Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Aus den Tagen der Klassiker.

trauen und die Abneigung gegen Dalbcrgs politische Vergangenheit zurückgeführt
werden konnten.

Und doch hat das Glück, das ihn seit seiner Jugend begleitet und in
den letzten stürmischen Jahren so völlig verlassen hatte, Dalberg noch einen
stillen, segensreichen, eine Art Verklärung über seinen Lebensabend werfenden
Abschluß seines Daseins gegönnt. Von 1814 bis zum 10. Februar 1817 lebte
er in Regensburg, seinen erzbischöflichen Pflichten genügend und in rührender
unermüdlicher Sorgfalt um die bedrängte oder bedrohte Existenz andrer bemüht.
Er dürfte von sich sagen, daß er "keine treuen Angehörigen, keinen Freund
seinen: Privatvorteil aufgeopfert habe" (wobei er nur vergaß, wie viele er seiner
politischen Charakterlosigkeit aufgeopfert hatte), der größte Teil der Summe,
welche ihm der Wiener Kongreß zu seinem standesgemäßen Lebensunterhalt
überwies, floß in die Hände der Armen und Bedürftigen. Und da nun seine
Privatwohlthätigkeit mit der stillen, anspruchslosen Privatcxistenz in Einklang
stand, da er keinen fremden Antrieben und Befehlen mehr zu folgen, keinen
andern Interessen mehr zu dienen hatte, als den vollberechtigter, die mit seinem
geistlichen Berufe zusammenhingen, so genoß er kurze Zeit hindurch eines
innern Friedens, der ihm, trotz seiner fortdauernden Verblendung über sein
politisches Thun und Treiben, während der ganzen Napoleonischen Ära unbe¬
dingt gefehlt hatte. So mochten nach seinem Tode die Freunde seiner Jugend
wie die Menschen, unter denen er zuletzt gelebt hatte, sich seiner nicht ohne
Anteil und Rührung erinnern. Und so ward es sein Geschick, daß man, wo
seiner pietätvoll gedacht werden sollte, immer auf diese letzten ehrgcizfreien,
resignirten und lebensmüden Regensburger Jahre oder auf die Zeit zurückweisen
mußte, in welcher seine politische Rolle noch verhältnismäßig harmlos und
unbedeutend war. Wilhelm von Humboldt, der aus seinen eignen Jugendtagen,
aus der Erfurter Zeit, da er um Karoline von Dachröden geworben, ein herz¬
liches Gedenken an den "Koadjntvr" bewahrt hatte, schrieb 1831 an Karoline
von Wolzogen: "Dalbergs auch nach meinem Urteil in seiner Zeit ganz einzig
dastehendes Wesen der Vergessenheit entrissen und für die Zukunft hingestellt
zu sehen, wünschte ich gar sehr. Nur Sie können es. Man müßte es aber
so machen, daß man weder auf seine schriftstellerische noch auf seine politische
Seite Gewicht zu legen brauchte. In beiden giebt er Blößen. Man muß ihn
zeigen, worin er wirklich einzig war: in dem großen Adel des Gefühls und der
Gesinnung, der unendlichen Grazie, dem regbaren Sinn, dem unerschöpflichen
Reichtum an Anregung zu Ideen, wenn auch nicht immer wirkliche Ideen daraus
wurden, woraus auch sein Witz entsprang, seine Freiheit von allen kleinlichen
Rücksichten. Diese Seiten an, Menschen verlöschen im Leben, die Geschichte
deutet sie kaum an, sie sind aber doch die Angeln der Weltbegebenheiten, da
sie von Geschlecht zu Geschlecht das Innerste der Menschen anregen."


Aus den Tagen der Klassiker.

trauen und die Abneigung gegen Dalbcrgs politische Vergangenheit zurückgeführt
werden konnten.

