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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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Die Lngel auf Lrden.

für zwei Tage, für jeden Preis, und um Mitternacht, nicht früher und nicht
später, bist du mit der Kutsche auf der Brücke und erwartest mich. Kein Kutscher!
Du wirst mich fahren. Verstanden?

Cota nickte. Er nahm das Geld und machte sich eilends davon, ohne
daß es jemand bemerkte.

Als er aber in einiger Entfernung von dem Dorfe war, mäßigte er seinen
Schritt, sah sich um, überzeugte sich, daß keine lebende Seele in der Nähe war,
und setzte sich in einen Graben. Dann zog er das Geld aus der Tasche und
zählte es mit der größten Gier.

Neunzig Franks! rief er ans. Ich könnte sie in den Sack stecken und
nie wieder zu diesem Teufel zurückkehren. Aber wenn sie ausgegeben wären,
was dann? Und ehe ich ihn verlasse, will ich mich rächen!

Er blickte die Geldstücke noch einmal liebevoll an, dann steckte er sie wieder
in die Tasche und setzte seinen Weg rascher als zuvor fort.




Is.

Als die Vorstellung vorbei war, gehörte Nina zu den ersten, welche den
Schauplatz verließen. Sie wunderte sich, daß Paul ihr nicht folgte.
Wo bleibt dein Bruder? fragte sie Adele.

Er wird sogleich nachkommen, antwortete der Doktor, indem er ihr den
Arm bot. Er hat sich einen Augenblick bei Devcmnis aufgehalten, und beide
werden uns unterwegs einholen. Wir wollen vorangehen, es ist eine beschlossene
Sache, daß Sie, Frau Rina, die Güte haben, den ganzen Tag bei uns zu ver¬
bringen.

Rina empfand eine plötzliche Unruhe. Sie sah Adelen an und bemerkte
in ihrem Gesichte das gleiche Gefühl, denn diese hatte die Bedeutung des Vor¬
falls richtiger als Rina aufgefaßt und wußte, daß ihr Bruder imstande war,
Vergeltung zu üben.

Was giebt es? fragte Rina ängstlich die Freundin. Ist etwas vorgefallen?
Sage es mir, Adele.

Es ist nichts vorgefallen, antwortete der Doktor, indem er seiner Fran
einen Wink gab, sich nichts merken zu lasten; ganz und gar nichts. Josef hatte
noch irgendetwas zu besorgen, und Paul ist bei ihm geblieben. Sie werden
augenblicklich bei uns sein.

Paul und Josef hatten sich am Ausgange aufgestellt und ließen die Zu¬
schauer passiren. Paul sah etwas bleich aus und hatte die Arme, um
seine Aufregung zu beherrschen, über die Brust verschränkt. Die Zuschauer
hatten begriffen, daß etwas erfolgen würde, und es bildeten sich vor dem Zirkus
Gruppen, welche in ungeduldiger Aufregung miteinander flüsterten.

Paul fixirte mit blitzenden Augen die Gräfin und ihr Gefolge, welche
etwas länger auf sich warten ließen. Die Gräfin heuchelte die beste Laune von
der Welt, aber Pauls Blick setzte sie doch in Verwirrung, sie versuchte ihn aus¬
zuhalten, aber sie mußte die Augen zu Boden schlagen.

Der Graf Beldoni that, als ob er dies alles nicht bemerkte, aber verriet sich
durch ein boshaftes Lächeln, welches sich auf seinen dünnen Lippen zeigte. Lau¬
rette fühlte im Innern eine Aufregung, welche ihr ganz neu war.

Als sie mit Valgrande nur noch wenige "schritte von Paul entfernt war,
ging ihr dieser entgegen und sagte höflich, während ringsum tiefes Schweigen


Die Lngel auf Lrden.

für zwei Tage, für jeden Preis, und um Mitternacht, nicht früher und nicht
später, bist du mit der Kutsche auf der Brücke und erwartest mich. Kein Kutscher!
Du wirst mich fahren. Verstanden?

Cota nickte. Er nahm das Geld und machte sich eilends davon, ohne
daß es jemand bemerkte.

Als er aber in einiger Entfernung von dem Dorfe war, mäßigte er seinen
Schritt, sah sich um, überzeugte sich, daß keine lebende Seele in der Nähe war,
und setzte sich in einen Graben. Dann zog er das Geld aus der Tasche und
zählte es mit der größten Gier.

Neunzig Franks! rief er ans. Ich könnte sie in den Sack stecken und
nie wieder zu diesem Teufel zurückkehren. Aber wenn sie ausgegeben wären,
was dann? Und ehe ich ihn verlasse, will ich mich rächen!

Er blickte die Geldstücke noch einmal liebevoll an, dann steckte er sie wieder
in die Tasche und setzte seinen Weg rascher als zuvor fort.




Is.

Als die Vorstellung vorbei war, gehörte Nina zu den ersten, welche den
Schauplatz verließen. Sie wunderte sich, daß Paul ihr nicht folgte.
Wo bleibt dein Bruder? fragte sie Adele.

Er wird sogleich nachkommen, antwortete der Doktor, indem er ihr den
Arm bot. Er hat sich einen Augenblick bei Devcmnis aufgehalten, und beide
werden uns unterwegs einholen. Wir wollen vorangehen, es ist eine beschlossene
Sache, daß Sie, Frau Rina, die Güte haben, den ganzen Tag bei uns zu ver¬
bringen.

