Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.Aus den Tagen der Klassiker. gegenwärtig ist, war in den Kreisen, in denen Karl von Dalberg aufwuchs, so Karl von Dalbergs beste und erquicklichste Lebensperiode war ohne alle Grenzboten IV. 1883. S
Aus den Tagen der Klassiker. gegenwärtig ist, war in den Kreisen, in denen Karl von Dalberg aufwuchs, so Karl von Dalbergs beste und erquicklichste Lebensperiode war ohne alle Grenzboten IV. 1883. S
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0075" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154240"/> <fw type="header" place="top"> Aus den Tagen der Klassiker.</fw><lb/> <p xml:id="ID_216" prev="#ID_215"> gegenwärtig ist, war in den Kreisen, in denen Karl von Dalberg aufwuchs, so<lb/> vollständig vergessen, daß selbst die natürlichen Anlagen und die geistige Reg¬<lb/> samkeit dem jungen Freiherr» über die Äußerlichkeit und Flüchtigkeit seiner<lb/> Bildung nie hinwegzuhelfen vermochten, Dalberg blieb Zeit seines Lebens Dilet¬<lb/> tant im schlimmen Sinne des Wortes, jn man kann sagen, daß er den Typus<lb/> des wohlmeinenden, strebsamen und doch nie zum Kern der Dinge dringenden<lb/> Dilettanten in ungewöhnlich liebenswürdiger Weise repräsentirte. Auch als er<lb/> mitten in der größten geistigen Bewegung des Jahrhunderts stand, mit leben¬<lb/> digem, ja rastlosem Anteile die Erzeugnisse der deutschen Dichtung entgegennahm<lb/> und ihre Bestrebungen verfolgte, wollte er dennoch jederzeit die Resultate ohne<lb/> die geistige Arbeit gewinnen und dem geistigen Genuß das Opfer einer Ver¬<lb/> tiefung des eignen Wesens nicht bringen. Es lag in seiner Natur wie in seinen<lb/> Jugenderlebnisscn, daß er die flüchtige Wärme, die ihn für alle Knlturbestrebungen<lb/> erfüllte, die aufrichtig gemeinten, aber unendlich matten Versuche zur Selbst¬<lb/> thätigkeit mit der tiefgehenden Leidenschaft und Lebensarbeit gleichstellte oder<lb/> verwechselte, durch welche sich eben damals die bessern Geister der Nation zum<lb/> Ideal echter, aber auch starker Humanität durchrangen. Dalberg gehörte zu<lb/> den Naturen, auf welche die große Periode mehr anregend als bildend, mehr<lb/> verweichlichend als seelenerhebend und stählend einwirkte. Der Grund davon<lb/> lag zum guten Teil in der flachen, mühelosem Art seiner Entwicklung, in seiner<lb/> dilettantischen, „genialisch flachen" Bildung. Der tapfere Eh. G. Körner, Schillers<lb/> Dresdner Freund, äußerte schon 1791, als Schiller selbst noch eine große Meinung<lb/> von dem Koadjntor hegte: „Selbst die Polyhistvrie des Koadjutors ist in solchen<lb/> Augenblicken behaglich, wo man immer nur abwechselnde Geistesbcschäftigung<lb/> verlangt, ohne auf einer besondern Idee haften zu wollen. Noch kann ich mir<lb/> keine deutliche Vorstellung von der Art seines Kopfes machen."</p><lb/> <p xml:id="ID_217" next="#ID_218"> Karl von Dalbergs beste und erquicklichste Lebensperiode war ohne alle<lb/> Frage seine Statthalterschaft des Fürstentums Erfurt, welche er im Oktober<lb/> 1772 antrat. Im achtundzwanzigsten Lebensjahre sah sich der junge Domherr<lb/> durch das Vertrauen des Kurfürsten Emmerich Joseph (von Breidenbach-<lb/> Bürresheim) von Mainz mit einer der wichtigsten Stellungen bekleidet, die im<lb/> Mainzer Kurstaat überhaupt vorhanden waren. Die Stadt Erfurt mit ihrem<lb/> Gebiet bildete einen der drei räumlich weit getrennten Teile dieses Staates,<lb/> der nach dem Reichsrecht als der Staat des Kurfürsten-Erzkanzlers der erste<lb/> im Reiche hieß, was freilich mit der Wirklichkeit gewaltig kontrastirte. Zum<lb/> „Fürstentum" Erfurt gehörten außer der Stadt die Ämter Toudorf, Atzmanns-<lb/> dorf, Mühlberg, Vargnla, Gispersleben, Vippach, Jsseroda, Mach und Stadt<lb/> und Amt Sömmerda, zu denen dann in den neunziger Jahren noch die Hatz-<lb/> feldischen Grafschaften Kranichfeld und Gleichen als erledigte kurmainzische Lehen<lb/> kamen. Immerhin war es ein Schauplatz, auf dem Dalberg, nach Goethes<lb/> Ausdruck, „Welt und Regiment probiren konnte." Mit der Ernennung zum</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 1883. S</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0075]
Aus den Tagen der Klassiker.