Und doch hat das Glück, das ihn seit seiner Jugend begleitet und in
den letzten stürmischen Jahren so völlig verlassen hatte, Dalberg noch einen
stillen, segensreichen, eine Art Verklärung über seinen Lebensabend werfenden
Abschluß seines Daseins gegönnt. Von 1814 bis zum 10. Februar 1817 lebte
er in Regensburg, seinen erzbischöflichen Pflichten genügend und in rührender
unermüdlicher Sorgfalt um die bedrängte oder bedrohte Existenz andrer bemüht.
Er dürfte von sich sagen, daß er „keine treuen Angehörigen, keinen Freund
seinen: Privatvorteil aufgeopfert habe" (wobei er nur vergaß, wie viele er seiner
politischen Charakterlosigkeit aufgeopfert hatte), der größte Teil der Summe,
welche ihm der Wiener Kongreß zu seinem standesgemäßen Lebensunterhalt
überwies, floß in die Hände der Armen und Bedürftigen. Und da nun seine
Privatwohlthätigkeit mit der stillen, anspruchslosen Privatcxistenz in Einklang
stand, da er keinen fremden Antrieben und Befehlen mehr zu folgen, keinen
andern Interessen mehr zu dienen hatte, als den vollberechtigter, die mit seinem
geistlichen Berufe zusammenhingen, so genoß er kurze Zeit hindurch eines
innern Friedens, der ihm, trotz seiner fortdauernden Verblendung über sein
politisches Thun und Treiben, während der ganzen Napoleonischen Ära unbe¬
dingt gefehlt hatte. So mochten nach seinem Tode die Freunde seiner Jugend
wie die Menschen, unter denen er zuletzt gelebt hatte, sich seiner nicht ohne
Anteil und Rührung erinnern. Und so ward es sein Geschick, daß man, wo
seiner pietätvoll gedacht werden sollte, immer auf diese letzten ehrgcizfreien,
resignirten und lebensmüden Regensburger Jahre oder auf die Zeit zurückweisen
mußte, in welcher seine politische Rolle noch verhältnismäßig harmlos und
unbedeutend war. Wilhelm von Humboldt, der aus seinen eignen Jugendtagen,
aus der Erfurter Zeit, da er um Karoline von Dachröden geworben, ein herz¬
liches Gedenken an den „Koadjntvr" bewahrt hatte, schrieb 1831 an Karoline
von Wolzogen: „Dalbergs auch nach meinem Urteil in seiner Zeit ganz einzig
dastehendes Wesen der Vergessenheit entrissen und für die Zukunft hingestellt
zu sehen, wünschte ich gar sehr. Nur Sie können es. Man müßte es aber
so machen, daß man weder auf seine schriftstellerische noch auf seine politische
Seite Gewicht zu legen brauchte. In beiden giebt er Blößen. Man muß ihn
zeigen, worin er wirklich einzig war: in dem großen Adel des Gefühls und der
Gesinnung, der unendlichen Grazie, dem regbaren Sinn, dem unerschöpflichen
Reichtum an Anregung zu Ideen, wenn auch nicht immer wirkliche Ideen daraus
wurden, woraus auch sein Witz entsprang, seine Freiheit von allen kleinlichen
Rücksichten. Diese Seiten an, Menschen verlöschen im Leben, die Geschichte
deutet sie kaum an, sie sind aber doch die Angeln der Weltbegebenheiten, da
sie von Geschlecht zu Geschlecht das Innerste der Menschen anregen."


