Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur. und dabei dennoch den skeptisch grübelnden Wissensdrang, die kühle Kritik -- es Der Zauber der persönlichen Anlagen der westfälischen Dichterin ward dnrch Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur. und dabei dennoch den skeptisch grübelnden Wissensdrang, die kühle Kritik — es Der Zauber der persönlichen Anlagen der westfälischen Dichterin ward dnrch <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0380" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/156651"/> <fw type="header" place="top"> Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur.</fw><lb/> <p xml:id="ID_1601" prev="#ID_1600"> und dabei dennoch den skeptisch grübelnden Wissensdrang, die kühle Kritik — es<lb/> war das Eigentümliche dieses Charakters, daß seine größte Kraft sich konzen-<lb/> trirte in der mit stahlscharfer Sonde eindringenden Menschenkenntnis, in dem<lb/> genialen Urteile über Welt und Verhältnisse, in dem ruhig-klaren Blick, der<lb/> durch alle Hcrzensfalten zu schauen schien. Diese Seite seines Wesens ist es<lb/> ja, womit jeder geniale Geist den Horizont derer > die ihm ncchetreten, am<lb/> meisten erweitert und auf rezeptive, verständnisvolle Naturen wenigstens den<lb/> dauerndsten Einfluß übt."</p><lb/> <p xml:id="ID_1602" next="#ID_1603"> Der Zauber der persönlichen Anlagen der westfälischen Dichterin ward dnrch<lb/> die Traditionen verstärkt, deren Trägerin sie war. Alles westfälische, besser<lb/> noch alles münsterländische Leben in Volksart, Sage und Geschichte gehörte<lb/> ihr an, gewann in ihrer Phantasie Gestalt und ward durch ihre Dichtung der<lb/> übrigen deutschen Welt vermittelt. Über den Wert ihrer unendlich stimmungs¬<lb/> vollen Naturbilder, über die Kraft, Plastik und Wärme ihrer poetischen Er¬<lb/> zählungen findet längst keine Erörterung mehr statt, die besten darunter finden<lb/> sich in jeder guten Auswahl und gehören auch in jede gute Auswahl der<lb/> bleibenden Leistungen unsrer neueren Lyrik. Hier soll nur davon die Rede<lb/> sein, in wie eigenartiger, herzgewinnender, menschlich einfacher Weise die Dichterin<lb/> ihre Poesie von ihren religiösen Empfindungen durchleuchten läßt, wie sie kaum eine<lb/> Empfindung ausspricht, welcher nicht auch der Protestant im gegebenen Augen¬<lb/> blicke und an dieser Stelle vollkommen zustimmen könnte. Mit weiblicher Milde<lb/> und mit einer tiefen Scheu, die Andersdenkenden zu verletzen, verbindet sich bei<lb/> Annette von Droste-Hülshoff die reinste Freude an dem Gesamtleben ihrer Kirche<lb/> und das lebendigste Gefühl für jede Segnung, die von derselben ausgeströmt<lb/> ist. Ihr Katholizismus hat mit dem einseitigen, herausfordernden, wühlerisch<lb/> aufreizenden der alten und neuen Gegenreformation kaum irgendwelchen Be¬<lb/> rührungspunkt. Für die Dichterin steht ihre Kirche in ungebrochener Einheit;<lb/> sie kann bald an die Auffassungen und Anschauungen des Mittelalters anknüpfen,<lb/> bald an die Mystik des Angelus Silesius, bald an unmittelbare Erlebnisse.<lb/> Immer aber bleibt sie von der dürftigen Enge und jesuitischen Geschichtsauffassung<lb/> der neuesten Ultramontanen himmelweit entfernt; sie fühlt mit dem wilden<lb/> Christian von Braunschweig, dem man die Inful von Halberstadt „aufgezwungen,"<lb/> dem Helden ihres Gedichts „Die Schlacht im Loener Bruch," und sie zeichnet<lb/> Pfarrherren, die, ohne Schaden an ihrer Seele zu nehmen, im Wolf und<lb/> Kant lesen. Die Domherren und münsterlcindischen Ritter des achtzehnten<lb/> Jahrhunderts, die sich an den französischen Werken des Aufklärungszeitalters<lb/> ergötzt, und jene, die mit Fürstenberg an der Verbesserung der Zustände des<lb/> Münsterlandes gearbeitet haben, waren ihr nicht verhaßt; ihre Phantasie fand<lb/> Wohlgefallen an der Barockgestalt des kriegerischen Bischofs Bernhard von<lb/> Galen wie an andern trotzigen Gesellen. Ihre menschliche Empfindung ver¬<lb/> leugnet sie in keinem Falle, und selbst wenn sie den Mord des Erzbischofs</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0380]
Die katholischen Elemente in der deutschen Literatur.
