Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Ltroas vom Theater.

Photographie- und Kunstläden, in allen möglichen Posen und Rollenkostümcn
bez. Kostümlosigkeiten zusammen. Ist wirklich ehrbaren Schauspielerinnen noch
niemals der Gedanke gekommen, wieviel Prostituirendes in diesen Schaustellungen
liegt? wie wahrscheinlich, ja sicher es ist, daß eine unmerkliche, langsam, aber
sicher fortschreitende Beeinflussung der im Publikum lebendigen Vorstellungen
auf diese Weise herbeigeführt wird, sodaß schließlich die Überschätzung aus sich
selbst heraus in ihr Gegenteil umschlagen muß? Wir haben garnichts gegen
ehrbare Bühnenmitglieder, gönnen denselben von Herzen alle bürgerliche Gleich¬
berechtigung und alle gesellschaftlichen Ehren und wissen sehr wohl, daß es
durchaus achtbare Angehörige dieses Standes in nicht kleiner Zahl giebt; auch
sind wir nicht so spießbürgerlich, zu verkennen, daß manche Begriffe der guten
bürgerlichen Sitte auf den Schauspielerstaud nicht mit allzugroßer Strenge
angewendet werden dürfen. Aber das alles darf uns doch nicht dagegen blind
machen, daß im großen und ganzen der Schauspielerstand in der Schätzung
derer, die unmittelbar mit seinen Mitgliedern zu thun haben, auch heute noch
aus guten Gründen ein nicht sonderlich hochgeachteter Stand ist. Man mache
nur den Versuch, und man wird finden, daß der am häufigsten auf seine Mitglieder
angewendete (und noch lange nicht höchste) Ausdruck ein solcher ist, der mit
einem L anfängt. Und doch könnten die meisten in sehr befriedigender Lage
sein. Es ist ein unerquickliches und peinliches Kapitel, das der Theater¬
gagen; aber flüchtig berühren müssen wir auch dieses. Wir erinnern uns aus
dem Ende der sechziger Jahre, daß in einer süddeutschen Residenzstadt, in der
Schreiber dieses damals wohnte, aus irgendeinem Grunde einmal eine Ver-
gleichung angestellt wurde zwischen dem Gehalte des ersten Staatsministers
(eines Mannes, der seitdem auf die Entwicklung der politischen Verhältnisse
Deutschlands einen sehr bedeutenden Einfluß ausgeübt hat) und demjenigen
einer Sängerin zweiten oder dritten Ranges, welche damals dort als Prima¬
donna engagirt war. Die Gehalte waren ziemlich genau gleich -- eher war
das der Sängerin noch etwas höher. Hat das denn wirklich einen Sinn? Steht
die kulturhistorische Bedeutung des Theaters dazu wirklich in einem gesunden
Verhältnis? Und doch wollten wir uns die hohen Gagen (zumal bei Sängern
und Sängerinnen, zu deren Schulung ja ein bedeutender Aufwand erforderlich
ist) noch eher gefallen lassen als die unerhörten Verhimmelungen, von denen
wir fortwährend Zeugen sein müssen. LxsmM äoosnt. Wir haben uns die
Ernestine Wegner mit Vergnügen ein paarmal angesehen und haben gegen eine
ehrende Erwähnung derselben in der Presse anläßlich ihres Todes garnichts
einzuwenden; auch soll sie ja eine durchaus ehrbare Person gewesen sein. Aber
wer den Sturm von begeisterten, thränenreichen Totenklagen erlebt hat, der sich
über das Grab dieser Possensoubrette, der Trägerin also einer Kunstgattung,
die doch unter allen Umständen nur als eine untergeordnete bezeichnet werden
kann, entlud, der konnte sich in der That nur darüber wundern, daß nicht sofort


Ltroas vom Theater.