Rina empfand eine plötzliche Unruhe. Sie sah Adelen an und bemerkte
in ihrem Gesichte das gleiche Gefühl, denn diese hatte die Bedeutung des Vor¬
falls richtiger als Rina aufgefaßt und wußte, daß ihr Bruder imstande war,
Vergeltung zu üben.

Was giebt es? fragte Rina ängstlich die Freundin. Ist etwas vorgefallen?
Sage es mir, Adele.

Es ist nichts vorgefallen, antwortete der Doktor, indem er seiner Fran
einen Wink gab, sich nichts merken zu lasten; ganz und gar nichts. Josef hatte
noch irgendetwas zu besorgen, und Paul ist bei ihm geblieben. Sie werden
augenblicklich bei uns sein.

Paul und Josef hatten sich am Ausgange aufgestellt und ließen die Zu¬
schauer passiren. Paul sah etwas bleich aus und hatte die Arme, um
seine Aufregung zu beherrschen, über die Brust verschränkt. Die Zuschauer
hatten begriffen, daß etwas erfolgen würde, und es bildeten sich vor dem Zirkus
Gruppen, welche in ungeduldiger Aufregung miteinander flüsterten.

Paul fixirte mit blitzenden Augen die Gräfin und ihr Gefolge, welche
etwas länger auf sich warten ließen. Die Gräfin heuchelte die beste Laune von
der Welt, aber Pauls Blick setzte sie doch in Verwirrung, sie versuchte ihn aus¬
zuhalten, aber sie mußte die Augen zu Boden schlagen.

Der Graf Beldoni that, als ob er dies alles nicht bemerkte, aber verriet sich
durch ein boshaftes Lächeln, welches sich auf seinen dünnen Lippen zeigte. Lau¬
rette fühlte im Innern eine Aufregung, welche ihr ganz neu war.

Als sie mit Valgrande nur noch wenige «schritte von Paul entfernt war,
ging ihr dieser entgegen und sagte höflich, während ringsum tiefes Schweigen


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[0492] Die Lngel auf Lrden. für zwei Tage, für jeden Preis, und um Mitternacht, nicht früher und nicht später, bist du mit der Kutsche auf der Brücke und erwartest mich. Kein Kutscher! Du wirst mich fahren. Verstanden? Cota nickte. Er nahm das Geld und machte sich eilends davon, ohne daß es jemand bemerkte. Als er aber in einiger Entfernung von dem Dorfe war, mäßigte er seinen Schritt, sah sich um, überzeugte sich, daß keine lebende Seele in der Nähe war, und setzte sich in einen Graben. Dann zog er das Geld aus der Tasche und zählte es mit der größten Gier. Neunzig Franks! rief er ans. Ich könnte sie in den Sack stecken und nie wieder zu diesem Teufel zurückkehren. Aber wenn sie ausgegeben wären, was dann? Und ehe ich ihn verlasse, will ich mich rächen! Er blickte die Geldstücke noch einmal liebevoll an, dann steckte er sie wieder in die Tasche und setzte seinen Weg rascher als zuvor fort. Is. Als die Vorstellung vorbei war, gehörte Nina zu den ersten, welche den Schauplatz verließen. Sie wunderte sich, daß Paul ihr nicht folgte. Wo bleibt dein Bruder? fragte sie Adele. Er wird sogleich nachkommen, antwortete der Doktor, indem er ihr den Arm bot. Er hat sich einen Augenblick bei Devcmnis aufgehalten, und beide werden uns unterwegs einholen. Wir wollen vorangehen, es ist eine beschlossene Sache, daß Sie, Frau Rina, die Güte haben, den ganzen Tag bei uns zu ver¬ bringen. Rina empfand eine plötzliche Unruhe. Sie sah Adelen an und bemerkte in ihrem Gesichte das gleiche Gefühl, denn diese hatte die Bedeutung des Vor¬ falls richtiger als Rina aufgefaßt und wußte, daß ihr Bruder imstande war, Vergeltung zu üben. Was giebt es? fragte Rina ängstlich die Freundin. Ist etwas vorgefallen? Sage es mir, Adele. Es ist nichts vorgefallen, antwortete der Doktor, indem er seiner Fran einen Wink gab, sich nichts merken zu lasten; ganz und gar nichts. Josef hatte noch irgendetwas zu besorgen, und Paul ist bei ihm geblieben. Sie werden augenblicklich bei uns sein. Paul und Josef hatten sich am Ausgange aufgestellt und ließen die Zu¬ schauer passiren. Paul sah etwas bleich aus und hatte die Arme, um seine Aufregung zu beherrschen, über die Brust verschränkt. Die Zuschauer hatten begriffen, daß etwas erfolgen würde, und es bildeten sich vor dem Zirkus Gruppen, welche in ungeduldiger Aufregung miteinander flüsterten. Paul fixirte mit blitzenden Augen die Gräfin und ihr Gefolge, welche etwas länger auf sich warten ließen. Die Gräfin heuchelte die beste Laune von der Welt, aber Pauls Blick setzte sie doch in Verwirrung, sie versuchte ihn aus¬ zuhalten, aber sie mußte die Augen zu Boden schlagen. Der Graf Beldoni that, als ob er dies alles nicht bemerkte, aber verriet sich durch ein boshaftes Lächeln, welches sich auf seinen dünnen Lippen zeigte. Lau¬ rette fühlte im Innern eine Aufregung, welche ihr ganz neu war. Als sie mit Valgrande nur noch wenige «schritte von Paul entfernt war, ging ihr dieser entgegen und sagte höflich, während ringsum tiefes Schweigen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/492>, abgerufen am 27.09.2024.