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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Aus den Tagen der Klassiker.

wollten nicht einmal für die standesmäßige Repräsentation ausreichen. Umso
freigebiger war er einstweilen mit Versprechungen und kleinen Aufmerksamkeiten.
Wenn er nicht in der Lage war, sogleich Entscheidendes sür Schillers Lage thun
zu können und wenn Schiller wohl zu große und zu sichere Hoffnungen auf
den "Koadjntor" setzte, so war doch der Verkehr beider ein nahezu freundschaft¬
licher. In Dalbergs Hause in Erfurt spielte ein Teil des Liebesromans Schillers
mit Charlotte von Lengefeld, Dalberg hätte gern Schiller "die Hochzeit aus¬
gerichtet" und malte wenigstens ein abscheulich-schönes Bild des Hymen zu der¬
selben. Während eines längern Besuches bei dem Koadjutor in den Weihnachts¬
ferien von 1790 zu 1791 faßte Schiller den Plan zur Wallensteintragödie,
während desselben Besuchs aber kam auch jene Krankheit zum Ausbruch, die
Schillers körperliche Gesundheit frühe brach, ohne seine geistige antasten zu
können. Dalberg zeigte sich wahrhaft bekümmert um ihn, suchte ihm im Herbst
1791 die Nekonvalescenzzeit in jeder Beziehung zu erleichtern und angenehm
zu gestalten. Und wenn der Statthalter natürlich einem Schiller gegenüber
mit besondrer Beflissenheit die Anmut seiner geselligen Formen und den Eifer
der Teilnahme an des Dichters Leistungen und Plänen entfaltete, sodaß Schiller,
wie er am 30. Oktober 1791 an Körner schrieb, "im Umgang mit Dalberg
viel Vergnügen genoß," so bethätigte er doch auch in hundert andern minder
bedeutenden Fällen einen Teil jener Eigenschaften, die ihn zu einem hervor¬
ragenden Vertreter damaliger Geselligkeit, damaligen guten Tones machten. Die
Geschichte unsrer Sturm- und Drangperiode und der ihr folgenden Zeit nach
der sozialen Seite ist noch nicht geschrieben, wird sie es je, so muß Dalbergs
Name auf jedem Blatte dieser Gesellschaftsgeschichte der Sturm- und Drangzeit
erscheinen. Und es darf nicht vergessen werden, daß der Koadjutor unter allen
Schwankungen und bedenklichen Wechselfällen seiner spätern Laufbahn die hu¬
manen Anschauungen und Auffassungen seiner sozialen Pflichten festhielt, die er
in Erfurt zuerst erprobte. Lebendige Teilnahme an andern, freundschaftliche
Fürsorge für seine Umgebungen, feingebildete Umgangsformen, das Bedürfnis
geistiger Genüsse und Anregungen, kurz alle bessern Seiten seiner Natur, alle
erfreulichen Wirkungen, welche die Bildungsperiode, in der er emporwuchs, selbst
auf schwache Naturen hatte, blieben Dalbergs Eigentum. Seine literarischen
Neigungen konnten ihn nicht über den Mangel an Bestimmtheit der Anschauung,
an Schärfe des Urteils und Tiefe des Gefühls, der ihm von Haus aus an¬
haftete, hinaussehen. Doch wurden sie die Vermittler von persönlichen Be¬
ziehungen, mit denen der Koadjutor der deutschen Literatur größere Dienste
leistete als mit den "Betrachtungen über das Universum" und den "Grundsätzen
der Ästhetik," welche er in der Erfurter Zeit schrieb. Schiller war bekanntlich
ein paar Jahre später bei Gründung der "Hören," zu denen er Dalberg als
Mitarbeiter eingeladen und für die er pomphaft die Beteiligung "Seiner Erz¬
bischöflichen Gnaden" angekündigt hatte, in gelinder Verzweiflung über die "un-


