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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Englische Politik und deutsche Interessen.

Schlagen wir nach diesem Blatte, welches Butes Perfidie beschmutzt, ein
weiteres auf, so finden wir, daß Englands Egoismus Preußen während der
polnischen Händel an der Erwerbung Dcmzigs hinderte.

Wir blättern weiter und kommen zu den Vorbereitungen Preußens für den
Befreiungskrieg gegen Napoleon. Geraume Zeit unterhandelte hier Hardenberg
mit den englischen Diplomaten, ehe es im Vertrage von Reichenbach zu einem
für Preußen erträglichen Einverständnis kam, kraft dessen die beiden Mächte
sich verpflichteten, die Unabhängigkeit der von Frankreich unterdrückten Staaten
wiederherzustellen. "Schritt für Schritt hatte er mit der welfischen Habgier
ringen müssen, und wenn er schließlich zur Hälfte nachgab, so befand er sich
in der Lage des Bedrängten, der in höchster Geldnot einem Wucherer Wucher¬
zinsen zahlt. Ohne die englischen Subsidien war Preußen völlig außer stände,
den Krieg fortzuführen, das hatte der Staatskanzler schon im Februar dem
britischen Kabinet erklärt. Als er einmal dem General Stewart vorhielt, das
Parlament und die englische Nation würden ein so kleinliches Verfahren in
großer Sache sicherlich nicht billigen, erwiederte jener mit unfreiwilligem Humor:
"Ich bin weder von der Nation noch von dem Parlamente hierher geschickt
worden, sondern von S. K., dem Prinzregenten." Stewart und sein Amts-
genvsse, der hölzerne, steifpedantische Lord Clancarty, trugen die Überlegenheit
des Bezahlenden mit der ganzen ihrem Volke eigentümlichen Rücksichtslosigkeit
zur Schau; nach einer glaubwürdigen Überlieferung ist dem preußischen Staate
sogar die zollfreie Einfuhr aller englischen Waren zugemutet worden.. . . Von
selbst verstand sich, daß Preußen nur halb soviel Subsidien erhalten sollte als
Rußland (das weniger Mannschaften im Felde hatte als jenes); endlich einigte
man sich über 666660 Pfund Sterling, wofür Preußen 80000 Mann auf¬
stellen sollte, und diese für einen solchen Krieg armselige Summe, um ein Drittel
niedriger als die an Schweden bewilligten Subsidien, ward nachher zum Teil
hinan denkt dabei unwillkürlich an das Trucksystem englischer Fabrikanten) in
unbrauchbaren Uniformen bezahlt. Gegen die Abtretung altpreußischer Gebiete
sträubte sich das Pflichtgefühl des Königs. ... Die Welfen mußten sich zu¬
letzt mit dem Versprechen begnügen, daß Preußen ihrem Stammlande eine Ab-
rundung von 250- bis 300000 Seelen, einschließlich childesheim, verschaffen
werde-- Die preußische Diplomatie hatte damit drückende Verpflichtungen über¬
nommen und zum Entgelt nur die allgemeine Zusage erlangt, daß Preußen "zum
mindesten" ebenso mächtig werden solle wie vor dem Kriege von 1806."*)

Auf dem Wiener Kongreß nahmen die Vertreter Englands zuerst eine
für Preußen günstige Stellung ein, die aber bald in ihr Gegenteil umschlug.
Kaiser Alexander dachte an eine Art von Wiederherstellung Polens, das dann
unter feinem Schutze stehen und eine liberale Verfassung erhalten sollte. Die



) Vgl. Treitschkes Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert, Bd. I, S. 462.
Englische Politik und deutsche Interessen.

Schlagen wir nach diesem Blatte, welches Butes Perfidie beschmutzt, ein
weiteres auf, so finden wir, daß Englands Egoismus Preußen während der
polnischen Händel an der Erwerbung Dcmzigs hinderte.

Wir blättern weiter und kommen zu den Vorbereitungen Preußens für den
Befreiungskrieg gegen Napoleon. Geraume Zeit unterhandelte hier Hardenberg
mit den englischen Diplomaten, ehe es im Vertrage von Reichenbach zu einem
für Preußen erträglichen Einverständnis kam, kraft dessen die beiden Mächte
sich verpflichteten, die Unabhängigkeit der von Frankreich unterdrückten Staaten
wiederherzustellen. „Schritt für Schritt hatte er mit der welfischen Habgier
ringen müssen, und wenn er schließlich zur Hälfte nachgab, so befand er sich
in der Lage des Bedrängten, der in höchster Geldnot einem Wucherer Wucher¬
zinsen zahlt. Ohne die englischen Subsidien war Preußen völlig außer stände,
den Krieg fortzuführen, das hatte der Staatskanzler schon im Februar dem
britischen Kabinet erklärt. Als er einmal dem General Stewart vorhielt, das
Parlament und die englische Nation würden ein so kleinliches Verfahren in
großer Sache sicherlich nicht billigen, erwiederte jener mit unfreiwilligem Humor:
»Ich bin weder von der Nation noch von dem Parlamente hierher geschickt
worden, sondern von S. K., dem Prinzregenten.« Stewart und sein Amts-
genvsse, der hölzerne, steifpedantische Lord Clancarty, trugen die Überlegenheit
des Bezahlenden mit der ganzen ihrem Volke eigentümlichen Rücksichtslosigkeit
zur Schau; nach einer glaubwürdigen Überlieferung ist dem preußischen Staate
sogar die zollfreie Einfuhr aller englischen Waren zugemutet worden.. . . Von
selbst verstand sich, daß Preußen nur halb soviel Subsidien erhalten sollte als
Rußland (das weniger Mannschaften im Felde hatte als jenes); endlich einigte
man sich über 666660 Pfund Sterling, wofür Preußen 80000 Mann auf¬
stellen sollte, und diese für einen solchen Krieg armselige Summe, um ein Drittel
niedriger als die an Schweden bewilligten Subsidien, ward nachher zum Teil
hinan denkt dabei unwillkürlich an das Trucksystem englischer Fabrikanten) in
unbrauchbaren Uniformen bezahlt. Gegen die Abtretung altpreußischer Gebiete
sträubte sich das Pflichtgefühl des Königs. ... Die Welfen mußten sich zu¬
letzt mit dem Versprechen begnügen, daß Preußen ihrem Stammlande eine Ab-
rundung von 250- bis 300000 Seelen, einschließlich childesheim, verschaffen
werde— Die preußische Diplomatie hatte damit drückende Verpflichtungen über¬
nommen und zum Entgelt nur die allgemeine Zusage erlangt, daß Preußen »zum
mindesten« ebenso mächtig werden solle wie vor dem Kriege von 1806."*)

