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Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal.

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angesehenen Nördlinger Bürgern in die Georgskirche gestiftet worden waren.
1516 stiftete der Pfarrer Emeran Wayer eine Beweinung Christi. Der Körper
des vom Kreuze herabgenommenen Heilandes ist zwar nicht sei" durchmvdellirt
und von einem unangenehm gelblichen Jnkarnat, aber der Gesichtsausdruck ist
ein unbeschreiblich edler und die Verkürzung des liegenden Körpers trefflich
gelungen; in dem weiblichen Köpfen spricht sich wieder besonders das Schön¬
heitsgefühl des Meisters aus. Etwa gleichzeitig dürfte der dicht neben diesem
Epitaphium hängende Schmerzensmann entstanden sein, ein Bild, das ursprüng¬
lich jedenfalls für ein Hospital bestimmt war. Rechts und links sieht man
Arme und Krüppel, in der Mitte steht auf einer großen Lade, die zum Auf¬
nehmen von Almosen bestimmt ist, der Schmerzensmann, eine großartige nackte
Gestalt mit flatterndem Lendentuch, von leuchtendem Strahlenglanz umflossen.
Die beiden neben diesem Bilde hängenden Tafeln verdanken wieder einer biedern
Nördlingischen Bürgcrfamilie ihre Entstehung. Am Dreikönigsabend des Jahres
1517 starb Anna Bössin, "Jörgen Brügels Münzmeisters Hausfrau," und
stiftete in ihrem Testament eine Tafel in die Georgskirche, welche in künstlerisch
vollendeter Weise darstellt, wie Christus sich von seiner Mutter und den
Schwestern des Lazarus verabschiedet. Als im März 1521 der Münzmeister
Jörg Brügel selbst starb, wurde dieser Tafel noch das Gegenstück hinzugefügt,
welches die Krönung der Maria durch Gottvater und Christus vorführt und
worin außer den würdigen Köpfen der Jünger besonders wieder die Gestalt
der Maria gelungen ist. In demselben Jahre entstand noch ein zweites Werk,
welches als die Hauptleistung des Künstlers gelten kann, von welchem jedoch
nur die Flügelbilder im Rathause bewahrt werden, während sich das Mittelbild
noch an Ort und Stelle in der Georgskirche befindet. Den Auftrag zu diesem
Werke gab dem Künstler Nikolaus Ziegler, der Angehörige eines alten Nörd¬
linger Geschlechts, der sich in den Jahren 1511--19 eine Kapelle in der
Georgskirche hatte erbauen lassen. Das Mittelbild stellt in einer Komposition
von zehn Figuren die Beweinung Christi nach der Kreuzabnahme dar, und man
darf die Verächter der alten Kunst getrost vor dieses Bild stellen und ihnen
die Frage vorlegen, ob hier nicht Ausdruck und Leben, zum Teil sogar Schön¬
heit abgerundeter Form sei. Das herzbrechende Wehe in dem Gesichte der
Maria und der neben ihr knienden Matrone, die ausströmende Klage einer
Jüngerin, die in lautem Schmerz die Arme emporhebt, der wortlose Gram im
Angesicht der seitwärts stehenden Magdalena wirken ergreifend zusammen.
Außerdem sind namentlich die Innenseiten der beiden Flügel, welche die heilige
Elisabeth und die heilige Barbara darstellen, von Bedeutung. Auch Schäufelein
ist ein Meister, der an Ort und Stelle in Nördlingen betrachtet sein will.
Wer nur die langweiligen kleinen Bilder von ihm in Berlin, Nürnberg oder
München kennt, kann nicht ahnen, wie Vortreffliches dieser Maler zuweilen zu
leisten imstande war.


