Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.Englische Politik und deutsche Interessen. Bereits um die Mitte des November gestand Lord Stewart dem Freiherrn von Die Grundanschauung der kontinentalen Politik der Engländer wurzelt in Englische Politik und deutsche Interessen. Bereits um die Mitte des November gestand Lord Stewart dem Freiherrn von Die Grundanschauung der kontinentalen Politik der Engländer wurzelt in <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0501" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/156772"/> <fw type="header" place="top"> Englische Politik und deutsche Interessen.</fw><lb/> <p xml:id="ID_2284" prev="#ID_2283"> Bereits um die Mitte des November gestand Lord Stewart dem Freiherrn von<lb/> Stein beschämt, daß England sich genötigt sehe, sich Frankreich in die Arme<lb/> zu werfen. Hand in Hand mit Metternich und Talleyrand, der dadurch, daß<lb/> er die gemeinsamen Interessen der Verbündeten systematisch verwirrte, für<lb/> Frankreich, den unterworfenen Gegner, Sitz und Stimme gewann, war es<lb/> Castlereagh, dem jener als Vertreter der Legitimität imponirte, behaglicher, mit<lb/> dem Strome als dagegen zu schwimmen, und es machte ihm, dem es niemals<lb/> in erster Linie um Vergrößerung Preußens und Stärkung Deutschlands zu thun<lb/> gewesen, keinerlei Gewissensbisse, daß er sich nun zu gunsten des hartnäckigsten<lb/> Anhängers Napoleons verwenden und schließlich der berüchtigten Tripelallianz<lb/> vom 3. Januar 1815 beitreten mußte. Zwar verständigte man sich bald wieder<lb/> mit Preußen und Rußland, aber die britische Politik hatte doch nur das<lb/> Gegenteil von dem erreicht, was sie sich vorgesetzt: sie hatte Preußen mit ganz<lb/> Sachsen ausstatten wollen und mußte nun in eine Teilung willigen, sie hatte<lb/> Rußlands vorgeschobene Stellung zu brechen gedacht und sah sich jetzt gezwungen,<lb/> es fast unverkümmert in derselben zu dulden.</p><lb/> <p xml:id="ID_2285" next="#ID_2286"> Die Grundanschauung der kontinentalen Politik der Engländer wurzelt in<lb/> ihrer maritimen Weltstellung. und das Verhältnis zu den Küstenländern stand<lb/> bisher immer für sie im Vordergrunde, obenan aber das zu Frankreich. Als<lb/> nun der Neubau Europas versucht wurde, verstand es sich für die damals am<lb/> Staatsruder Englands stehende Partei von selbst, daß man in Frankreich dabei<lb/> in schroffem Gegensatze gegen das überwundene System zu Verfahren habe, und<lb/> daß alles aufzubieten sei, um nach dem Sturze des Kaisertums, das die Re¬<lb/> volution geboren, die welken Lilien der Bourbonen wieder zur Blüte zu bringen.<lb/> Im Hinblick hierauf durfte Frankreich nicht geschmälert werden, eine Ansicht,<lb/> die dnrch das anspruchsvolle Auftreten Kaiser Alexanders noch mehr empfohlen<lb/> wurde. Der erste Pariser Friede hatte Frankreich seinen festländischen Besitz<lb/> gesichert. Auf Metternich und die dynastischen Pläne des Wiener Hofes bauend,<lb/> hatte Talleyrand nicht nur die Rückgabe des Elsaß an Deutschland abgewehrt,<lb/> sondern auch die Rheingrenze für Frankreich festzuhalten gesucht. Nachdem<lb/> Napoleon von Elba zurückgekehrt war, erkannte man, daß Frankreich zu stark<lb/> geblieben sei und daß im Fall eines abermaligen Sieges besser für die künftige<lb/> Sicherheit der Nachbarn desselben gesorgt werden müsse. Immer bestimmter<lb/> trat besonders in preußischen Kreisen die Ansicht hervor, daß man einen solchen<lb/> Erfolg nicht sowohl zu gunsten der Bourbonen als zu Deutschlands Vorteil<lb/> zu benutzen und diesem die im Laufe der letzten Jahrhunderte geraubten west¬<lb/> lichen Grenzlande wieder zu verschaffen habe. Den britischen Diplomaten aber<lb/> war nach wie vor darum zu thun, daß Frankreichs Integrität hier gewahrt<lb/> bleibe, damit ihre Schützlinge, die Bourbonen, nicht dem eignen Lande gegenüber<lb/> in üble Lage gerieten, nicht als Fürsten erschienen, welche durch ihre Rückkehr<lb/> auf den Thron Ursache zur Verkleinerung Frankreichs geworden seien. Diese</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0501]
Englische Politik und deutsche Interessen.
