschaftliche Muster - Lnquete in Baden.

Wir geben zu, daß die Schlußfolgerung im Prinzip richtig ist. Wollte
man aber hierauf, wie vielfach geschehen ist, behaupten, daß die Lage der Land¬
wirtschaft noch immer erträglich sei, so wäre das sehr falsch. Sogar diejenigen
Wirtschafter, welche thatsächlich alljährlich noch einen Baarüberschuß zu verzeichnen
haben, sind in übler Lage. Wenn auch eingeräumt werden soll, daß diese
Wirtschafter ein gewisses Maß von Verschuldung ohne Gefahr ertragen können,
so vermögen wir doch die im Erhebungswerk berechneten Grenzen der zulässigen
Verschuldung nicht als richtig anzuerkennen.*) Es ist nämlich bei Berechnung
dieser Grenzen die Annahme einer Abtragung durch Annuitäten (vier Prozent
Zins, zwei Prozent Tilgungsqnote, zusammen sechs Prozent) zu gründe gelegt.
Abgesehen nun davon, daß in Baden eine Abtragung durch Annuitäten
bisher fast nirgends vorkam, scheint es uns, daß bei einer Tilguugsquote von
nur zwei Prozent die Fälle sehr selten sein werden, in welchen nicht lange vor
Abtragung einer Schuld schon wieder neue Kapitalaufnahmen unbedingt er¬
forderlich sein werden. Wir wollen uns zwar hüten, hier auf Grund einzelner,
wenn auch nicht allzuweniger Fälle, die uns zufällig bekannt sind, eine Regel
darüber aufzustellen, wie weit in der Regel die Tilgungsfrist für eine Schuld
sich erstrecken dürfe, wenn mit einiger Wahrscheinlichkeit die Kumulirung alter
und neuer Schulden vermieden werden soll, aber wir glauben doch, hier auf
einen Faktor gestoßen zu sein, den man bei Feststellung der Verschuldungsgrenze
hätte mit in Rechnung bringen müssen. Nach unsrer Kenntnis der Sachlage
würden wir die berechneten Verschuldungsgrenzen etwa dann für richtig halten,
wenn eine jährliche Tilgungsquote von 3 bis 3^/z Prozent sich ermöglichen
ließe, d. h. wir würden für unsre heutigen Verhältnisse die gegebenen Zahlen
um ein Entsprechendes reduziren müssen. Wollten wir aber auch annehmen,
die Lage derjenigen Wirtschafter, welche noch nennenswerte Baarüberschüsse er¬
zielen, sei so erträglich, wie sie auf den ersten Blick erscheint, so bliebe das Ge¬
samtbild noch immer traurig genug, denn die Wirtschafter, welche alljährlich
ein Defizit aufzuweisen haben, können doch wohl kaum einen Trost darin finden,
daß es manchen (oder auch vielen) Standesgenossen weniger schlimm ergeht.

Noch eins haben wir hier zu berühren. Gilt es, die Lage der Land¬
wirtschaft zu ermitteln und die Frage zu entscheiden, ob eine über das gewöhn¬
liche Maß der Staatsfürsorge hinausgehende Hilfe erforderlich sei, also ob ein
Notstand vorliege, so ist es von großem Werte, zu wissen, ob eine Tendenz
zur Verbesserung oder eine solche zur Verschlimmerung der Lage sich zeigt.
Um hierin klar zu sehen, muß man alles, was zu der erst im Falle der Kon-
statirung eines Notstandes zu gewährenden Hilfe gehört, beiseite setzen, alle
schlimmen Einflüsse aber, welche ohne besondre Hilfe wirksam sein würden, in



^) Für Groß- und Mittelbauern werden etwa 40 bis 70 Prozent des Stcucrkapitalwerts,
für Kleinbauern hijchstens 30 Prozent als zulässig berechnet.
Die landwirtschaftliche Muster - Lnquete in Baden.

Wir geben zu, daß die Schlußfolgerung im Prinzip richtig ist. Wollte
man aber hierauf, wie vielfach geschehen ist, behaupten, daß die Lage der Land¬
wirtschaft noch immer erträglich sei, so wäre das sehr falsch. Sogar diejenigen
Wirtschafter, welche thatsächlich alljährlich noch einen Baarüberschuß zu verzeichnen
haben, sind in übler Lage. Wenn auch eingeräumt werden soll, daß diese
Wirtschafter ein gewisses Maß von Verschuldung ohne Gefahr ertragen können,
so vermögen wir doch die im Erhebungswerk berechneten Grenzen der zulässigen
Verschuldung nicht als richtig anzuerkennen.*) Es ist nämlich bei Berechnung
dieser Grenzen die Annahme einer Abtragung durch Annuitäten (vier Prozent
Zins, zwei Prozent Tilgungsqnote, zusammen sechs Prozent) zu gründe gelegt.
Abgesehen nun davon, daß in Baden eine Abtragung durch Annuitäten
bisher fast nirgends vorkam, scheint es uns, daß bei einer Tilguugsquote von
nur zwei Prozent die Fälle sehr selten sein werden, in welchen nicht lange vor
Abtragung einer Schuld schon wieder neue Kapitalaufnahmen unbedingt er¬
forderlich sein werden. Wir wollen uns zwar hüten, hier auf Grund einzelner,
wenn auch nicht allzuweniger Fälle, die uns zufällig bekannt sind, eine Regel
darüber aufzustellen, wie weit in der Regel die Tilgungsfrist für eine Schuld
sich erstrecken dürfe, wenn mit einiger Wahrscheinlichkeit die Kumulirung alter
und neuer Schulden vermieden werden soll, aber wir glauben doch, hier auf
einen Faktor gestoßen zu sein, den man bei Feststellung der Verschuldungsgrenze
hätte mit in Rechnung bringen müssen. Nach unsrer Kenntnis der Sachlage
würden wir die berechneten Verschuldungsgrenzen etwa dann für richtig halten,
wenn eine jährliche Tilgungsquote von 3 bis 3^/z Prozent sich ermöglichen
ließe, d. h. wir würden für unsre heutigen Verhältnisse die gegebenen Zahlen
um ein Entsprechendes reduziren müssen. Wollten wir aber auch annehmen,
die Lage derjenigen Wirtschafter, welche noch nennenswerte Baarüberschüsse er¬
zielen, sei so erträglich, wie sie auf den ersten Blick erscheint, so bliebe das Ge¬
samtbild noch immer traurig genug, denn die Wirtschafter, welche alljährlich
ein Defizit aufzuweisen haben, können doch wohl kaum einen Trost darin finden,
daß es manchen (oder auch vielen) Standesgenossen weniger schlimm ergeht.