gegenwärtig ist, war in den Kreisen, in denen Karl von Dalberg aufwuchs, so
vollständig vergessen, daß selbst die natürlichen Anlagen und die geistige Reg¬
samkeit dem jungen Freiherr» über die Äußerlichkeit und Flüchtigkeit seiner
Bildung nie hinwegzuhelfen vermochten, Dalberg blieb Zeit seines Lebens Dilet¬
tant im schlimmen Sinne des Wortes, jn man kann sagen, daß er den Typus
des wohlmeinenden, strebsamen und doch nie zum Kern der Dinge dringenden
Dilettanten in ungewöhnlich liebenswürdiger Weise repräsentirte. Auch als er
mitten in der größten geistigen Bewegung des Jahrhunderts stand, mit leben¬
digem, ja rastlosem Anteile die Erzeugnisse der deutschen Dichtung entgegennahm
und ihre Bestrebungen verfolgte, wollte er dennoch jederzeit die Resultate ohne
die geistige Arbeit gewinnen und dem geistigen Genuß das Opfer einer Ver¬
tiefung des eignen Wesens nicht bringen. Es lag in seiner Natur wie in seinen
Jugenderlebnisscn, daß er die flüchtige Wärme, die ihn für alle Knlturbestrebungen
erfüllte, die aufrichtig gemeinten, aber unendlich matten Versuche zur Selbst¬
thätigkeit mit der tiefgehenden Leidenschaft und Lebensarbeit gleichstellte oder
verwechselte, durch welche sich eben damals die bessern Geister der Nation zum
Ideal echter, aber auch starker Humanität durchrangen. Dalberg gehörte zu
den Naturen, auf welche die große Periode mehr anregend als bildend, mehr
verweichlichend als seelenerhebend und stählend einwirkte. Der Grund davon
lag zum guten Teil in der flachen, mühelosem Art seiner Entwicklung, in seiner
dilettantischen, „genialisch flachen" Bildung. Der tapfere Eh. G. Körner, Schillers
Dresdner Freund, äußerte schon 1791, als Schiller selbst noch eine große Meinung
von dem Koadjntor hegte: „Selbst die Polyhistvrie des Koadjutors ist in solchen
Augenblicken behaglich, wo man immer nur abwechselnde Geistesbcschäftigung
verlangt, ohne auf einer besondern Idee haften zu wollen. Noch kann ich mir
keine deutliche Vorstellung von der Art seines Kopfes machen."
Karl von Dalbergs beste und erquicklichste Lebensperiode war ohne alle
Frage seine Statthalterschaft des Fürstentums Erfurt, welche er im Oktober
1772 antrat. Im achtundzwanzigsten Lebensjahre sah sich der junge Domherr
durch das Vertrauen des Kurfürsten Emmerich Joseph (von Breidenbach-
Bürresheim) von Mainz mit einer der wichtigsten Stellungen bekleidet, die im
Mainzer Kurstaat überhaupt vorhanden waren. Die Stadt Erfurt mit ihrem
Gebiet bildete einen der drei räumlich weit getrennten Teile dieses Staates,
der nach dem Reichsrecht als der Staat des Kurfürsten-Erzkanzlers der erste
im Reiche hieß, was freilich mit der Wirklichkeit gewaltig kontrastirte. Zum
„Fürstentum" Erfurt gehörten außer der Stadt die Ämter Toudorf, Atzmanns-
dorf, Mühlberg, Vargnla, Gispersleben, Vippach, Jsseroda, Mach und Stadt
und Amt Sömmerda, zu denen dann in den neunziger Jahren noch die Hatz-
feldischen Grafschaften Kranichfeld und Gleichen als erledigte kurmainzische Lehen
kamen. Immerhin war es ein Schauplatz, auf dem Dalberg, nach Goethes
Ausdruck, „Welt und Regiment probiren konnte." Mit der Ernennung zum
Grenzboten IV. 1883. S
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