Bereits um die Mitte des November gestand Lord Stewart dem Freiherrn von
Stein beschämt, daß England sich genötigt sehe, sich Frankreich in die Arme
zu werfen. Hand in Hand mit Metternich und Talleyrand, der dadurch, daß
er die gemeinsamen Interessen der Verbündeten systematisch verwirrte, für
Frankreich, den unterworfenen Gegner, Sitz und Stimme gewann, war es
Castlereagh, dem jener als Vertreter der Legitimität imponirte, behaglicher, mit
dem Strome als dagegen zu schwimmen, und es machte ihm, dem es niemals
in erster Linie um Vergrößerung Preußens und Stärkung Deutschlands zu thun
gewesen, keinerlei Gewissensbisse, daß er sich nun zu gunsten des hartnäckigsten
Anhängers Napoleons verwenden und schließlich der berüchtigten Tripelallianz
vom 3. Januar 1815 beitreten mußte. Zwar verständigte man sich bald wieder
mit Preußen und Rußland, aber die britische Politik hatte doch nur das
Gegenteil von dem erreicht, was sie sich vorgesetzt: sie hatte Preußen mit ganz
Sachsen ausstatten wollen und mußte nun in eine Teilung willigen, sie hatte
Rußlands vorgeschobene Stellung zu brechen gedacht und sah sich jetzt gezwungen,
es fast unverkümmert in derselben zu dulden.
Die Grundanschauung der kontinentalen Politik der Engländer wurzelt in
ihrer maritimen Weltstellung. und das Verhältnis zu den Küstenländern stand
bisher immer für sie im Vordergrunde, obenan aber das zu Frankreich. Als
nun der Neubau Europas versucht wurde, verstand es sich für die damals am
Staatsruder Englands stehende Partei von selbst, daß man in Frankreich dabei
in schroffem Gegensatze gegen das überwundene System zu Verfahren habe, und
daß alles aufzubieten sei, um nach dem Sturze des Kaisertums, das die Re¬
volution geboren, die welken Lilien der Bourbonen wieder zur Blüte zu bringen.
Im Hinblick hierauf durfte Frankreich nicht geschmälert werden, eine Ansicht,
die dnrch das anspruchsvolle Auftreten Kaiser Alexanders noch mehr empfohlen
wurde. Der erste Pariser Friede hatte Frankreich seinen festländischen Besitz
gesichert. Auf Metternich und die dynastischen Pläne des Wiener Hofes bauend,
hatte Talleyrand nicht nur die Rückgabe des Elsaß an Deutschland abgewehrt,
sondern auch die Rheingrenze für Frankreich festzuhalten gesucht. Nachdem
Napoleon von Elba zurückgekehrt war, erkannte man, daß Frankreich zu stark
geblieben sei und daß im Fall eines abermaligen Sieges besser für die künftige
Sicherheit der Nachbarn desselben gesorgt werden müsse. Immer bestimmter
trat besonders in preußischen Kreisen die Ansicht hervor, daß man einen solchen
Erfolg nicht sowohl zu gunsten der Bourbonen als zu Deutschlands Vorteil
zu benutzen und diesem die im Laufe der letzten Jahrhunderte geraubten west¬
lichen Grenzlande wieder zu verschaffen habe. Den britischen Diplomaten aber
war nach wie vor darum zu thun, daß Frankreichs Integrität hier gewahrt
bleibe, damit ihre Schützlinge, die Bourbonen, nicht dem eignen Lande gegenüber
in üble Lage gerieten, nicht als Fürsten erschienen, welche durch ihre Rückkehr
auf den Thron Ursache zur Verkleinerung Frankreichs geworden seien. Diese
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