Photographie- und Kunstläden, in allen möglichen Posen und Rollenkostümcn
bez. Kostümlosigkeiten zusammen. Ist wirklich ehrbaren Schauspielerinnen noch
niemals der Gedanke gekommen, wieviel Prostituirendes in diesen Schaustellungen
liegt? wie wahrscheinlich, ja sicher es ist, daß eine unmerkliche, langsam, aber
sicher fortschreitende Beeinflussung der im Publikum lebendigen Vorstellungen
auf diese Weise herbeigeführt wird, sodaß schließlich die Überschätzung aus sich
selbst heraus in ihr Gegenteil umschlagen muß? Wir haben garnichts gegen
ehrbare Bühnenmitglieder, gönnen denselben von Herzen alle bürgerliche Gleich¬
berechtigung und alle gesellschaftlichen Ehren und wissen sehr wohl, daß es
durchaus achtbare Angehörige dieses Standes in nicht kleiner Zahl giebt; auch
sind wir nicht so spießbürgerlich, zu verkennen, daß manche Begriffe der guten
bürgerlichen Sitte auf den Schauspielerstaud nicht mit allzugroßer Strenge
angewendet werden dürfen. Aber das alles darf uns doch nicht dagegen blind
machen, daß im großen und ganzen der Schauspielerstand in der Schätzung
derer, die unmittelbar mit seinen Mitgliedern zu thun haben, auch heute noch
aus guten Gründen ein nicht sonderlich hochgeachteter Stand ist. Man mache
nur den Versuch, und man wird finden, daß der am häufigsten auf seine Mitglieder
angewendete (und noch lange nicht höchste) Ausdruck ein solcher ist, der mit
einem L anfängt. Und doch könnten die meisten in sehr befriedigender Lage
sein. Es ist ein unerquickliches und peinliches Kapitel, das der Theater¬
gagen; aber flüchtig berühren müssen wir auch dieses. Wir erinnern uns aus
dem Ende der sechziger Jahre, daß in einer süddeutschen Residenzstadt, in der
Schreiber dieses damals wohnte, aus irgendeinem Grunde einmal eine Ver-
gleichung angestellt wurde zwischen dem Gehalte des ersten Staatsministers
(eines Mannes, der seitdem auf die Entwicklung der politischen Verhältnisse
Deutschlands einen sehr bedeutenden Einfluß ausgeübt hat) und demjenigen
einer Sängerin zweiten oder dritten Ranges, welche damals dort als Prima¬
donna engagirt war. Die Gehalte waren ziemlich genau gleich — eher war
das der Sängerin noch etwas höher. Hat das denn wirklich einen Sinn? Steht
die kulturhistorische Bedeutung des Theaters dazu wirklich in einem gesunden
Verhältnis? Und doch wollten wir uns die hohen Gagen (zumal bei Sängern
und Sängerinnen, zu deren Schulung ja ein bedeutender Aufwand erforderlich
ist) noch eher gefallen lassen als die unerhörten Verhimmelungen, von denen
wir fortwährend Zeugen sein müssen. LxsmM äoosnt. Wir haben uns die
Ernestine Wegner mit Vergnügen ein paarmal angesehen und haben gegen eine
ehrende Erwähnung derselben in der Presse anläßlich ihres Todes garnichts
einzuwenden; auch soll sie ja eine durchaus ehrbare Person gewesen sein. Aber
wer den Sturm von begeisterten, thränenreichen Totenklagen erlebt hat, der sich
über das Grab dieser Possensoubrette, der Trägerin also einer Kunstgattung,
die doch unter allen Umständen nur als eine untergeordnete bezeichnet werden
kann, entlud, der konnte sich in der That nur darüber wundern, daß nicht sofort


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0434" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/156705"/>