Aus den Tagen der Klassiker.

wollten nicht einmal für die standesmäßige Repräsentation ausreichen. Umso
freigebiger war er einstweilen mit Versprechungen und kleinen Aufmerksamkeiten.
Wenn er nicht in der Lage war, sogleich Entscheidendes sür Schillers Lage thun
zu können und wenn Schiller wohl zu große und zu sichere Hoffnungen auf
den „Koadjntor" setzte, so war doch der Verkehr beider ein nahezu freundschaft¬
licher. In Dalbergs Hause in Erfurt spielte ein Teil des Liebesromans Schillers
mit Charlotte von Lengefeld, Dalberg hätte gern Schiller „die Hochzeit aus¬
gerichtet" und malte wenigstens ein abscheulich-schönes Bild des Hymen zu der¬
selben. Während eines längern Besuches bei dem Koadjutor in den Weihnachts¬
ferien von 1790 zu 1791 faßte Schiller den Plan zur Wallensteintragödie,
während desselben Besuchs aber kam auch jene Krankheit zum Ausbruch, die
Schillers körperliche Gesundheit frühe brach, ohne seine geistige antasten zu
können. Dalberg zeigte sich wahrhaft bekümmert um ihn, suchte ihm im Herbst
1791 die Nekonvalescenzzeit in jeder Beziehung zu erleichtern und angenehm
zu gestalten. Und wenn der Statthalter natürlich einem Schiller gegenüber
mit besondrer Beflissenheit die Anmut seiner geselligen Formen und den Eifer
der Teilnahme an des Dichters Leistungen und Plänen entfaltete, sodaß Schiller,
wie er am 30. Oktober 1791 an Körner schrieb, „im Umgang mit Dalberg
viel Vergnügen genoß," so bethätigte er doch auch in hundert andern minder
bedeutenden Fällen einen Teil jener Eigenschaften, die ihn zu einem hervor¬
ragenden Vertreter damaliger Geselligkeit, damaligen guten Tones machten. Die
Geschichte unsrer Sturm- und Drangperiode und der ihr folgenden Zeit nach
der sozialen Seite ist noch nicht geschrieben, wird sie es je, so muß Dalbergs
Name auf jedem Blatte dieser Gesellschaftsgeschichte der Sturm- und Drangzeit
erscheinen. Und es darf nicht vergessen werden, daß der Koadjutor unter allen
Schwankungen und bedenklichen Wechselfällen seiner spätern Laufbahn die hu¬
manen Anschauungen und Auffassungen seiner sozialen Pflichten festhielt, die er
in Erfurt zuerst erprobte. Lebendige Teilnahme an andern, freundschaftliche
Fürsorge für seine Umgebungen, feingebildete Umgangsformen, das Bedürfnis
geistiger Genüsse und Anregungen, kurz alle bessern Seiten seiner Natur, alle
erfreulichen Wirkungen, welche die Bildungsperiode, in der er emporwuchs, selbst
auf schwache Naturen hatte, blieben Dalbergs Eigentum. Seine literarischen
Neigungen konnten ihn nicht über den Mangel an Bestimmtheit der Anschauung,
an Schärfe des Urteils und Tiefe des Gefühls, der ihm von Haus aus an¬
haftete, hinaussehen. Doch wurden sie die Vermittler von persönlichen Be¬
ziehungen, mit denen der Koadjutor der deutschen Literatur größere Dienste
leistete als mit den „Betrachtungen über das Universum" und den „Grundsätzen
der Ästhetik," welche er in der Erfurter Zeit schrieb. Schiller war bekanntlich
ein paar Jahre später bei Gründung der „Hören," zu denen er Dalberg als
Mitarbeiter eingeladen und für die er pomphaft die Beteiligung „Seiner Erz¬
bischöflichen Gnaden" angekündigt hatte, in gelinder Verzweiflung über die „un-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/79>, abgerufen am 01.09.2024.