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0089" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154254"/>
          <fw type="header" place="top"> Aus den Tagen der Klassiker.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_249" prev="#ID_248"> trauen und die Abneigung gegen Dalbcrgs politische Vergangenheit zurückgeführt<lb/>
werden konnten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_250"> Und doch hat das Glück, das ihn seit seiner Jugend begleitet und in<lb/>
den letzten stürmischen Jahren so völlig verlassen hatte, Dalberg noch einen<lb/>
stillen, segensreichen, eine Art Verklärung über seinen Lebensabend werfenden<lb/>
Abschluß seines Daseins gegönnt. Von 1814 bis zum 10. Februar 1817 lebte<lb/>
er in Regensburg, seinen erzbischöflichen Pflichten genügend und in rührender<lb/>
unermüdlicher Sorgfalt um die bedrängte oder bedrohte Existenz andrer bemüht.<lb/>
Er dürfte von sich sagen, daß er &#x201E;keine treuen Angehörigen, keinen Freund<lb/>
seinen: Privatvorteil aufgeopfert habe" (wobei er nur vergaß, wie viele er seiner<lb/>
politischen Charakterlosigkeit aufgeopfert hatte), der größte Teil der Summe,<lb/>
welche ihm der Wiener Kongreß zu seinem standesgemäßen Lebensunterhalt<lb/>
überwies, floß in die Hände der Armen und Bedürftigen. Und da nun seine<lb/>
Privatwohlthätigkeit mit der stillen, anspruchslosen Privatcxistenz in Einklang<lb/>
stand, da er keinen fremden Antrieben und Befehlen mehr zu folgen, keinen<lb/>
andern Interessen mehr zu dienen hatte, als den vollberechtigter, die mit seinem<lb/>
geistlichen Berufe zusammenhingen, so genoß er kurze Zeit hindurch eines<lb/>
innern Friedens, der ihm, trotz seiner fortdauernden Verblendung über sein<lb/>
politisches Thun und Treiben, während der ganzen Napoleonischen Ära unbe¬<lb/>
dingt gefehlt hatte. So mochten nach seinem Tode die Freunde seiner Jugend<lb/>
wie die Menschen, unter denen er zuletzt gelebt hatte, sich seiner nicht ohne<lb/>
Anteil und Rührung erinnern. Und so ward es sein Geschick, daß man, wo<lb/>
seiner pietätvoll gedacht werden sollte, immer auf diese letzten ehrgcizfreien,<lb/>
resignirten und lebensmüden Regensburger Jahre oder auf die Zeit zurückweisen<lb/>
mußte, in welcher seine politische Rolle noch verhältnismäßig harmlos und<lb/>
unbedeutend war. Wilhelm von Humboldt, der aus seinen eignen Jugendtagen,<lb/>
aus der Erfurter Zeit, da er um Karoline von Dachröden geworben, ein herz¬<lb/>
liches Gedenken an den &#x201E;Koadjntvr" bewahrt hatte, schrieb 1831 an Karoline<lb/>
von Wolzogen: &#x201E;Dalbergs auch nach meinem Urteil in seiner Zeit ganz einzig<lb/>
dastehendes Wesen der Vergessenheit entrissen und für die Zukunft hingestellt<lb/>
zu sehen, wünschte ich gar sehr. Nur Sie können es. Man müßte es aber<lb/>
so machen, daß man weder auf seine schriftstellerische noch auf seine politische<lb/>
Seite Gewicht zu legen brauchte. In beiden giebt er Blößen. Man muß ihn<lb/>
zeigen, worin er wirklich einzig war: in dem großen Adel des Gefühls und der<lb/>
Gesinnung, der unendlichen Grazie, dem regbaren Sinn, dem unerschöpflichen<lb/>
Reichtum an Anregung zu Ideen, wenn auch nicht immer wirkliche Ideen daraus<lb/>
wurden, woraus auch sein Witz entsprang, seine Freiheit von allen kleinlichen<lb/>
Rücksichten. Diese Seiten an, Menschen verlöschen im Leben, die Geschichte<lb/>
deutet sie kaum an, sie sind aber doch die Angeln der Weltbegebenheiten, da<lb/>
sie von Geschlecht zu Geschlecht das Innerste der Menschen anregen."</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0089] Aus den Tagen der Klassiker. trauen und die Abneigung gegen Dalbcrgs politische Vergangenheit zurückgeführt werden konnten. Und doch hat das Glück, das ihn seit seiner Jugend begleitet und in den letzten stürmischen Jahren so völlig verlassen hatte, Dalberg noch einen stillen, segensreichen, eine Art Verklärung über seinen Lebensabend werfenden Abschluß seines Daseins gegönnt. Von 1814 bis zum 10. Februar 1817 lebte er in Regensburg, seinen erzbischöflichen Pflichten genügend und in rührender unermüdlicher Sorgfalt um die bedrängte oder bedrohte Existenz andrer bemüht. Er dürfte von sich sagen, daß er „keine treuen Angehörigen, keinen Freund seinen: Privatvorteil aufgeopfert habe" (wobei er nur vergaß, wie viele er seiner politischen Charakterlosigkeit aufgeopfert hatte), der größte Teil der Summe, welche ihm der Wiener Kongreß zu seinem standesgemäßen Lebensunterhalt überwies, floß in die Hände der Armen und Bedürftigen. Und da nun seine Privatwohlthätigkeit mit der stillen, anspruchslosen Privatcxistenz in Einklang stand, da er keinen fremden Antrieben und Befehlen mehr zu folgen, keinen andern Interessen mehr zu dienen hatte, als den vollberechtigter, die mit seinem geistlichen Berufe zusammenhingen, so genoß er kurze Zeit hindurch eines innern Friedens, der ihm, trotz seiner fortdauernden Verblendung über sein politisches Thun und Treiben, während der ganzen Napoleonischen Ära unbe¬ dingt gefehlt hatte. So mochten nach seinem Tode die Freunde seiner Jugend wie die Menschen, unter denen er zuletzt gelebt hatte, sich seiner nicht ohne Anteil und Rührung erinnern. Und so ward es sein Geschick, daß man, wo seiner pietätvoll gedacht werden sollte, immer auf diese letzten ehrgcizfreien, resignirten und lebensmüden Regensburger Jahre oder auf die Zeit zurückweisen mußte, in welcher seine politische Rolle noch verhältnismäßig harmlos und unbedeutend war. Wilhelm von Humboldt, der aus seinen eignen Jugendtagen, aus der Erfurter Zeit, da er um Karoline von Dachröden geworben, ein herz¬ liches Gedenken an den „Koadjntvr" bewahrt hatte, schrieb 1831 an Karoline von Wolzogen: „Dalbergs auch nach meinem Urteil in seiner Zeit ganz einzig dastehendes Wesen der Vergessenheit entrissen und für die Zukunft hingestellt zu sehen, wünschte ich gar sehr. Nur Sie können es. Man müßte es aber so machen, daß man weder auf seine schriftstellerische noch auf seine politische Seite Gewicht zu legen brauchte. In beiden giebt er Blößen. Man muß ihn zeigen, worin er wirklich einzig war: in dem großen Adel des Gefühls und der Gesinnung, der unendlichen Grazie, dem regbaren Sinn, dem unerschöpflichen Reichtum an Anregung zu Ideen, wenn auch nicht immer wirkliche Ideen daraus wurden, woraus auch sein Witz entsprang, seine Freiheit von allen kleinlichen Rücksichten. Diese Seiten an, Menschen verlöschen im Leben, die Geschichte deutet sie kaum an, sie sind aber doch die Angeln der Weltbegebenheiten, da sie von Geschlecht zu Geschlecht das Innerste der Menschen anregen."

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/89
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/89>, abgerufen am 01.09.2024.