          <fw type="header" place="top"> Ltroas vom Theater.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_1820" prev="#ID_1819" next="#ID_1821"> Photographie- und Kunstläden, in allen möglichen Posen und Rollenkostümcn<lb/>
bez. Kostümlosigkeiten zusammen. Ist wirklich ehrbaren Schauspielerinnen noch<lb/>
niemals der Gedanke gekommen, wieviel Prostituirendes in diesen Schaustellungen<lb/>
liegt? wie wahrscheinlich, ja sicher es ist, daß eine unmerkliche, langsam, aber<lb/>
sicher fortschreitende Beeinflussung der im Publikum lebendigen Vorstellungen<lb/>
auf diese Weise herbeigeführt wird, sodaß schließlich die Überschätzung aus sich<lb/>
selbst heraus in ihr Gegenteil umschlagen muß? Wir haben garnichts gegen<lb/>
ehrbare Bühnenmitglieder, gönnen denselben von Herzen alle bürgerliche Gleich¬<lb/>
berechtigung und alle gesellschaftlichen Ehren und wissen sehr wohl, daß es<lb/>
durchaus achtbare Angehörige dieses Standes in nicht kleiner Zahl giebt; auch<lb/>
sind wir nicht so spießbürgerlich, zu verkennen, daß manche Begriffe der guten<lb/>
bürgerlichen Sitte auf den Schauspielerstaud nicht mit allzugroßer Strenge<lb/>
angewendet werden dürfen. Aber das alles darf uns doch nicht dagegen blind<lb/>
machen, daß im großen und ganzen der Schauspielerstand in der Schätzung<lb/>
derer, die unmittelbar mit seinen Mitgliedern zu thun haben, auch heute noch<lb/>
aus guten Gründen ein nicht sonderlich hochgeachteter Stand ist. Man mache<lb/>
nur den Versuch, und man wird finden, daß der am häufigsten auf seine Mitglieder<lb/>
angewendete (und noch lange nicht höchste) Ausdruck ein solcher ist, der mit<lb/>
einem L anfängt. Und doch könnten die meisten in sehr befriedigender Lage<lb/>
sein. Es ist ein unerquickliches und peinliches Kapitel, das der Theater¬<lb/>
gagen; aber flüchtig berühren müssen wir auch dieses. Wir erinnern uns aus<lb/>
dem Ende der sechziger Jahre, daß in einer süddeutschen Residenzstadt, in der<lb/>
Schreiber dieses damals wohnte, aus irgendeinem Grunde einmal eine Ver-<lb/>
gleichung angestellt wurde zwischen dem Gehalte des ersten Staatsministers<lb/>
(eines Mannes, der seitdem auf die Entwicklung der politischen Verhältnisse<lb/>
Deutschlands einen sehr bedeutenden Einfluß ausgeübt hat) und demjenigen<lb/>
einer Sängerin zweiten oder dritten Ranges, welche damals dort als Prima¬<lb/>
donna engagirt war. Die Gehalte waren ziemlich genau gleich &#x2014; eher war<lb/>
das der Sängerin noch etwas höher. Hat das denn wirklich einen Sinn? Steht<lb/>
die kulturhistorische Bedeutung des Theaters dazu wirklich in einem gesunden<lb/>
Verhältnis? Und doch wollten wir uns die hohen Gagen (zumal bei Sängern<lb/>
und Sängerinnen, zu deren Schulung ja ein bedeutender Aufwand erforderlich<lb/>
ist) noch eher gefallen lassen als die unerhörten Verhimmelungen, von denen<lb/>
wir fortwährend Zeugen sein müssen. LxsmM äoosnt. Wir haben uns die<lb/>
Ernestine Wegner mit Vergnügen ein paarmal angesehen und haben gegen eine<lb/>
ehrende Erwähnung derselben in der Presse anläßlich ihres Todes garnichts<lb/>
einzuwenden; auch soll sie ja eine durchaus ehrbare Person gewesen sein. Aber<lb/>
wer den Sturm von begeisterten, thränenreichen Totenklagen erlebt hat, der sich<lb/>
über das Grab dieser Possensoubrette, der Trägerin also einer Kunstgattung,<lb/>
die doch unter allen Umständen nur als eine untergeordnete bezeichnet werden<lb/>
