Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal.

Bild:
<< vorherige Seite
Der neue Merlin.

nur thun, was sie mir vorschrieb. Aus ihrem Schreiben wehte mir ein be¬
rauschender Duft entgegen und stiegen Bilder auf, wie sie meine Seele noch
nie berückt hatten! Aber ich fühlte, daß ich nicht träumen dürfe, und die Kraft
erwuchs mir, klar und besonnen und ganz im Sinne Gabriellas zu handeln.
Den noch übrigen Tag verwandte ich dazu, meine Reisevorbereitungen zu treffen.
Mit einigem Geräusch sicherte ich mir einen guten Platz auf dem Postschiff, ich
zog in meinem bescheidenen Hotel mannichfache Erkundigungen über Padua ein,
ich ließ nur meinen Paß bei der Polizeidirektion dorthin Visiren, kurz ich that,
was ich vermochte, um Späher irrezuleiten, wenn es deren gab. Andern Tags
verließ ich in der Frühe die Stadt, in der ich in wenigen Tagen mehr erlebt und
mehr erfahren hatte, als daheim in vierundzwanzig Jahren. Ich ließ mich in Mestre
für die Post nach Padua einschreiben, ich schlenderte nach Campalto und musterte
unter der Hand die Barken, dann hielt ich mich, so schwer es mir ward, still
in der Herberge, die ich aufgesucht. Ich wüßte Ihnen kaum zu erzählen, was
alles an jenem Tage und in jener wunderlich ungewissen Lage durch mein Hirn
ging, und ich merke, Dottore, daß es Zeit wird, mich kürzer zu fassen. Die
Sonne geht hinab, und drüben will auch die letzte rote Wolke verblassen!

Lassen Sie mich rasch sagen, daß alles wohl gelang. Mein geringes Gepäck
ging mit der Post nach Padua, ich selbst meldete im letzten Augenblick dem
begleitenden Kondukteur, daß ich erst andern Tages nachfahren würde, weil ich
diesen Tag zum Besuch eines Freundes verwenden wollte, dessen Anwesenheit
ans einem nahegelegenen Gute ich gestern abend erst ganz zufällig erfahren
habe. Auch das ward noch für die etwaigen Nachforschungen von Venedig
aus gesagt. Und dann schritt ich wieder hinüber nach Campalto, nahm einen
Schiffer in Sold und sprang in die Barke, die mich zum Glück tragen sollte!
Zum Glück trotz allem und allem, Federigo! Wir sind nicht Herren über die
Zeit, aber Gott sei gepriesen, die Zeit auch nicht über das, was wir wahrhaft
erlebt haben, was uns wahrhaft geworden ist! Ich kam glücklich auf diesem
Eiland an, Fra Bartolomeo erwartete mich schon uuter der Thür und ge¬
leitete mich mit einer Art Feierlichkeit in sein Haus, Signora Parmi war eine
Stunde vor mir angelangt. Mit einem Gesicht, dessen Wiederschein ich noch
vor mir leuchten sehe, empfing sie mich! Es war nichts Fremdes mehr zwischen
uns, nur süße Bewegung und Verwirrung, deren wir in der ersten Stunde
nicht Herr zu werden vermochten. Der Pater wollte uns bald allein lassen,
und wir wehrten ihm, bis wir am Ende doch allein zwischen den Weingärten
und am Rande der Lagune standen. Da fühlte die holdselige Frau, daß sie
mir die Rätsel der letzten Tage lösen müsse, sie hub an zu sprechen und ent¬
hüllte in Worten, die mir tief in die Seele drangen und meinen Blick erweiterten,
eines jener Frauenschicksale, welche trotz aller Nüchternheit dieser Tage wieder-
umb wiederkehren. Sie bestätigte mir alles, was ich von Pater Bartolomeo
schon zuvor gehört, und ich hätte ihr bei jedem Worte zu Füßen fallen mögen


Grenzboten IV. 1383. 87
Der neue Merlin.

