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Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

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Der neue Merlin.

Wie mein Herz jenen Stunden entgegcnpochtc und im Glückgefühl zu
springen drohte! Wie ich in der Seligkeit dieser Tage durch die Insel schritt
und mit sehnsüchtigem Blick die Heimat meiner Liebe grüßte! Wie mir wunder¬
sam zu Mute war, wcmi ich mich besann, daß mich kaum Wochen von dem
letzten Tage in Ragusa trennten! Wie ich damit rang, den Gedanken auszu-
denken, daß ich nach dem nahen Venedig, wo sie lebte, der ich alles sein sollte,
und die mir alles war, nicht hinüber dürfe, daß die Lagune für mich ein nn-
überschreitbarcs Meer bedeuten müsse! Ach, Signor Fedcrigo, und wie doch
alles untertauchte in der einen Gewißheit des süßesten, überschwänglichsten Glücks!
Vierzig Jahre habe ich Zeit gehabt, über die Entschlüsse jener Tage zu sinnen,
und oft hat es mich wild ergriffen, daß Gabriel!" besser gethan haben würde,
mit wenigem, was sie von ihrem Reichtum augenblicklich an sich raffen konnte,
mit mir in die weite Welt zu fliehen. Und immer wieder mußte ich mich dann
mit dem Worte des orientalischen Dichters beruhigen: Klage die Welle nicht
an, die deinen Bruder vor der Heimkehr verschlingt, der Stein hängt auf deinem
Dache, der ihn beim Eintritt ins Haus erschlagen hätte! Wer sagt uns, was
geschehen wäre, wenn wir es anders begonnen hätten, wer bürgt uns für den
bessern Ausgang?

Und wir würden die Tage nicht gelebt haben, die hier gelebt worden sind!
Lichtvolle, sonnige, gottgeschenkte Tage, mein junger Freund, unwiederbringlich,
aber auch unverloren. Kein Monat war verstrichen, seit ich in San Giorgio
die Geliebte zuerst erblickt hatte, als in stiller Morgenstunde drüben im Dom
Pater Vartvlomeo unsre Hände ineinander legte. Vor der Welt blieb Gabrielln
Signora Parmi, hier war sie mein süßes, angebetetes Weib, die wieder zum
Kinde mit mir ward und mir selig lachend vertraute, daß sie von der ersten
Stunde an, in der sie mich am Grabmal meines Ahnherrn erblickt, Vertrauen
zu mir gefaßt habe. Die Rosen und die Bäume dieses Gartens sind Zeugen
wortlosen und fröhlich lauten Glücks gewesen. Nur ein paarmal in jeder Woche
durfte Gabriella die Fahrt nach Torcello und zu mir wagen, niemals durfte
sie über Nacht in ihrem Palazzo dort fehlen, denn sie war nur der Treue ihrer
Gesellschafterin und ihrer Gondoliere versichert. Ich hielt mich still in diesem
Garten und nahm meine Studien zur Geschichte meiner Vaterstadt wieder auf,
um die Stunden zu kürzen, in denen ich auf Gabriella verzichten mußte. Es
wurde mir schwer, zwischen so seligen Tagen so nüchterne zu leben, und ich
fürchte, daß ich mehr geträumt als gethan habe. Aber ich half mir doch über
die Ungeduld hinweg, der ich zu Zeiten verfiel. Fra Vartvlomeo reiste für mich "
nach Padua, trug mir Bücher und Schriften und alles, was ich von Ragusa
mit herübergebracht hatte, in diese" Winkel zwischen Rosen und Lorbcren. Es
war in Wahrheit Merlins Hecke, die mich umfing, doch war es keine Viviane,
die mich hierher gebannt, sondern ein junges, großherziges Weib, die so voller
Liebe und so reichen Glückes wert war, als sie dem Emziggeliebten verschwen¬
derisch gab!


Der neue Merlin.

Wie mein Herz jenen Stunden entgegcnpochtc und im Glückgefühl zu
springen drohte! Wie ich in der Seligkeit dieser Tage durch die Insel schritt
und mit sehnsüchtigem Blick die Heimat meiner Liebe grüßte! Wie mir wunder¬
sam zu Mute war, wcmi ich mich besann, daß mich kaum Wochen von dem
letzten Tage in Ragusa trennten! Wie ich damit rang, den Gedanken auszu-
denken, daß ich nach dem nahen Venedig, wo sie lebte, der ich alles sein sollte,
und die mir alles war, nicht hinüber dürfe, daß die Lagune für mich ein nn-
überschreitbarcs Meer bedeuten müsse! Ach, Signor Fedcrigo, und wie doch
alles untertauchte in der einen Gewißheit des süßesten, überschwänglichsten Glücks!
Vierzig Jahre habe ich Zeit gehabt, über die Entschlüsse jener Tage zu sinnen,
und oft hat es mich wild ergriffen, daß Gabriel!« besser gethan haben würde,
mit wenigem, was sie von ihrem Reichtum augenblicklich an sich raffen konnte,
mit mir in die weite Welt zu fliehen. Und immer wieder mußte ich mich dann
mit dem Worte des orientalischen Dichters beruhigen: Klage die Welle nicht
an, die deinen Bruder vor der Heimkehr verschlingt, der Stein hängt auf deinem
Dache, der ihn beim Eintritt ins Haus erschlagen hätte! Wer sagt uns, was
geschehen wäre, wenn wir es anders begonnen hätten, wer bürgt uns für den
bessern Ausgang?

Und wir würden die Tage nicht gelebt haben, die hier gelebt worden sind!
Lichtvolle, sonnige, gottgeschenkte Tage, mein junger Freund, unwiederbringlich,
aber auch unverloren. Kein Monat war verstrichen, seit ich in San Giorgio
die Geliebte zuerst erblickt hatte, als in stiller Morgenstunde drüben im Dom
Pater Vartvlomeo unsre Hände ineinander legte. Vor der Welt blieb Gabrielln
Signora Parmi, hier war sie mein süßes, angebetetes Weib, die wieder zum
Kinde mit mir ward und mir selig lachend vertraute, daß sie von der ersten
Stunde an, in der sie mich am Grabmal meines Ahnherrn erblickt, Vertrauen
zu mir gefaßt habe. Die Rosen und die Bäume dieses Gartens sind Zeugen
wortlosen und fröhlich lauten Glücks gewesen. Nur ein paarmal in jeder Woche
durfte Gabriella die Fahrt nach Torcello und zu mir wagen, niemals durfte
sie über Nacht in ihrem Palazzo dort fehlen, denn sie war nur der Treue ihrer
Gesellschafterin und ihrer Gondoliere versichert. Ich hielt mich still in diesem
Garten und nahm meine Studien zur Geschichte meiner Vaterstadt wieder auf,
um die Stunden zu kürzen, in denen ich auf Gabriella verzichten mußte. Es
wurde mir schwer, zwischen so seligen Tagen so nüchterne zu leben, und ich
fürchte, daß ich mehr geträumt als gethan habe. Aber ich half mir doch über
die Ungeduld hinweg, der ich zu Zeiten verfiel. Fra Vartvlomeo reiste für mich "
nach Padua, trug mir Bücher und Schriften und alles, was ich von Ragusa
mit herübergebracht hatte, in diese» Winkel zwischen Rosen und Lorbcren. Es
war in Wahrheit Merlins Hecke, die mich umfing, doch war es keine Viviane,
die mich hierher gebannt, sondern ein junges, großherziges Weib, die so voller
Liebe und so reichen Glückes wert war, als sie dem Emziggeliebten verschwen¬
derisch gab!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/701>, abgerufen am 01.09.2024.