kann, entlud, der konnte sich in der That nur darüber wundern, daß nicht sofort</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0434] Ltroas vom Theater. Photographie- und Kunstläden, in allen möglichen Posen und Rollenkostümcn bez. Kostümlosigkeiten zusammen. Ist wirklich ehrbaren Schauspielerinnen noch niemals der Gedanke gekommen, wieviel Prostituirendes in diesen Schaustellungen liegt? wie wahrscheinlich, ja sicher es ist, daß eine unmerkliche, langsam, aber sicher fortschreitende Beeinflussung der im Publikum lebendigen Vorstellungen auf diese Weise herbeigeführt wird, sodaß schließlich die Überschätzung aus sich selbst heraus in ihr Gegenteil umschlagen muß? Wir haben garnichts gegen ehrbare Bühnenmitglieder, gönnen denselben von Herzen alle bürgerliche Gleich¬ berechtigung und alle gesellschaftlichen Ehren und wissen sehr wohl, daß es durchaus achtbare Angehörige dieses Standes in nicht kleiner Zahl giebt; auch sind wir nicht so spießbürgerlich, zu verkennen, daß manche Begriffe der guten bürgerlichen Sitte auf den Schauspielerstaud nicht mit allzugroßer Strenge angewendet werden dürfen. Aber das alles darf uns doch nicht dagegen blind machen, daß im großen und ganzen der Schauspielerstand in der Schätzung derer, die unmittelbar mit seinen Mitgliedern zu thun haben, auch heute noch aus guten Gründen ein nicht sonderlich hochgeachteter Stand ist. Man mache nur den Versuch, und man wird finden, daß der am häufigsten auf seine Mitglieder angewendete (und noch lange nicht höchste) Ausdruck ein solcher ist, der mit einem L anfängt. Und doch könnten die meisten in sehr befriedigender Lage sein. Es ist ein unerquickliches und peinliches Kapitel, das der Theater¬ gagen; aber flüchtig berühren müssen wir auch dieses. Wir erinnern uns aus dem Ende der sechziger Jahre, daß in einer süddeutschen Residenzstadt, in der Schreiber dieses damals wohnte, aus irgendeinem Grunde einmal eine Ver- gleichung angestellt wurde zwischen dem Gehalte des ersten Staatsministers (eines Mannes, der seitdem auf die Entwicklung der politischen Verhältnisse Deutschlands einen sehr bedeutenden Einfluß ausgeübt hat) und demjenigen einer Sängerin zweiten oder dritten Ranges, welche damals dort als Prima¬ donna engagirt war. Die Gehalte waren ziemlich genau gleich — eher war das der Sängerin noch etwas höher. Hat das denn wirklich einen Sinn? Steht die kulturhistorische Bedeutung des Theaters dazu wirklich in einem gesunden Verhältnis? Und doch wollten wir uns die hohen Gagen (zumal bei Sängern und Sängerinnen, zu deren Schulung ja ein bedeutender Aufwand erforderlich ist) noch eher gefallen lassen als die unerhörten Verhimmelungen, von denen wir fortwährend Zeugen sein müssen. LxsmM äoosnt. Wir haben uns die Ernestine Wegner mit Vergnügen ein paarmal angesehen und haben gegen eine ehrende Erwähnung derselben in der Presse anläßlich ihres Todes garnichts einzuwenden; auch soll sie ja eine durchaus ehrbare Person gewesen sein. Aber wer den Sturm von begeisterten, thränenreichen Totenklagen erlebt hat, der sich über das Grab dieser Possensoubrette, der Trägerin also einer Kunstgattung, die doch unter allen Umständen nur als eine untergeordnete bezeichnet werden kann, entlud, der konnte sich in der That nur darüber wundern, daß nicht sofort

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/434
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/434>, abgerufen am 27.09.2024.