nur thun, was sie mir vorschrieb. Aus ihrem Schreiben wehte mir ein be¬
rauschender Duft entgegen und stiegen Bilder auf, wie sie meine Seele noch
nie berückt hatten! Aber ich fühlte, daß ich nicht träumen dürfe, und die Kraft
erwuchs mir, klar und besonnen und ganz im Sinne Gabriellas zu handeln.
Den noch übrigen Tag verwandte ich dazu, meine Reisevorbereitungen zu treffen.
Mit einigem Geräusch sicherte ich mir einen guten Platz auf dem Postschiff, ich
zog in meinem bescheidenen Hotel mannichfache Erkundigungen über Padua ein,
ich ließ nur meinen Paß bei der Polizeidirektion dorthin Visiren, kurz ich that,
was ich vermochte, um Späher irrezuleiten, wenn es deren gab. Andern Tags
verließ ich in der Frühe die Stadt, in der ich in wenigen Tagen mehr erlebt und
mehr erfahren hatte, als daheim in vierundzwanzig Jahren. Ich ließ mich in Mestre
für die Post nach Padua einschreiben, ich schlenderte nach Campalto und musterte
unter der Hand die Barken, dann hielt ich mich, so schwer es mir ward, still
in der Herberge, die ich aufgesucht. Ich wüßte Ihnen kaum zu erzählen, was
alles an jenem Tage und in jener wunderlich ungewissen Lage durch mein Hirn
ging, und ich merke, Dottore, daß es Zeit wird, mich kürzer zu fassen. Die
Sonne geht hinab, und drüben will auch die letzte rote Wolke verblassen!

Lassen Sie mich rasch sagen, daß alles wohl gelang. Mein geringes Gepäck
ging mit der Post nach Padua, ich selbst meldete im letzten Augenblick dem
begleitenden Kondukteur, daß ich erst andern Tages nachfahren würde, weil ich
diesen Tag zum Besuch eines Freundes verwenden wollte, dessen Anwesenheit
ans einem nahegelegenen Gute ich gestern abend erst ganz zufällig erfahren
habe. Auch das ward noch für die etwaigen Nachforschungen von Venedig
aus gesagt. Und dann schritt ich wieder hinüber nach Campalto, nahm einen
Schiffer in Sold und sprang in die Barke, die mich zum Glück tragen sollte!
Zum Glück trotz allem und allem, Federigo! Wir sind nicht Herren über die
Zeit, aber Gott sei gepriesen, die Zeit auch nicht über das, was wir wahrhaft
erlebt haben, was uns wahrhaft geworden ist! Ich kam glücklich auf diesem
Eiland an, Fra Bartolomeo erwartete mich schon uuter der Thür und ge¬
leitete mich mit einer Art Feierlichkeit in sein Haus, Signora Parmi war eine
Stunde vor mir angelangt. Mit einem Gesicht, dessen Wiederschein ich noch
vor mir leuchten sehe, empfing sie mich! Es war nichts Fremdes mehr zwischen
uns, nur süße Bewegung und Verwirrung, deren wir in der ersten Stunde
nicht Herr zu werden vermochten. Der Pater wollte uns bald allein lassen,
und wir wehrten ihm, bis wir am Ende doch allein zwischen den Weingärten
und am Rande der Lagune standen. Da fühlte die holdselige Frau, daß sie
mir die Rätsel der letzten Tage lösen müsse, sie hub an zu sprechen und ent¬
hüllte in Worten, die mir tief in die Seele drangen und meinen Blick erweiterten,
eines jener Frauenschicksale, welche trotz aller Nüchternheit dieser Tage wieder-
umb wiederkehren. Sie bestätigte mir alles, was ich von Pater Bartolomeo
schon zuvor gehört, und ich hätte ihr bei jedem Worte zu Füßen fallen mögen