Noch eins haben wir hier zu berühren. Gilt es, die Lage der Land¬
wirtschaft zu ermitteln und die Frage zu entscheiden, ob eine über das gewöhn¬
liche Maß der Staatsfürsorge hinausgehende Hilfe erforderlich sei, also ob ein
Notstand vorliege, so ist es von großem Werte, zu wissen, ob eine Tendenz
zur Verbesserung oder eine solche zur Verschlimmerung der Lage sich zeigt.
Um hierin klar zu sehen, muß man alles, was zu der erst im Falle der Kon-
statirung eines Notstandes zu gewährenden Hilfe gehört, beiseite setzen, alle
schlimmen Einflüsse aber, welche ohne besondre Hilfe wirksam sein würden, in



^) Für Groß- und Mittelbauern werden etwa 40 bis 70 Prozent des Stcucrkapitalwerts,
für Kleinbauern hijchstens 30 Prozent als zulässig berechnet.
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[0511] Die landwirtschaftliche Muster - Lnquete in Baden. Wir geben zu, daß die Schlußfolgerung im Prinzip richtig ist. Wollte man aber hierauf, wie vielfach geschehen ist, behaupten, daß die Lage der Land¬ wirtschaft noch immer erträglich sei, so wäre das sehr falsch. Sogar diejenigen Wirtschafter, welche thatsächlich alljährlich noch einen Baarüberschuß zu verzeichnen haben, sind in übler Lage. Wenn auch eingeräumt werden soll, daß diese Wirtschafter ein gewisses Maß von Verschuldung ohne Gefahr ertragen können, so vermögen wir doch die im Erhebungswerk berechneten Grenzen der zulässigen Verschuldung nicht als richtig anzuerkennen.*) Es ist nämlich bei Berechnung dieser Grenzen die Annahme einer Abtragung durch Annuitäten (vier Prozent Zins, zwei Prozent Tilgungsqnote, zusammen sechs Prozent) zu gründe gelegt. Abgesehen nun davon, daß in Baden eine Abtragung durch Annuitäten bisher fast nirgends vorkam, scheint es uns, daß bei einer Tilguugsquote von nur zwei Prozent die Fälle sehr selten sein werden, in welchen nicht lange vor Abtragung einer Schuld schon wieder neue Kapitalaufnahmen unbedingt er¬ forderlich sein werden. Wir wollen uns zwar hüten, hier auf Grund einzelner, wenn auch nicht allzuweniger Fälle, die uns zufällig bekannt sind, eine Regel darüber aufzustellen, wie weit in der Regel die Tilgungsfrist für eine Schuld sich erstrecken dürfe, wenn mit einiger Wahrscheinlichkeit die Kumulirung alter und neuer Schulden vermieden werden soll, aber wir glauben doch, hier auf einen Faktor gestoßen zu sein, den man bei Feststellung der Verschuldungsgrenze hätte mit in Rechnung bringen müssen. Nach unsrer Kenntnis der Sachlage würden wir die berechneten Verschuldungsgrenzen etwa dann für richtig halten, wenn eine jährliche Tilgungsquote von 3 bis 3^/z Prozent sich ermöglichen ließe, d. h. wir würden für unsre heutigen Verhältnisse die gegebenen Zahlen um ein Entsprechendes reduziren müssen. Wollten wir aber auch annehmen, die Lage derjenigen Wirtschafter, welche noch nennenswerte Baarüberschüsse er¬ zielen, sei so erträglich, wie sie auf den ersten Blick erscheint, so bliebe das Ge¬ samtbild noch immer traurig genug, denn die Wirtschafter, welche alljährlich ein Defizit aufzuweisen haben, können doch wohl kaum einen Trost darin finden, daß es manchen (oder auch vielen) Standesgenossen weniger schlimm ergeht. Noch eins haben wir hier zu berühren. Gilt es, die Lage der Land¬ wirtschaft zu ermitteln und die Frage zu entscheiden, ob eine über das gewöhn¬ liche Maß der Staatsfürsorge hinausgehende Hilfe erforderlich sei, also ob ein Notstand vorliege, so ist es von großem Werte, zu wissen, ob eine Tendenz zur Verbesserung oder eine solche zur Verschlimmerung der Lage sich zeigt. Um hierin klar zu sehen, muß man alles, was zu der erst im Falle der Kon- statirung eines Notstandes zu gewährenden Hilfe gehört, beiseite setzen, alle schlimmen Einflüsse aber, welche ohne besondre Hilfe wirksam sein würden, in ^) Für Groß- und Mittelbauern werden etwa 40 bis 70 Prozent des Stcucrkapitalwerts, für Kleinbauern hijchstens 30 Prozent als zulässig berechnet.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/511>, abgerufen am 27.09.2024.