Line Wanderung durch Schwaben,

angesehenen Nördlinger Bürgern in die Georgskirche gestiftet worden waren.
1516 stiftete der Pfarrer Emeran Wayer eine Beweinung Christi. Der Körper
des vom Kreuze herabgenommenen Heilandes ist zwar nicht sei» durchmvdellirt
und von einem unangenehm gelblichen Jnkarnat, aber der Gesichtsausdruck ist
ein unbeschreiblich edler und die Verkürzung des liegenden Körpers trefflich
gelungen; in dem weiblichen Köpfen spricht sich wieder besonders das Schön¬
heitsgefühl des Meisters aus. Etwa gleichzeitig dürfte der dicht neben diesem
Epitaphium hängende Schmerzensmann entstanden sein, ein Bild, das ursprüng¬
lich jedenfalls für ein Hospital bestimmt war. Rechts und links sieht man
Arme und Krüppel, in der Mitte steht auf einer großen Lade, die zum Auf¬
nehmen von Almosen bestimmt ist, der Schmerzensmann, eine großartige nackte
Gestalt mit flatterndem Lendentuch, von leuchtendem Strahlenglanz umflossen.
Die beiden neben diesem Bilde hängenden Tafeln verdanken wieder einer biedern
Nördlingischen Bürgcrfamilie ihre Entstehung. Am Dreikönigsabend des Jahres
1517 starb Anna Bössin, „Jörgen Brügels Münzmeisters Hausfrau," und
stiftete in ihrem Testament eine Tafel in die Georgskirche, welche in künstlerisch
vollendeter Weise darstellt, wie Christus sich von seiner Mutter und den
Schwestern des Lazarus verabschiedet. Als im März 1521 der Münzmeister
Jörg Brügel selbst starb, wurde dieser Tafel noch das Gegenstück hinzugefügt,
welches die Krönung der Maria durch Gottvater und Christus vorführt und
worin außer den würdigen Köpfen der Jünger besonders wieder die Gestalt
der Maria gelungen ist. In demselben Jahre entstand noch ein zweites Werk,
welches als die Hauptleistung des Künstlers gelten kann, von welchem jedoch
nur die Flügelbilder im Rathause bewahrt werden, während sich das Mittelbild
noch an Ort und Stelle in der Georgskirche befindet. Den Auftrag zu diesem
Werke gab dem Künstler Nikolaus Ziegler, der Angehörige eines alten Nörd¬
linger Geschlechts, der sich in den Jahren 1511—19 eine Kapelle in der
Georgskirche hatte erbauen lassen. Das Mittelbild stellt in einer Komposition
von zehn Figuren die Beweinung Christi nach der Kreuzabnahme dar, und man
darf die Verächter der alten Kunst getrost vor dieses Bild stellen und ihnen
die Frage vorlegen, ob hier nicht Ausdruck und Leben, zum Teil sogar Schön¬
heit abgerundeter Form sei. Das herzbrechende Wehe in dem Gesichte der
Maria und der neben ihr knienden Matrone, die ausströmende Klage einer
Jüngerin, die in lautem Schmerz die Arme emporhebt, der wortlose Gram im
Angesicht der seitwärts stehenden Magdalena wirken ergreifend zusammen.
Außerdem sind namentlich die Innenseiten der beiden Flügel, welche die heilige
Elisabeth und die heilige Barbara darstellen, von Bedeutung. Auch Schäufelein
ist ein Meister, der an Ort und Stelle in Nördlingen betrachtet sein will.
Wer nur die langweiligen kleinen Bilder von ihm in Berlin, Nürnberg oder
München kennt, kann nicht ahnen, wie Vortreffliches dieser Maler zuweilen zu
leisten imstande war.


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[0032] Line Wanderung durch Schwaben, angesehenen Nördlinger Bürgern in die Georgskirche gestiftet worden waren. 1516 stiftete der Pfarrer Emeran Wayer eine Beweinung Christi. Der Körper des vom Kreuze herabgenommenen Heilandes ist zwar nicht sei» durchmvdellirt und von einem unangenehm gelblichen Jnkarnat, aber der Gesichtsausdruck ist ein unbeschreiblich edler und die Verkürzung des liegenden Körpers trefflich gelungen; in dem weiblichen Köpfen spricht sich wieder besonders das Schön¬ heitsgefühl des Meisters aus. Etwa gleichzeitig dürfte der dicht neben diesem Epitaphium hängende Schmerzensmann entstanden sein, ein Bild, das ursprüng¬ lich jedenfalls für ein Hospital bestimmt war. Rechts und links sieht man Arme und Krüppel, in der Mitte steht auf einer großen Lade, die zum Auf¬ nehmen von Almosen bestimmt ist, der Schmerzensmann, eine großartige nackte Gestalt mit flatterndem Lendentuch, von leuchtendem Strahlenglanz umflossen. Die beiden neben diesem Bilde hängenden Tafeln verdanken wieder einer biedern Nördlingischen Bürgcrfamilie ihre Entstehung. Am Dreikönigsabend des Jahres 1517 starb Anna Bössin, „Jörgen Brügels Münzmeisters Hausfrau," und stiftete in ihrem Testament eine Tafel in die Georgskirche, welche in künstlerisch vollendeter Weise darstellt, wie Christus sich von seiner Mutter und den Schwestern des Lazarus verabschiedet. Als im März 1521 der Münzmeister Jörg Brügel selbst starb, wurde dieser Tafel noch das Gegenstück hinzugefügt, welches die Krönung der Maria durch Gottvater und Christus vorführt und worin außer den würdigen Köpfen der Jünger besonders wieder die Gestalt der Maria gelungen ist. In demselben Jahre entstand noch ein zweites Werk, welches als die Hauptleistung des Künstlers gelten kann, von welchem jedoch nur die Flügelbilder im Rathause bewahrt werden, während sich das Mittelbild noch an Ort und Stelle in der Georgskirche befindet. Den Auftrag zu diesem Werke gab dem Künstler Nikolaus Ziegler, der Angehörige eines alten Nörd¬ linger Geschlechts, der sich in den Jahren 1511—19 eine Kapelle in der Georgskirche hatte erbauen lassen. Das Mittelbild stellt in einer Komposition von zehn Figuren die Beweinung Christi nach der Kreuzabnahme dar, und man darf die Verächter der alten Kunst getrost vor dieses Bild stellen und ihnen die Frage vorlegen, ob hier nicht Ausdruck und Leben, zum Teil sogar Schön¬ heit abgerundeter Form sei. Das herzbrechende Wehe in dem Gesichte der Maria und der neben ihr knienden Matrone, die ausströmende Klage einer Jüngerin, die in lautem Schmerz die Arme emporhebt, der wortlose Gram im Angesicht der seitwärts stehenden Magdalena wirken ergreifend zusammen. Außerdem sind namentlich die Innenseiten der beiden Flügel, welche die heilige Elisabeth und die heilige Barbara darstellen, von Bedeutung. Auch Schäufelein ist ein Meister, der an Ort und Stelle in Nördlingen betrachtet sein will. Wer nur die langweiligen kleinen Bilder von ihm in Berlin, Nürnberg oder München kennt, kann nicht ahnen, wie Vortreffliches dieser Maler zuweilen zu leisten imstande war.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 43, 1884, Drittes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341839_156270/32>, abgerufen am 27.09.2024.