Grenzboten IV. 1383. 87
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0699" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/154864"/>
          <fw type="header" place="top"> Der neue Merlin.</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_2079" prev="#ID_2078"> nur thun, was sie mir vorschrieb. Aus ihrem Schreiben wehte mir ein be¬<lb/>
rauschender Duft entgegen und stiegen Bilder auf, wie sie meine Seele noch<lb/>
nie berückt hatten! Aber ich fühlte, daß ich nicht träumen dürfe, und die Kraft<lb/>
erwuchs mir, klar und besonnen und ganz im Sinne Gabriellas zu handeln.<lb/>
Den noch übrigen Tag verwandte ich dazu, meine Reisevorbereitungen zu treffen.<lb/>
Mit einigem Geräusch sicherte ich mir einen guten Platz auf dem Postschiff, ich<lb/>
zog in meinem bescheidenen Hotel mannichfache Erkundigungen über Padua ein,<lb/>
ich ließ nur meinen Paß bei der Polizeidirektion dorthin Visiren, kurz ich that,<lb/>
was ich vermochte, um Späher irrezuleiten, wenn es deren gab. Andern Tags<lb/>
verließ ich in der Frühe die Stadt, in der ich in wenigen Tagen mehr erlebt und<lb/>
mehr erfahren hatte, als daheim in vierundzwanzig Jahren. Ich ließ mich in Mestre<lb/>
für die Post nach Padua einschreiben, ich schlenderte nach Campalto und musterte<lb/>
unter der Hand die Barken, dann hielt ich mich, so schwer es mir ward, still<lb/>
in der Herberge, die ich aufgesucht. Ich wüßte Ihnen kaum zu erzählen, was<lb/>
alles an jenem Tage und in jener wunderlich ungewissen Lage durch mein Hirn<lb/>
ging, und ich merke, Dottore, daß es Zeit wird, mich kürzer zu fassen. Die<lb/>
Sonne geht hinab, und drüben will auch die letzte rote Wolke verblassen!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_2080" next="#ID_2081"> Lassen Sie mich rasch sagen, daß alles wohl gelang. Mein geringes Gepäck<lb/>
ging mit der Post nach Padua, ich selbst meldete im letzten Augenblick dem<lb/>
begleitenden Kondukteur, daß ich erst andern Tages nachfahren würde, weil ich<lb/>
diesen Tag zum Besuch eines Freundes verwenden wollte, dessen Anwesenheit<lb/>
ans einem nahegelegenen Gute ich gestern abend erst ganz zufällig erfahren<lb/>
habe. Auch das ward noch für die etwaigen Nachforschungen von Venedig<lb/>
aus gesagt. Und dann schritt ich wieder hinüber nach Campalto, nahm einen<lb/>
Schiffer in Sold und sprang in die Barke, die mich zum Glück tragen sollte!<lb/>
Zum Glück trotz allem und allem, Federigo! Wir sind nicht Herren über die<lb/>
Zeit, aber Gott sei gepriesen, die Zeit auch nicht über das, was wir wahrhaft<lb/>
erlebt haben, was uns wahrhaft geworden ist! Ich kam glücklich auf diesem<lb/>
Eiland an, Fra Bartolomeo erwartete mich schon uuter der Thür und ge¬<lb/>
leitete mich mit einer Art Feierlichkeit in sein Haus, Signora Parmi war eine<lb/>
Stunde vor mir angelangt. Mit einem Gesicht, dessen Wiederschein ich noch<lb/>
vor mir leuchten sehe, empfing sie mich! Es war nichts Fremdes mehr zwischen<lb/>
uns, nur süße Bewegung und Verwirrung, deren wir in der ersten Stunde<lb/>
nicht Herr zu werden vermochten. Der Pater wollte uns bald allein lassen,<lb/>
und wir wehrten ihm, bis wir am Ende doch allein zwischen den Weingärten<lb/>
und am Rande der Lagune standen. Da fühlte die holdselige Frau, daß sie<lb/>
mir die Rätsel der letzten Tage lösen müsse, sie hub an zu sprechen und ent¬<lb/>
hüllte in Worten, die mir tief in die Seele drangen und meinen Blick erweiterten,<lb/>
eines jener Frauenschicksale, welche trotz aller Nüchternheit dieser Tage wieder-<lb/>
umb wiederkehren. Sie bestätigte mir alles, was ich von Pater Bartolomeo<lb/>