und dabei dennoch den skeptisch grübelnden Wissensdrang, die kühle Kritik — es
war das Eigentümliche dieses Charakters, daß seine größte Kraft sich konzen-
trirte in der mit stahlscharfer Sonde eindringenden Menschenkenntnis, in dem
genialen Urteile über Welt und Verhältnisse, in dem ruhig-klaren Blick, der
durch alle Hcrzensfalten zu schauen schien. Diese Seite seines Wesens ist es
ja, womit jeder geniale Geist den Horizont derer > die ihm ncchetreten, am
meisten erweitert und auf rezeptive, verständnisvolle Naturen wenigstens den
dauerndsten Einfluß übt."
Der Zauber der persönlichen Anlagen der westfälischen Dichterin ward dnrch
die Traditionen verstärkt, deren Trägerin sie war. Alles westfälische, besser
noch alles münsterländische Leben in Volksart, Sage und Geschichte gehörte
ihr an, gewann in ihrer Phantasie Gestalt und ward durch ihre Dichtung der
übrigen deutschen Welt vermittelt. Über den Wert ihrer unendlich stimmungs¬
vollen Naturbilder, über die Kraft, Plastik und Wärme ihrer poetischen Er¬
zählungen findet längst keine Erörterung mehr statt, die besten darunter finden
sich in jeder guten Auswahl und gehören auch in jede gute Auswahl der
bleibenden Leistungen unsrer neueren Lyrik. Hier soll nur davon die Rede
sein, in wie eigenartiger, herzgewinnender, menschlich einfacher Weise die Dichterin
ihre Poesie von ihren religiösen Empfindungen durchleuchten läßt, wie sie kaum eine
Empfindung ausspricht, welcher nicht auch der Protestant im gegebenen Augen¬
blicke und an dieser Stelle vollkommen zustimmen könnte. Mit weiblicher Milde
und mit einer tiefen Scheu, die Andersdenkenden zu verletzen, verbindet sich bei
Annette von Droste-Hülshoff die reinste Freude an dem Gesamtleben ihrer Kirche
und das lebendigste Gefühl für jede Segnung, die von derselben ausgeströmt
ist. Ihr Katholizismus hat mit dem einseitigen, herausfordernden, wühlerisch
aufreizenden der alten und neuen Gegenreformation kaum irgendwelchen Be¬
rührungspunkt. Für die Dichterin steht ihre Kirche in ungebrochener Einheit;
sie kann bald an die Auffassungen und Anschauungen des Mittelalters anknüpfen,
bald an die Mystik des Angelus Silesius, bald an unmittelbare Erlebnisse.
Immer aber bleibt sie von der dürftigen Enge und jesuitischen Geschichtsauffassung
der neuesten Ultramontanen himmelweit entfernt; sie fühlt mit dem wilden
Christian von Braunschweig, dem man die Inful von Halberstadt „aufgezwungen,"
dem Helden ihres Gedichts „Die Schlacht im Loener Bruch," und sie zeichnet
Pfarrherren, die, ohne Schaden an ihrer Seele zu nehmen, im Wolf und
Kant lesen. Die Domherren und münsterlcindischen Ritter des achtzehnten
Jahrhunderts, die sich an den französischen Werken des Aufklärungszeitalters
ergötzt, und jene, die mit Fürstenberg an der Verbesserung der Zustände des
Münsterlandes gearbeitet haben, waren ihr nicht verhaßt; ihre Phantasie fand
Wohlgefallen an der Barockgestalt des kriegerischen Bischofs Bernhard von
Galen wie an andern trotzigen Gesellen. Ihre menschliche Empfindung ver¬
leugnet sie in keinem Falle, und selbst wenn sie den Mord des Erzbischofs
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