Auf dem Wiener Kongreß nahmen die Vertreter Englands zuerst eine
für Preußen günstige Stellung ein, die aber bald in ihr Gegenteil umschlug.
Kaiser Alexander dachte an eine Art von Wiederherstellung Polens, das dann
unter feinem Schutze stehen und eine liberale Verfassung erhalten sollte. Die



) Vgl. Treitschkes Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert, Bd. I, S. 462.
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[0499] Englische Politik und deutsche Interessen. Schlagen wir nach diesem Blatte, welches Butes Perfidie beschmutzt, ein weiteres auf, so finden wir, daß Englands Egoismus Preußen während der polnischen Händel an der Erwerbung Dcmzigs hinderte. Wir blättern weiter und kommen zu den Vorbereitungen Preußens für den Befreiungskrieg gegen Napoleon. Geraume Zeit unterhandelte hier Hardenberg mit den englischen Diplomaten, ehe es im Vertrage von Reichenbach zu einem für Preußen erträglichen Einverständnis kam, kraft dessen die beiden Mächte sich verpflichteten, die Unabhängigkeit der von Frankreich unterdrückten Staaten wiederherzustellen. „Schritt für Schritt hatte er mit der welfischen Habgier ringen müssen, und wenn er schließlich zur Hälfte nachgab, so befand er sich in der Lage des Bedrängten, der in höchster Geldnot einem Wucherer Wucher¬ zinsen zahlt. Ohne die englischen Subsidien war Preußen völlig außer stände, den Krieg fortzuführen, das hatte der Staatskanzler schon im Februar dem britischen Kabinet erklärt. Als er einmal dem General Stewart vorhielt, das Parlament und die englische Nation würden ein so kleinliches Verfahren in großer Sache sicherlich nicht billigen, erwiederte jener mit unfreiwilligem Humor: »Ich bin weder von der Nation noch von dem Parlamente hierher geschickt worden, sondern von S. K., dem Prinzregenten.« Stewart und sein Amts- genvsse, der hölzerne, steifpedantische Lord Clancarty, trugen die Überlegenheit des Bezahlenden mit der ganzen ihrem Volke eigentümlichen Rücksichtslosigkeit zur Schau; nach einer glaubwürdigen Überlieferung ist dem preußischen Staate sogar die zollfreie Einfuhr aller englischen Waren zugemutet worden.. . . Von selbst verstand sich, daß Preußen nur halb soviel Subsidien erhalten sollte als Rußland (das weniger Mannschaften im Felde hatte als jenes); endlich einigte man sich über 666660 Pfund Sterling, wofür Preußen 80000 Mann auf¬ stellen sollte, und diese für einen solchen Krieg armselige Summe, um ein Drittel niedriger als die an Schweden bewilligten Subsidien, ward nachher zum Teil hinan denkt dabei unwillkürlich an das Trucksystem englischer Fabrikanten) in unbrauchbaren Uniformen bezahlt. Gegen die Abtretung altpreußischer Gebiete sträubte sich das Pflichtgefühl des Königs. ... Die Welfen mußten sich zu¬ letzt mit dem Versprechen begnügen, daß Preußen ihrem Stammlande eine Ab- rundung von 250- bis 300000 Seelen, einschließlich childesheim, verschaffen werde— Die preußische Diplomatie hatte damit drückende Verpflichtungen über¬ nommen und zum Entgelt nur die allgemeine Zusage erlangt, daß Preußen »zum mindesten« ebenso mächtig werden solle wie vor dem Kriege von 1806."*) Auf dem Wiener Kongreß nahmen die Vertreter Englands zuerst eine für Preußen günstige Stellung ein, die aber bald in ihr Gegenteil umschlug. Kaiser Alexander dachte an eine Art von Wiederherstellung Polens, das dann unter feinem Schutze stehen und eine liberale Verfassung erhalten sollte. Die ) Vgl. Treitschkes Deutsche Geschichte im neunzehnten Jahrhundert, Bd. I, S. 462.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/499>, abgerufen am 27.09.2024.