schon zuvor gehört, und ich hätte ihr bei jedem Worte zu Füßen fallen mögen</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten IV. 1383. 87</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0699] Der neue Merlin. nur thun, was sie mir vorschrieb. Aus ihrem Schreiben wehte mir ein be¬ rauschender Duft entgegen und stiegen Bilder auf, wie sie meine Seele noch nie berückt hatten! Aber ich fühlte, daß ich nicht träumen dürfe, und die Kraft erwuchs mir, klar und besonnen und ganz im Sinne Gabriellas zu handeln. Den noch übrigen Tag verwandte ich dazu, meine Reisevorbereitungen zu treffen. Mit einigem Geräusch sicherte ich mir einen guten Platz auf dem Postschiff, ich zog in meinem bescheidenen Hotel mannichfache Erkundigungen über Padua ein, ich ließ nur meinen Paß bei der Polizeidirektion dorthin Visiren, kurz ich that, was ich vermochte, um Späher irrezuleiten, wenn es deren gab. Andern Tags verließ ich in der Frühe die Stadt, in der ich in wenigen Tagen mehr erlebt und mehr erfahren hatte, als daheim in vierundzwanzig Jahren. Ich ließ mich in Mestre für die Post nach Padua einschreiben, ich schlenderte nach Campalto und musterte unter der Hand die Barken, dann hielt ich mich, so schwer es mir ward, still in der Herberge, die ich aufgesucht. Ich wüßte Ihnen kaum zu erzählen, was alles an jenem Tage und in jener wunderlich ungewissen Lage durch mein Hirn ging, und ich merke, Dottore, daß es Zeit wird, mich kürzer zu fassen. Die Sonne geht hinab, und drüben will auch die letzte rote Wolke verblassen! Lassen Sie mich rasch sagen, daß alles wohl gelang. Mein geringes Gepäck ging mit der Post nach Padua, ich selbst meldete im letzten Augenblick dem begleitenden Kondukteur, daß ich erst andern Tages nachfahren würde, weil ich diesen Tag zum Besuch eines Freundes verwenden wollte, dessen Anwesenheit ans einem nahegelegenen Gute ich gestern abend erst ganz zufällig erfahren habe. Auch das ward noch für die etwaigen Nachforschungen von Venedig aus gesagt. Und dann schritt ich wieder hinüber nach Campalto, nahm einen Schiffer in Sold und sprang in die Barke, die mich zum Glück tragen sollte! Zum Glück trotz allem und allem, Federigo! Wir sind nicht Herren über die Zeit, aber Gott sei gepriesen, die Zeit auch nicht über das, was wir wahrhaft erlebt haben, was uns wahrhaft geworden ist! Ich kam glücklich auf diesem Eiland an, Fra Bartolomeo erwartete mich schon uuter der Thür und ge¬ leitete mich mit einer Art Feierlichkeit in sein Haus, Signora Parmi war eine Stunde vor mir angelangt. Mit einem Gesicht, dessen Wiederschein ich noch vor mir leuchten sehe, empfing sie mich! Es war nichts Fremdes mehr zwischen uns, nur süße Bewegung und Verwirrung, deren wir in der ersten Stunde nicht Herr zu werden vermochten. Der Pater wollte uns bald allein lassen, und wir wehrten ihm, bis wir am Ende doch allein zwischen den Weingärten und am Rande der Lagune standen. Da fühlte die holdselige Frau, daß sie mir die Rätsel der letzten Tage lösen müsse, sie hub an zu sprechen und ent¬ hüllte in Worten, die mir tief in die Seele drangen und meinen Blick erweiterten, eines jener Frauenschicksale, welche trotz aller Nüchternheit dieser Tage wieder- umb wiederkehren. Sie bestätigte mir alles, was ich von Pater Bartolomeo schon zuvor gehört, und ich hätte ihr bei jedem Worte zu Füßen fallen mögen Grenzboten IV. 1383. 87

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/699
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 42, 1883, Viertes Quartal, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341837_154164/699>, abgerufen am 28.07.2024.